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Doku "Homöopathie unwiderlegt?"

Gefühlte Wahrheiten auflösen

Doku "Homöopathie unwiderlegt?": Gefühlte Wahrheiten auflösen
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Es ist verblüffend, was herauskommt, wenn in einem Dokumentarfilm über Homöopathie nur Homöopathen zu Wort kommen. Gewagt hat diese Form der Regisseur Erik Lemke in seinem neuen Werk "Homöopathie unwiderlegt?", das dieser Tage Premiere in Tübingen und Stuttgart feiert.

Mit seiner Doku "Berlin Excelsior" über die Bewohner eines Wohnblocks in der Hauptstadt hat Erik Lemke 2017 für Aufmerksamkeit gesorgt. Nun präsentiert der 1983 in Dresden geborene Regisseur eine Dokumentation über Homöopathie. Der besondere Clou dabei: In "Homöopathie unwiderlegt?" kommen ausschließlich Befürworter der Methode zu Wort. Als "sokratische Gespräche" beschreibt der Filmemacher sein Konzept. Das Ergebnis ist ausgesprochen sehenswert.

Herr Lemke, "dann ist der Titel vielleicht Nonsens", heißt es irgendwann einmal im Film. Wie sehen Sie die Sache, was genau hat es mit dem Titel auf sich?

Tatsächlich ist die Behauptung, Homöopathie sei arzneilich wirksam, unwiderlegt. Genauso unwiderlegt wie die Existenz der Heinzelmännchen. Man kann ja nicht ausschließen, dass es sie nicht doch gibt. Diese Feststellung bringt uns also nicht weiter. Wissenschaftlich formuliert müsste die Hypothese so heißen: "Homöopathie ist arzneilich unwirksam!" Dieser Satz wäre sofort widerlegt, sobald nur ein einziges Mal Patienten von der Arzneiwirkung von Homöopathika profitiert hätten. Das konnte trotz jahrzehntelanger Forschung bisher nicht nachgewiesen werden.

Könnten Sie hier schwören, dass es sich bei den Protagonisten um echte Homöopathen handelt und Ihre Doku keine Mockumentary ist?

Alle 19 Protagonisten sind Homöopathen, Wissenschaftler oder Lobbyisten, die ihren Lebensunterhalt unter anderem damit verdienen, dass die Erzählung einer wirksamen Homöopathie aufrechterhalten wird. Ich möchte betonen, dass ich hauptsächlich Vertreter der sogenannten Klassischen Homöopathie interviewt habe. Alle sind zudem Akademiker. Da es innerhalb der Homöopathie keine Kriterien gibt, die zwischen wirksam und unwirksam unterscheiden, schießen Homöopathie-Varianten wie Pilze aus dem Boden. Regalmeterweise publizieren Homöopathen ihre eigenen Weiterentwicklungen und finden ihre Anhänger. Solche "abtrünnigen" Homöopathen habe ich gemieden, weil ich keine Komödie drehen wollte, sondern eine Auseinandersetzung, die auch von den Homöopathen selbst ernst genommen wird.

Haben alle Interviewpartner zugesagt, die Sie anfragten? Oder gab es auch Vorbehalte?

Gern hätte ich mit Vertretern des gemeinnützigen Vereins "Homöopathen ohne Grenzen" gesprochen, die in Krisenregionen des globalen Südens lebensbedrohliche Erkrankungen mit Homöopathie behandeln. Auch homöopathische Tierärzte hätte ich gern interviewt. Wenn Homöopathie bei nicht selbst einwilligungsfähigen Lebewesen wie Tieren und Kleinkindern angewendet wird, finde ich, ist eine Grenze überschritten. Solange das in Fällen geschieht, in denen man genauso gut Streicheleinheiten oder Trostpflaster geben könnte, wäre das noch vertretbar. Aber Homöopathen behandeln auch da homöopathisch, wo nach eigener Aussage Scheinmedikation verantwortungslos wäre. Um zur Frage zurückzukommen: Die entsprechenden Vereine suchen entweder keine außerhomöopathische Öffentlichkeit oder wollten eine "Rückbestätigung, dass das Interview positiv beim Zuschauer ankommt". Das fand ich unseriös.

Hatten die Interviewpartner den final cut?

Einige Interviewpartner haben Formulierungen zurückgezogen, mit denen sie sich unwohl fühlen. Teilweise noch Tage nach dem Interview. Das ist absolut in Ordnung und ihnen habe ich schriftlich bestätigt, die betreffenden Passagen nicht zu verwenden. Inhaltliche Eingriffe im Schnittprozess kämen allerdings einer Zensur gleich. Homöopathen, die solche Wünsche angemeldet haben, konnte ich im beiderseitigen Interesse nicht interviewen.

Wie begegnen Sie der Gefahr der Manipulation? Die "Berliner Mauer" wirkt automatisch lächerlich. Auch die Studie über Kopfweh ist kein Ruhmesblatt. Hätten Sie beides weggelassen, wäre ein ganz anderer Eindruck entstanden ...

Tatsächlich hätte ich die Homöopathika "Berliner Mauer" und "Hundekot" von mir aus nicht erwähnt. Als die Protagonisten selbst damit anfingen, habe ich das natürlich drin gelassen. Die Absurdität solcher Mittel macht auch Laien intuitiv verständlich, dass mit der Methode etwas nicht stimmt. Allerdings wird Kritikern oft unterstellt, sie würden nur solche Kuriositäten gegen die Homöopathie zu Felde führen. Das ist nicht richtig. Die eigentlichen Gründe für die arzneiliche Unwirksamkeit sind sehr zahlreich und stichhaltig, auch jenseits von Fäkalienarzneien und forcierten Symboliken. Die Kopfwehstudie ist eine sehr sauber ausgeführte Arbeit, die der individuellen Arzneimittelwahl in der Homöopathie Rechnung trägt. Der eigentliche Skandal ist die völlige Konsequenzenlosigkeit negativer Forschungsergebnisse auf die Homöopathie. Weiterhin suchen Migränepatienten Hilfe bei Homöopathen, ohne dass sie darauf hingewiesen werden, dass gerade hier sehr genau geforscht wurde und die Homöopathie keinen Mehrwert nachweisen konnte.

Nur den Fan-Block zu Wort kommen zu lassen und dabei dessen Widersprüche aufzuzeigen: Ist das eine Kritik in homöopathischen Dosen?

Wer auf Homöopathie schwört, ist gegen Kritik von außen oft immun. "Mir hat’s geholfen, basta!" Die Neugier auf den menschlichen Körper mit seinen zahlreichen Möglichkeiten der Selbstheilung hält sich oft stark in Grenzen, sobald man glaubt, in den eingenommenen Globuli den Grund für die Besserung identifiziert zu haben. Homöopathiebefürworter verschieben ins Übernatürliche, was sie der Natur offenbar nicht zutrauen. Der Schweizer Psychiater Frank Urbaniok sagt, wir Menschen seien "Kausalitätsjunkies". Die gefühlte Wahrheit würde die differenzierte Wahrheit schlagen. Wieso also sollte ich Homöopathie-Kritiker interviewen, wenn sie mit ihren Argumenten keine Chance haben zu Befürwortern durchzudringen? Deshalb übernehmen in meinem Film die Homöopathen die Aufklärung selbst. Auch wenn es schmerzhaft ist.

Wäre die Methode, Vertreter einer Ideologie sich selbst entlarven zu lassen, auch anwendbar auf andere kontroverse Themen: Impfgegner, Klimaleugner, KZ-Leugner?

Letztlich sind es sokratische Gespräche, die ich mit den Homöopathen führe. Wir müssen die Widersprüche in unserem Handeln selbst erkennen. Ich reagiere selbst allergisch auf Belehrungen. Also belehre ich auch niemanden. Erkenne ich allerdings, dass ich mit einer jahrelang gehegten Überzeugung falsch liege, erzeugt das beinahe ein Gefühl von Euphorie, weil ich wieder ein Stückchen mehr über mich erfahren durfte. Diese positive Fehlerkultur gilt es in unserer Gesellschaft zu kultivieren. Deshalb halte ich diese sehr respektvolle Art der Auseinandersetzung auch mit den von Ihnen genannten Personengruppen für sinnvoll.

Wie kamen Sie auf das Thema? Wie kamen Sie auf die Methode?

Sie tun recht, diese beiden Fragen zusammen zu stellen. Denn die Methode ist mir tatsächlich wichtiger als das Thema Homöopathie selbst. Angesichts der enormen Probleme, vor denen die Menschheit steht, ist die Homöopathie nicht unsere größte Baustelle und ihr Schadenspotenzial verhältnismäßig begrenzt. Wichtiger ist mir, das kritische Denken und die erwähnte Fehlerkultur zu fördern. Wir werden möglicherweise zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten sein. Stellen Sie sich vor, alle würden mit gefühlten Wahrheiten durchs Leben gehen wie in der Homöopathie üblich. Das kann nicht gut gehen. Die Methode der sokratischen Gespräche ist – der Name lässt es erahnen – nicht neu. Seit Sokrates gab es immer wieder Aufklärer, die erkannten, dass man über Bande spielen muss, um bei anderen etwas zu bewirken. Voltaire gelang es mit Mitteln der Subversion zu demonstrieren, woran die Menschen eigentlich glauben, indem er die jeweilige Ideologie zwar nicht widerlegte – das ist, eben wie bei der Homöopathie, nicht möglich –, sondern indem er deren zahlreiche Widersprüche hervorkehrte und damit ein Überdenken festgefahrener Überzeugungen ermöglichte.

Was wäre Ihr Anliegen?

Ich würde mir wünschen, dass sich vor allem Homöopathie-Befürworter durch meinen Film angeregt fühlen, Widerstände zu überwinden und sich kritisch über diese Methode zu informieren. Kein ernsthafter Homöopathiekritiker würde persönliche Genesungsberichte in Frage stellen. Globuli und Heinzelmännchen scheiden allerdings solange aus dem Potpourri möglicher Ursachen dafür aus, bis ihre Wirksamkeit beziehungsweise Existenz wenigstens für einen Fall nachgewiesen wurde. Wer sich evidenzbasiert und seriös weiterinformieren möchte, dem empfehle ich übrigens das Informationsnetzwerk Homöopathie und deren vorbildlich bequelltes Nachschlagewerk, die Homöopedia.

Bekamen Sie Förderung für das Projekt? Hatten Sie je überlegt, beim Pharmaverband oder der Carstens-Stiftung eine Förderung anzufragen?

Jens Behnke von der Carstens-Stiftung hat mich sofort beim ersten Anruf gefragt, ob ich Gelder zur Finanzierung meines Filmes benötige. Da es sich um einen Lobby-Verband für die Homöopathie handelt, habe ich das gar nicht erst weiterverfolgt. In meinem Film äußert sich Herr Behnke übrigens sehr ehrlich über die Studienlage. Sollte er doch noch mal den Arbeitgeber wechseln, könnte er meinen Film als Visitenkarte nutzen, um einem möglichen Schaden seiner Reputation zu begegnen.

Die Pharmaindustrie als Förderer für einen Homöopathie-kritischen Film scheidet aus. Die Gewinnspannen, die sich mit Homöopathika erzielen lassen, suchen ihresgleichen. Denn durch die preiswerten Rohstoffe (hauptsächlich Zucker) und den Verzicht auf aufwendige Forschung ist die Herstellung denkbar einfach. Entgegen des gern gepflegten Narrativs der "bösen Pharmamafia gegen die Homöopathie" unterstützen die Pharma-Lobbyverbände BAH und BPI die Homöopathie.

Was die Förderung als künstlerischer Dokumentarfilm anbetrifft, habe ich mir mit der stringenten Umsetzung als Interviewfilm natürlich selbst ein Ei gelegt. Gefördert werden hauptsächlich Filme, die einen emotionalen Zugang zu ihren Themen bieten mit starker Betonung auf das Visuelle. Dass Filme auch ein intellektuelles Vergnügen bieten können, hat mir leider nicht geholfen. Sogenannte "Info-Dokus" verweist man zum Fernsehen. Durch den Quotendruck haben es aber auch da unformatierte, eher langsamer erzählte Formen schwer.

Sie sind als ehrenamtlicher Richter tätig. Sind Homöopathen nach dieser Zeugenbefragung für Sie schuldig der Scharlatanerie?

Nein. Die Homöopathie wird als besondere Therapierichtung vom Arzneimittelgesetz geschützt. Wer da wo antichambriert hat, damit es dazu kommen konnte, erfahren Sie in meinem Film. Es ist also Aufgabe der Politik, hier im Sinne der Patientensicherheit zu reformieren, nicht der Gerichte.


Erik Lemkes "Homöopathie unwiderlegt?" wird am Freitag, dem 4. Februar um 18 Uhr im Tübinger Arsenal-Kino und am Samstag, dem 5. Februar um 15 Uhr im Atelier am Bollwerk in Stuttgart präsentiert, der Regisseur ist jeweils anwesend. In welchen Kinos der Film bundesweit zu sehen ist, sehen Sie hier.


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4 Kommentare verfügbar

  • Stefanie B.
    am 07.02.2022
    Antworten
    Der Besuch der Vorführung hat sich gelohnt - danke für den Tipp. Obwohl es sich um eine Premiere handelte, war der Film leider sehr schwach besucht. Dennoch kam nach der Vorführung eine interessante Diskussion mit dem Regisseur zustande.
    Mir hat die sachliche, filmische Aufarbeitung des Themas gut…
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