Der Streit hat einen ernsten Hintergrund. In der EU gibt es jährlich 400 000 vorzeitige Todesfälle als Folge der hohen Luftverschmutzung, so die Daten der EU-Kommission: Millionen Menschen leiden an Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 2003 waren anhaltend hohe NO2-Konzentrationen für knapp 70 000 vorzeitige Todesfälle in Europa verantwortlich, das ist fast das Dreifache der Zahl der Opfer tödlicher Straßenverkehrsunfälle im selben Jahr.
Allein in Deutschland wird in 28 Regionen anhaltend gegen die NO2-Grenzwerte verstoßen. Dazu gehören neben Stuttgart Berlin, München, Hamburg, Köln, Hagen, Münster, Wuppertal sowie die Ballungsräume Mannheim/Heidelberg, Kassel und Rhein. Die Deutsche Umwelthilfe drängt derzeit in 16 deutschen Städten mit Klagen auf Diesel-Fahrverbote, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Dieter Reiter, der Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt, denkt inzwischen laut und beharrlich über ein flächendeckendes Diesel-Fahrverbot nach.
Welche Nachrüstungen stehen im Raum?
Beim Stuttgarter Verwaltungsgericht hat die DUH bereits im November 2015 Klage eingereicht. "Wir haben abgewartet, was sich in Sachen Luftreinhaltung tut", begründet Richter Kern, warum die mündliche Verhandlung erst knapp zwei Jahre später stattfindet. Während EU und DUH drängen, bremst ausgerechnet das grün regierte Baden-Württemberg. Saubere Luft in Straßenschluchten – das geht so schnell nicht, sagt das Land, das auf der Anklagebank sitzt. Es muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, nicht genug gegen die giftigen Abgase aus Auspuffrohren zu tun.
"Die Grenzwerteinhaltung streben wir für das Jahr 2020 an", betont Christoph Erdmenger vom Verkehrsministerium (MVI), was das Publikum mit Gelächter kommentiert. Er verweist auf ein Gesamtwirkungsgutachten, welches im Auftrag des zuständigen Stuttgarter Regierungspräsidiums verschiedene Optionen zur Verbesserung der Luftqualität untersucht hat. Aufbauend auf dessen Ergebnissen hatte die Regierung im Februar ein Maßnahmenpaket namens Luftreinhalteplan beschlossen, das zum Jahreswechsel in Kraft treten soll.
Aus Sicht der DUH ist dieser Plan jedoch das Papier nicht wert, auf dem er steht. Erst recht, nachdem die grün-schwarze Koalition unter Selbstzünder-Fan Winfried Kretschmann streckenbezogene Fahrverbote für Diesel unter Euro-6-Norm aus dem Planentwurf gestrichen hat. Stattdessen setzt das Land jetzt auf die Nachrüstung der Fahrzeuge. Genauer gesagt, auf Software-Updates der Motorsteuerung, die zu weniger Stickoxid-Emissionen führen sollen.
"In Sachen Nachrüstung hat sich eine unheimliche Dynamik entwickelt", betont Erdmenger, der Vertreter des Landes, vor dem Verwaltungsgericht. "Für Experimente ist die Landesregierung nicht zu haben", ergänzt er und meint damit ein generelles Diesel-Fahrverbot, wie es die DUH fordert. Dieses werde zu Ausweichverkehren im Stuttgarter Umland führen, das NO2-Problem aus dem Talkessel in die Anrainerstädte exportiert. "Wir haben werktäglich 240 000 Einpendler nach Stuttgart, die lösen sich nicht in Luft auf", so Erdmenger.
Zufall oder nicht? Keine 24 Stunden vor dem Gerichtstermin hatte der Autobauer Daimler angekündigt, drei Millionen Diesel-Fahrzeuge per Software-Update sauberer machen zu wollen. "Wir brauchen weiter ein ganzjähriges Fahrverbot für schmutzige Diesel", macht indes DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch im Gerichtssaal klar, was er davon hält.
8 Kommentare verfügbar
Schwa be
am 31.07.2017Mich würde Ihre Meinung interessieren welche Konsequenzen der Wähler bei der Bundestagswahl im September aus Ihren m.E. interessanten, sachlichen und informativen Ausführungen ziehen sollte?
Weiter so, wählt wie…