Wie alle Landesbühnen ist die WLB ein Zwitter: halb Wanderbühne, halb festes Haus. Die Hälfte ihrer Vorstellungen spielt sie außerhalb: in kleinen Städten wie Metzingen, Blaustein oder Künzelsau, die kein eigenes Theater haben, in Schulen, Bürgerhäusern, Gaststätten und Stadthallen. Diese Idee der Kulturversorgung "in der Fläche" entsprang dem Geist der linken und demokratischen Volksbildungsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg. Die WLB Esslingen feiert in dieser Saison ihren 100. Geburtstag.
Dabei hat ihre Geschichte gar nicht in Esslingen begonnen. Alles fing vor 101 Jahren in Stuttgart an, noch vor Ende des Ersten Weltkriegs. Mit Theodor Bäuerle und dem Unternehmer Robert Bosch an Bord hatte sich am 1. Mai 1918 der "Verein zur Förderung der Volksbildung e.V. Stuttgart" gegründet. Eine Einrichtung, aus der auch die Stuttgarter Volkshochschule und Musikschule hervorgingen. Getrieben von Idealismus und künstlerischem Optimismus sollte dies die bevorstehenden gesellschaftlichen Umbrüche nach dem verlorenen Krieg positiv unterstützen: Bildung und Kultur für alle.
Weil Bäuerle wie in aller Kultur auch im Theater eine gemeinschaftsbildende, volkserzieherische und wertevermittelnde Kraft sah, wurde als eine der vielen Abteilungen des Vereins die "Schwäbische Volksbühne" etabliert, eine reine Wanderbühne, die die Provinz bedienen sollte: um dem "Kinoschund", aber auch den privaten Wanderbühnen mit ihren vor allem auf Unterhaltung bedachten "fahrenden Schmieren" Paroli zu bieten. Auch in den entferntesten Winkeln Württembergs sollten die Menschen hochwertige Theaterkunst sehen, vor allem Klassiker, gut gespielt. Württemberg hatte es wahrlich nötig mit seiner als theaterarm geltenden Gegend. Öffentlich finanziertes Theater gab es in Stuttgart, Ulm und Heilbronn, auch in Esslingen spielte seit 1864 ein gemischt finanziertes, teilweise öffentlich bezuschusstes Stadttheater. Ansonsten war das Angebot an anspruchsvollem Theater mau.
Die Volksbühne geht auf Wanderschaft
So zog die Schwäbische Volksbühne als erste institutionalisierte Wanderbühne in Württemberg mit ihrem 20-köpfigen Ensemble, transportablem Bühnenbild und vom Stuttgarter Theater geliehenen Kostümen los in die Peripherie. Die erste Premiere fand am 20. September 1919 in Göppingen im Saal eines Hotels statt: Schillers "Kabale und Liebe". In der ersten Saison reiste sie noch per Eisenbahn in die Städtchen der Region. Die Nachfrage war groß und die erste Bilanz des Gründungsintendanten Ernst Martin bewundernswert: 264 Aufführungen von 20 Stücken an 27 Orten. Im zweiten Jahr, nun im Auto unterwegs, splittete man das Ensemble in zwei, was mehr als 500 Aufführungen an 76 Orten ermöglichte.
Die Wanderbühne, die sich 1921 in die GmbH "Württembergische Volksbühne" umwandelte, schipperte erfolgreich, doch oft genug am finanziellen Limit, durch die inflationären Zeiten.
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