Was ist denn Tony Johnson, mittelalter Held der Netflix-Serie "After Life", für ein Mensch? Tja, da könnte man zum Beispiel erzählen, wie er an einem Schulhof vorbeiläuft und ein Junge ihm das böse Wort "Pädo!" nachschreit. Tony dreht sich um und sagt: "Ich bin kein Pädo. Und wenn ich einer wäre, dann wärst du vor mir sicher, du dickes, kleines, rothaariges Arschloch!" So sanft belehrend geht es allerdings nicht weiter. Weil der Junge ein Schulhofmobber ist, setzt Tony aus erzieherischen Gründen hinzu: "Ich bin ein ausgebrochener Verrückter, und ich bring gern fette Kinder um wie dich!" Tatsächlich ist Tony Klatschreporter des Kleinstadtjournals "The Tambury Gazette", für das er mit seinem gleichmütigen Fotografen Lenny (Tony Way) Menschen in ihren spießigen Behausungen aufsucht, um sich ihre banalen, grotesken oder völlig idiotischen Geschichten anzuhören, mit denen sie es in die Zeitung schaffen wollen.
Tony Johnson wurde erfunden und wird auch gespielt von Ricky Gervais, diesem leicht pummeligen Mann, der beim Eckzähne freilegenden Grinsen ein bisschen biberhaft wirkt. In seiner oft kopierten Serie "The Office" – in Deutschland als "Stromberg" erfolgreich –, mit der Gervais 2001 den Durchbruch schaffte, grinst er als von sich selbst begeisterter Bürochef David Brent allerdings öfter und offensiver als in den drei Staffeln von "After Life". Das hat damit zu tun, dass er als Tony seine Frau Lisa verloren hat und er über diesen Verlust nicht hinwegkommt. Was jetzt noch wartet, auch für ihn, ist nur noch – siehe Filmtitel – eine Existenz nach dem Leben. Oder eben: das Jenseits.
Tonys Trauer ist nämlich so groß, dass er sich aus dem Leben schaffen will. Wäre da nicht der Hund, um den er sich kümmern muss. Die Menschen um ihn herum jedoch sind ihm lästig geworden. An ihnen probiert er jetzt das aus, was er als seine "Superkraft" bezeichnet: ihnen rücksichtslos das zu sagen, was er für die Wahrheit hält, vielleicht aber auch nur das ist, was eben er, der neue Misanthrop, von ihnen denkt. In seinem Weltekel nimmt er sich selber nicht aus: "Wir sind abscheuliche, narzisstische, egoistische Parasiten und die Welt wäre ohne uns ein besserer Ort. Es sollte jedermanns moralische Pflicht sein, sich umzubringen ... Ich könnte es jetzt tun, aufs Dach steigen, springen, und zwar so, dass ich auf einem Arschloch von der Buchhaltung lande." Das Wort Arschloch ist eine Abmilderung, in dem auch mit hoher "fuck"-Dichte ausgestatteten Original heißt es: "cunt".
Unmanierliches als Kollateralschaden der freien Rede
In seiner (nicht nur) verbalen Drastik und in seinem Figurenarsenal – so dick, so doof, so zerknautscht, so fetthaarig, so kahlköpfig, so hässlich angezogen und so übel bebrillt! – ist "After Life" so etwas wie das proletarische (oder auch prekäre) Gegenprogramm zu manierlichen englischen Adels-Serien wie "Downton Abbey" oder "The Crown". Ricky Gervais legt den Mantel der Höflichkeit ab und erregt damit oft Anstoß. Das Anstoß-Erregende aber sei eben "der Kollateralschaden der freien Rede". Dieser Autor, Schauspieler, Musiker, Moderator, Tierschützer, Atheist und Philosoph mit Uni-Abschluss sagt auch: "Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass Comedy bedeutet, dem Gewissen einen Tag frei zu geben. Mein Gewissen nimmt sich nie einen Tag frei und ich kann alles, was ich mache, rechtfertigen." Er müsse aber darauf hinweisen, dass eine Person in einem Witz nicht unbedingt auch dessen Angriffsziel sei. Und das unterscheidet seine Komik dann auch von Serien wie "Little Britain", in denen das grob karikierte Prekariat zum Ablachen freigegeben wird.
1 Kommentar verfügbar
Emilia Landowski
am 09.02.2022