Nach Brexit-Chaos, Bahamas-Wirbelsturm und Unions-Klimaklausur versuchte sich Caren Miosga in anthroposophischer Bewegungskunst – und tanzte eurythmisch das Wort "Tagesthemen". Zwar nicht vor laufenden Kameras, sondern nur in Bildern auf der riesigen Studio-Videowand. "Das hier ist weder Akrobatik noch Cheerleading, sondern schlicht das ABC, so wie es die Waldorfpädagogik lehrt", moderierte Miosga am 3. September einen Beitrag über die anthroposophischen Schulen an, die in diesen Tagen ihr 100-jähriges Gründungsjubiläum feiern.
Der anschließende Film zeigte anhand der Interkulturellen Waldorfschule Mannheim, "warum diese Art zu lernen auch heute noch viele Schüler und deren Eltern bewegt" (Miosga). Allerdings kam der vom SWR zugelieferte Beitrag nicht bei allen Zuschauern gut an. "Werbeunterbrechung für Waldorfschulen in den Tagesthemen" monierte etwa der Waldorf-Kritiker Andreas Lichte im Humanistischen Pressedienst. In einem ausgewogenen Beitrag, wie man ihn von öffentlich-rechtlichen Medien erwarten dürfe und müsse, hätte auch Kritisches über das Waldorf-Konzept und seinen Gründer Rudolf Steiner Erwähnung finden müssen, so Lichte.
Schule der Bildungsbürger und Exportschlager
Lobhudelei hin, Lehrkonzeptschelte her. Tatsächlich bekamen die "Tagesthemen"-Zuschauer nur einen Ausschnitt aus einer 45-minütigen Reportage zu sehen, die zwei Tage später in voller Länge im dritten Programm des Südwestrundfunks (SWR) ausgestrahlt wurde. In "Waldorf global: Eine Schule geht um die Welt" präsentierte SWR-Redakteurin Esther Saoub noch ausführlicher die Schule im Mannheimer Brennpunktviertel Neckarstadt-West, in der Kinder aus unterschiedlichsten Schichten und Kulturen gemeinsam lernen. Damit suchte sich die Autorin allerdings einen anthroposophischen Solitär aus: bis heute besuchen vor allem Kinder aus dem gehobenen deutschen Bildungsbürgertum die hiesigen Waldorf-Schulen, während Migrantenkinder deutlich unterrepräsentiert sind. "Ich wollte nicht das Gleiche immer wieder erzählen", begründete Saoub ihre Auswahl in einem Radiointerview.
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Andreas Lichte
am 25.06.2020