Klaus-Peter Murawski, als Chef der Staatskanzlei wichtigster Berater von Winfried Kretschmann, hat sich dieser Tage als "Verantwortungsethiker" ereifert, weil baden-württembergischen MedienvertreterInnen einen "Krieg gegen unseren Industriestandort führen". Belege nannte er nicht. Sie zu finden, wäre ihm kaum gelungen. Gerade die Reaktionen auf den mit so viel Spannung erwarteten "Nationalen Gipfel" in der vergangenen Woche zeigten, dass im Gegenteil die spitzen Pfeile viel öfter gegen Umwelt- und Klimaschützer fliegen. "Nicht genug, nicht genug, rufen nun am lautesten diejenigen, die am liebsten alle Autos aus dem Stadtverkehr ziehen möchten, Großkonzerne per se für halbkriminelle Vereinigungen halten und für die eine weitestgehend industriefreie Luftreinhaltung Vorrang vor dem Erhalt von Zigtausenden Arbeitsplätzen hat", posaunen beispielsweise die "Stuttgarter Nachrichten".
Halbkriminelle Vereinigungen? Rudi Hickel, der linke Wirtschaftsprofessor aus Bremen, beklagt seit den Neunzigern die einseitig neoliberale Ausrichtung beim größten Teil der schreibenden Zunft. Im Abgasskandal haben sich zwar mehrere Rechercheverbünde und Redaktionen in der Republik große Verdienste erworben. In Kommentaren und Analysen dagegen kommen die Bosse nach der bewährten "Ja, aber"- Methode viel zu gut weg. Politiker wären bei ähnlicher Sachlage schon längst mit Schimpf und Schande aus ihren Ämtern gejagt worden. Nur mal hypothetisch angenommen, andere bedeutende Säulen der Republik hätten sich ähnliche Skandale geleistet – etwa Krankenkassen im großen Stil Prämien und Tarife abgesprochen oder Gewerkschaften Urabstimmungen gefälscht –, es wäre der Teufel los im Land. Nicht so bei den hohen Herren – Frauen gibt's eh kaum – in den Vorstandsetagen der Autokonzerne mit und ohne leuchtenden Stern.
Wo Betrug zu Schummelei verharmlost wird
Jedenfalls hat "Schummelsoftware" gute Chancen, demnächst in die Liste der "Wörter des Jahres" aufgenommen zu werden. Schon in einem der allerersten Artikel zum Thema, erschienen noch vor dem Auffliegen der VW-Abgasaffäre in den USA, fällt dieses seltsame Wort, das immer etwas Niedliches an sich hat und eher an Spickzettel unter Pennälerbänken erinnert als an millionenfachen Kundenbetrug. "Hersteller schummeln immer mehr bei Angaben zum Spritverbrauch", schrieb der "Spiegel" im Herbst 2015. Verbraucherschützer und Umweltverbände bemängelten seit Langem, steht da zu lesen, "dass der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ), nach dem der Normverbrauch eines Autos ermittelt wird, den realen Alltag im Auto in keiner Weise abbildet". Das derzeitige Verfahren biete zu viele Schlupflöcher und Ausweichmöglichkeiten und verzerre damit den Wettbewerb. Ziemlich genau ein Jahr später liegt die Drohung mit einer Geldstrafe von 18 Milliarden Dollar auf dem Tisch. Im Frühjahr 2017 stimmen die Wolfsburger einem Vergleich zu, 2,8 Milliarden Dollar zu zahlen und für drei Jahre externe Aufseher zu akzeptieren.
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Magus Carolus
am 13.08.2017