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Krebs und Menschenrechte

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Öffentlich-rechtliche Politikmagazine stehen oft in der Kritik. Doch lange nicht alle Vorwürfe sind gerechtfertigt. Im Gegenteil: "Panorama", "Report" und "Monitor" liefern teilweise echte Glanzstücke ab. In denen Politiker lieber nicht so gern zu Wort kommen möchten.

Vor einigen Wochen präsentierten die dpa-Tochter "News Aktuell" und eine Unternehmensberatung eine Umfrage zum Thema Angst. Sie hatten Pressestellen und PR-Agenturen gefragt, welche Investigativ-Redaktionen sie am meisten fürchten – was kritische Journalisten durchaus als Auszeichnung verstehen dürfen. Platz eins belegte dabei das ZDF-Politikmagazin "Frontal 21". Der "Spiegel" musste sich dagegen mit der Bronzemedaille begnügen.

Dabei müssen sich die öffentlich-rechtlichen Politikmagazine regelmäßig gegen die Kritik wehren, sie hätten an Relevanz verloren. 2015 veröffentlichte die Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall eine entsprechende Untersuchung des Medienwissenschaftlers Bernd Gäbler. Die Attackierten konterten wiederum auf verschiedenen Wegen, Redakteure des vom NDR verantworteten Magazins "Panorama" schrieben beispielsweise, "mancher Maßstab zur Messung von Relevanz" wirke wie "aus der Zeit gefallen". Das bezog sich unter anderem darauf, dass Gäbler den unterstellten Bedeutungsverlust an mangelndem Widerhall in gedruckten Zeitungen festmachen wollte, aber die digitale Resonanz auf Sendungen und Beiträge nicht berücksichtigt hatte.

Dank der Verbreitungswege im Netz erreichen heute einzelne Beiträge jedoch auf eine bis vor kurzem noch nicht vorstellbare Zahl von Menschen - und entsprechend mehr Zuschauerreaktionen. Ein "Panorama"-Beitrag aus dem Dezember 2018, in dessen Mittelpunkt ein Interview mit einem kürzlich verstorbenen 96-jährigen Ex-SS-Mann steht, der in Frankreich an Kriegsverbrechen beteiligt war, wurde bei YouTube bisher mehr als fünf Millionen Mal abgerufen.

Eine etwas längere Fassung des Films kommt bei "STRG_F" – einem "Panorama"-Ableger für das auf jüngere Zuschauer ausgerichtete ARD/ZDF-Netzwerk "funk" – via YouTube auf knapp über 2,8 Millionen Abrufe. Zum Vergleich: Die September-Sendung des bereits lang etablierten Formats "Report Mainz", sahen im normalen Fernsehprogramm, also linear, 2,77 Millionen Zuschauer, im vergangenen Jahr kam die SWR-Sendung im Schnitt noch auf 2,83 Millionen.

Das Beste kommt zum Schluss

Nicht alle Beiträge werden hohen Ansprüchen gerecht. Wer sich dienstags in der ARD – dann laufen "Report Mainz", "Report München" und "Fakt" vom MDR – nur den Einstieg in die Sendung anschaut, wird sich womöglich wundern, ob er wirklich in einem Politikmagazin gelandet ist. "Entführt von der eigenen Mutter – Wie ein verzweifelter Vater seine Kinder in Japan sucht", lautet beispielsweise der Titel eines Beitrags, mit dem "Report München" am 27. August anfing. Gefühlsbetont startet auch "Report Mainz" am 20. August: Zum Auftakt kommt die Leidensgeschichte eines Mannes, der aufgrund seines berufsbedingten Kontakts mit Montageschaum Krebs bekam, aber von der gesetzlichen Unfallversicherung kein Geld erhält. 

Erst am Ende der Sendung läuft dann der Beitrag zum Thema "Gefährliche Verschwörungstheorien. Wer verbreitet die Ideologie der Attentäter von Christchurch und El Paso in Deutschland?" Einer dieser "Verbreiter": Björn Höcke, Landeschef der AfD in Thüringen, wo Ende Oktober ein neuer Landtag gewählt wird. Am 10. September baute die Redaktion ihre Sendung ähnlich auf: Die Recherchen zur vielfältigen Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD auf kommunaler Ebene, die online in Form von Textzusammenfassungen bereits vor der Sendung starke Verbreitung gefunden hatten, kamen erst ganz hinten.

Warum stellt ein Politikmagazin derart brisante Beiträge ans Ende? Und gefühlige an den Anfang?

Die Erklärung für solche Programmierungen: Direkt vor den Politikmagazinen am Dienstag läuft die quotenträchtige Krankenhaus-Serie "In aller Freundschaft". "Wir wissen aus der Medienforschung ganz genau, was für ein Zuschauertypus uns da übergeben wird", sagt Fritz Frey, Fernseh-Chefredakteur beim SWR und Moderator von "Report Mainz". Deshalb starte man gerne mit "einem Thema, das die ZuschauerInnen in ihrer Lebenswirklichkeit abholt. Als politisches Magazin haben wir eine größere Gestaltungsfreiheit als zum Beispiel die 'Tagesschau', die immer mit dem nachrichtlich relevantesten Thema beginnen muss."

Das Prinzip des sogenannten Audience Flow gilt auch am Ende: Ein Teil der Zuschauer, der die nach der Sendung beginnenden "Tagesthemen" sehen will, schaltet schon in der Schlussphase von "Report Mainz" ein. Deshalb lässt die Redaktion ein politisch besonders relevantes Thema direkt auf die "Tagesthemen" auflaufen.

Auch die besagte Ausgabe von "Report München" bringt politisch Relevantes zum Schluss. Am Ende lief ein Bericht, der auf internen Dokumenten der sogenannten Grenzschutzagentur Frontex basierte – eine Zusammenarbeit mit dem "Guardian" und dem gemeinnützigen Recherchezentrum "Correctiv". Die beteiligten Redakteure gelangten dabei zu dem Ergebnis, dass Frontex bei Grundrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen wegschaut. Das Problem war hier weniger die Platzierung innerhalb der Sendung, sondern die Länge des Films: Er war angesichts der Brisanz der Recherchen mit nicht einmal acht Minuten schlicht zu kurz.

Kritischer Blick auf anti-humanitäre Flüchtlingspolitik

Auch wenn es zynisch klingen mag: Die politischen Magazine haben in den vergangenen Jahren vom Rechtsruck in der Gesellschaft profitiert - ebenso von der gewachsenen Bedeutung des Themas Flucht und Migration. Solche Themen tragen zur Relevanz der Sendungen bei. Das gilt vor allem für "Monitor" und "Panorama".

Gerade die Redaktion von "Monitor" greift immer wieder die europäische und deutsche Flüchtlingspolitik auf. Und das mit einem angemessenen Fokus: Die Redaktion bricht ihre Beiträge auf den anti-humanitären Kern dieser Politik herunter und wird nicht müde, konkrete Rechtsverstöße anzuprangern – seien es, wie in diesem Jahr, Pushbacks an der türkisch-griechischen Grenze oder die unrechtmäßige Rückführung von Flüchtlingen aus Deutschland nach Italien, wo den Betroffenen die Obdachlosigkeit droht.

Zu den hervorhebenswerten Recherchen der jüngeren Vergangenheit gehört eine Kooperation von "Monitor" mit "Westpol", dem Politikmagazin des WDR Fernsehens. Es geht um den Tod eines Syrers, der – erwiesenermaßen – zu Unrecht in einem Gefängnis saß, in dem er schließlich unter nicht geklärten Umständen verbrannte. Der erste Beitrag zu dem Thema lief bei "Monitor" bereits im Oktober 2018.

Anders als noch vor zehn oder 15 Jahren haben die Redaktionen der Politmagazine heute viel breitere Möglichkeiten, ihre Recherchen zu verbreiten. Ein medienhistorisch noch relativ neuer Verbreitungsweg sind die Formate "Kontraste - die Reporter" (RBB) und "Panorama - die Reporter" (NDR). Beide sind Ableger der jeweiligen Mutter-Sendungen für längere Beiträge.

Die Redaktion von "Panorama" drehte in diesem Sommer exklusiv auf der Sea-Watch 3, die für einen zwischenzeitlichen Höhepunkt in der Debatte um private Seenotrettung steht, vor allem aufgrund der Konfrontation zwischen der Kapitänin Carola Rackete und dem damaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini. Zunächst lief ein 20-minütiger Beitrag in der "Panorama"-Hauptsendung im Ersten. Es folgten 45-minütige Fassungen bei "Strg_F" und "Panorama - die Reporter". In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober wird es dann noch eine 105-minütige Fassung zu sehen geben.

Ärgerlich dagegen sind die formalen Schwächen der Politmagazine. Dazu gehören als Gefühlsverstärker eingesetzte Musikteppiche, Autoren, die im Bild sind, ohne dass die Machart des Films es erfordert - und vor allem Textbausteine und Floskeln wie "Wir fragen nach: Wie kann es sein, dass …?" oder "Wir wollen es genauer wissen". Oder pseudo-naive Fragen, wie etwa in dem bereits erwähnten "Report Mainz"-Film über Björn Höcke. "Wer ist dieser Mann? Was will er politisch?" heißt es da allen Ernstes. Warum tun die Macher hier so, als wäre ein Mann, vor dem es seit Jahren kein Entkommen gibt in der politischen Berichterstattung, eher unbekannt?

Regierungsvertreter meiden die kritischen Formate

"Report Mainz" habe eine breite Zielgruppe, sagt Fritz Frey dazu. Die kritisierten Formulierungen seien ein Ausdruck "unseres Bemühens, unseren Zuschauern auf Augenhöhe zu begegnen und eben nicht von der Kanzel runter zu predigen". Dazu gehöre auch, die Fragen einzubauen, "die sich die nicht umfassend Informierten vor dem Fernseher stellen." Aber: Man könne "darüber diskutieren, ob das Pendel in diesem Fall zu weit in Richtung Naivität ausgeschlagen ist."

Ein "wirklich strukturelles Problem" der politischen Magazine sieht Frey darin, dass kaum noch Regierungsvertreter für Interviews zu gewinnen seien. Einer der Gründe: In Talkshows ist es relativ leicht, eine gute Figur zu machen. Komplexe Themen werden hier selten vertieft. Setzt man sich dagegen bei "Panorama", "Monitor" und Co. detaillierten kritischen Fachfragen aus, besteht das Risiko, dass man alt aussieht. Da sei es einfacher, wenn eine Ministeriums-Pressestelle "eines dieser hocherotischen Faxe" verschicke, spöttelt Frey. Generell habe er den Eindruck, dass in den Ministerien eine "Erst mal abwarten"-Haltung vorherrscht. "Die sagen sich: Wenn es eine zweite Welle gibt, können wir immer noch vor die Presse gehen. Und wenn sich ein Beitrag versendet, war es schlau, dass wir uns nicht geäußert haben."  


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1 Kommentar verfügbar

  • Helga Stöhr-Strauch
    am 04.10.2019
    Antworten
    Ein sehr interessanter Beitrag, der sich die Mühe macht, das eigene Genre kritisch zu hinterfragen.
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Ausgabe 709 / Bedeckt von braunem Laub / bedellus / vor 1 Tag 21 Stunden
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