Vor zweieinhalb Jahren hat Kontext über die Sammlung von Werner Sumowski berichtet, des Kunsthistorikers, der 2015 verstorben ist. Die Zeichnungen aus fünf Jahrhunderten fingen an, in den Kellerräumen des Nachlassverwalters Schimmel anzusetzen, weil Christiane Lange, die Direktorin der Stuttgarter Staatsgalerie, es sich noch einmal überlegen wollte, bevor ihr Museum das Erbe antrat. Zuvor schon hatte Lange die kleinen Ausstellungshäuser in der Region mit der Frage aufgeschreckt, ob es nicht zu viele Museen gäbe. Offenkundig leidet die Staatsgalerie unter Besuchermangel, was sich auch darin zeigt, dass sie einen geschredderten Banksy braucht, um Besucher vor ihr Rembrandt-Selbstporträt zu locken.
Im Kunstverein Aalen ist nun ein Gemälde zu sehen, das bisher nicht unter den 324 Werken Rembrandts im offiziellen Katalog des Amsterdamer Rembrandt Research Project auftaucht. Dieses hatte Sumowski, 1957 von Ost- nach Westberlin geflohen, in den späten 1950er-Jahren in schlechtem Zustand im Kunsthandel entdeckt und erworben. Er erkannte sofort die herausragende Qualität, ließ das Bild restaurieren und publizierte 1962 einen Aufsatz in der Zeitschrift "Pantheon", in dem er es als eine "Pallas Athene" von Rembrandt identifizierte, die sich 1678 im Nachlass des Rembrandt-Gläubigers Herman Becker befunden hatte.
Wer im Internet nach Pallas Athene und Rembrandt googelt, stößt allerdings auf ein Werk im Calouste-Gulbenkian-Museum in Lissabon. Wie auf dem nun in Aalen ausgestellten Bild ist eine bartlose Figur mit weichen Gesichtszügen mit Helm und Schild zu sehen. Die Deutung als athenische Schutzgöttin beruht auf einer Eule in der Helmzier. Sie ist nicht unumstritten, entspricht aber dem bisherigen Stand der Rembrandt-Forschung.
Rembrandts Geliebte ist das Highlight der Aalener Ausstellung
Sumowskis Zuschreibung wurde damals von den Rembrandt-Koryphäen nicht anerkannt, die allerdings das Bild nur aus einer kleinformatigen Schwarzweiß-Abbildung in Sumowskis Aufsatz kannten. Noch dazu war die Restaurierung misslungen: Die Berliner Werkstatt hatte das Gesicht übermalt, sodass es aussah wie ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, sagt der Kunstsammler und enge Vertraute Sumowskis, der nun eine Ausstellung im Aalener Kunstverein organisiert hat.
Mittlerweile sind die Übermalungen der 1950er-Jahre entfernt worden, das Gemälde wurde fachkundig restauriert und der Aufbau der Grundierung und der Pigmentschichten am Institut für Technologie der Malerei der Stuttgarter Kunstakademie einer Analyse unterzogen, die sich mit Sumowskis Datierung und Zuschreibung bestens verträgt.
Der Initiator der Ausstellung wollte es genauer wissen. Selbst kein Kunsthistoriker, legte er verschiedenen Personen einen Ausschnitt der Augenpartie des Lissaboner Gemäldes vor. Artur Elmer, der Direktor des Aalener Kunstvereins, sagte auf Anhieb: "Das ist doch der Titus." Titus hieß Rembrandts Sohn, der ein Jahr vor dem Vater starb. Damit war klar, dass die Ausstellung in Aalen stattfinden sollte. "Sensationell", freut sich Aalens Oberbürgermeister Thilo Rentschler. Dies sei "das absolute Highlight der Aalener Kulturwochen", die in diesem Herbst zum zweiten Mal stattfinden. Die Ausstellung, zwei Tage nach Rembrandts Todestag eröffnet, stellt das Werk aus der Sammlung Sumowski 22 Gemälden von Rembrandt-Schülern und zwölf Zeichnungen gegenüber.
Dass das Gemälde im Gulbenkian-Museum den Rembrandt-Sohn zeigt, ist unumstritten. Konnte aber ein junger Mann für eine weibliche Figur Modell stehen? Im Theater wurden Frauenrollen oft von Männern gespielt, in der Kunst war dies jedoch unüblich. Das Modell für das Sumowski-Gemälde war unzweifelhaft Hendrickje Stoffels, Rembrandts Haushälterin und spätere Lebensgefährtin. Warum aber hätte Rembrandt, der für Frauenfiguren sonst immer seine Ehefrau Saskia und nach deren Tod Stoffels verwendete, diesmal seinen Sohn als Göttin darstellen sollen? Und warum hätte ein Schüler – und es hätte einer der besten sein müssen – Rembrandts Geliebte in Rüstung und damit ebenfalls als Pallas Athene porträtieren sollen?
Hommage an den Kunsthistoriker Sumowski
Viel wahrscheinlicher ist, dass es sich bei dem Lissaboner Gemälde um ein anderes Thema handelt: etwa um Alexander, der oft als jugendlicher Mann ohne Bart dargestellt wurde. Einen weiteren Vergleich bietet ein unzweifelhafter Rembrandt aus Glasgow, der nun in Aalen in originalgroßer Kopie zum Vergleich neben der Pallas Athene hängt. Die Ähnlichkeit ist frappierend, die Qualität absolut gleichwertig. Wie auch der Vergleich mit den Schülerarbeiten zeigt.
Fünfzig Schüler Rembrandts sind namentlich bekannt, von 49 weiteren fehlen die Namen. Keiner hat sich so intensiv mit ihnen beschäftigt wie Werner Sumowski. In sechs großformatigen Bänden publizierte er, jeweils mit ganzseitiger Abbildung, mehr als zweieinhalbtausend Gemälde von Rembrandt-Schülern. Alles, was über sie geschrieben wurde, hat er gelesen, die Provenienz konnte er zum Teil über Jahrhunderte zurückverfolgen. Weitere zehn Bände in englischer Sprache, zwischen 1979 und 1992 in New York erschienen, widmete er den Zeichnungen.
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