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Die Niedermacher

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Ein Jahr vor der Landtagswahl redet die Opposition wider besseres Wissen die neuen Ganztagsgrundschulen schlecht. Den Bildungspolitikern von CDU und FDP geht es weniger um moderne Schulen und Bildungserfolg. Deutlich stärker ist ihr Verlangen, grün-rote Reformen aus Prinzip niederzumachen.

Stapelweise belegen Studien die Vorzüge jenes Schultyps, der Unterricht und Pausen, Lernzeiten, Spiel und Spaß verlässlich über den Tag verteilt. Für die Kinder zuallererst, für ihr Miteinander, den Lernerfolg, die soziale Kompetenz, den häuslichen Alltag. Wenn Schule in der Schule bleibt und Hausaufgaben oder Nachhilfe der Vergangenheit angehören, für die verlässliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weshalb nicht zuletzt die Wirtschaft seit Jahren auf verbindliche Ganztagsangebote drängt. In Baden-Württemberg findet sie damit nicht viel Gehör ausgerechnet bei jenen Parteien, die sich ihnen besonders nahe fühlen.

Natürlich sind die mannigfaltigen Erkenntnisse an den Bildungspolitikern von CDU und FDP nicht vorübergegangen. Georg Wacker, bis 2011 Staatssekretär in Kultusministerium, und der Liberale Timm Kern wissen genau um die Nachteile der traditionellen Halbtagsschule und dass freiwillige Betreuung in den Nachmittagsstunden niemals von der Qualität eines durchstrukturierten Angebots ist. Sie wissen um den hinterlassenen Reformstau und dass Baden-Württemberg Schlusslicht in vielen einschlägigen Statistiken ist. Aber sie wollen zurück an die Macht. Und das um fast jeden Preis, sogar dank billiger Punkte im gefährlichen Spiel mit alten Vorurteilen. Es geht nicht um Straßenbau, nicht um Windräder oder Industrie 4.0, es geht um Kinder und deren Chancen in einer Zeit, da unentwegt demografischer Wandel und Fachkräftemangel beschworen werden, und darum, dass gerade im reichen Südwesten der Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft beschämend groß ist. 

Das CDU-Mütterbild: von vorgestern

Die letzte CDU-Kultusministerin Marion Schick – Quereinsteigerin aus Bayern und alleinerziehende Mutter – wollte mit genau diesem Argument die Ganztagsschule kurz vor knapp im Winter 2011 sogar noch im Schulgesetz festschreiben. Auch sie konnte sich aber nicht durchsetzen gegen die Hardliner in der eigenen Fraktion, die ihre verstaubte Ideologie ins dritte Jahrtausend gerettet hatten und auch weiterhin kämpfen wollen fürs dreigliedrige Schulsystem und eine Mütterrolle von vorgestern. Was besonders absurd anmutet angesichts des Umstands, dass die Union im Südwesten 2011 vor allem von jungen und jüngeren Frauen abgewählt wurde.

Die Sturheit hat Methode. Seit so langer Zeit: 1979(!) unterbreitete der niedersächsische CDU-Schulminister Werner Remmers seinem Stuttgarter Kollegen und Parteifreund Roman Herzog den Vorschlag, in der bildungspolitischen Debatte "neue Wege unvoreingenommen zu prüfen und jeweils das pädagogisch Überzeugende aufzugreifen". Die Union habe keine überzeugenden Konzepte und setze in ihrer Schulpolitik allzu sehr auf Streit. Gut gebrüllt, allerdings nicht erhört: Herzog, der spätere Bundespräsident und Autor der berühmt gewordenen Ruck-Rede, mit der er von der bundesdeutschen Gesellschaft ausgerechnet Mut zur Innovation einforderte, winkte ab. Der Jurist wollte Ideen nur dann aufgreifen, wenn sie bestätigende Erkenntnisse für das althergebrachte System aus Haupt- und Realschule und Gymnasien versprächen. Seine Jahre im Kultusministerium wird er im Rückblick als seine schlimmsten Jahre seines Berufslebens bezeichnen, für Baden-Württemberg waren es verlorene.

Remmers unternimmt sogar einen zweiten Anlauf, ebenfalls ohne Erfolg. "Wir brauchen die vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Elternhaus und Schulen; den gefährlichen Tendenzen zur Ganztagsschule, die den elterlichen Einfluss entscheidend schmälern, werden wir nicht folgen", beschied Ministerpräsident Lothar Späth 1980 endgültig, obwohl da schon seit sieben Jahren entsprechende Empfehlungen der Kultusministerkonferenz auf dem Tisch lagen. In vielen Modernisierungsfragen wuchs dem Realschulabsolventen später der Nimbus des scheuklappenlosen Wegbereiters zu. Die Bildungspolitik gehörte nicht dazu. 

Auf Herzog folgten weitere verlorene Jahre und Gerhard Mayer-Vorfelder, der Ganztagsangebote als ideologischer Überzeugungstäter besonders vehement ablehnte, unter anderem mit dem Argument, Apothekers- und Arztgattinnen wollten sich nachmittags ohne Kinder doch nur selbst verwirklichen können. Ein von einer parlamentarischen Arbeitsgruppe 1990 vorgelegtes "pädagogisches und organisatorisches Konzept zur Ganztagesbetreuung von Kindern in der Grundschule", samt benötigter Räume, Materialien, Lehrkräfte und Finanzierung, zerpflückte der konservative Fußballfan genüsslich. Ganztagsschulen arbeiteten 30 Jahre im Status des Modellversuchs – Guinnessbuch-rekordverdächtig nennt der heutige Kultusminister Andreas Stoch (SPD) das. Der Aufholbedarf ist immer noch riesig. 

Die Liberalen treiben es besonders bunt

Dennoch, Psychoanalytiker würden vielleicht sagen: deshalb, ist die Debatte über Bildungspolitik in den vergangenen vier Jahren wie keine andere völlig frei von jener konstruktiven Mitarbeit verlaufen, die Oppositionsabgeordnete in jeder Sonntagsrede zu versprechen pflegen. Da wurde und wird nicht differenziert zwischen Gelungenem und dem, was nicht ausgereift war im Übereifer der Regierungsneulinge, zwischen handwerklichen oder konzeptionellen Fehlern. Was Grün-Rot anpackt, kommt in denselben Sack, um draufzuschlagen: vom Ende der verbindlichen Grundschulempfehlung bis zum neunjährigen Gymnasium – beides von Eltern dringend gefordert –, von der Einführung der bis heute als "sozialistischen Einheitsschule" diffamierten Gemeinschaftsschule bis zum Ganztagsunterricht. Die Liberalen treiben es besonders bunt mit ihrer Teilnahme an den Gesprächen zum Schulfrieden einer- und abfälliger Kritik andererseits. Von "rhythmisierter Pflichtganztagsschule" sprach Kern vergangene Woche, als Stoch die – positiven – Ergebnisse einer ersten Umfrage unter jenen gut 170 Grundschulen vorlegte, die sich auf Basis der neuen Regeln zum Rhythmisierung ihres Angebots entschieden haben.

Der FDP-Abgeordnete, ein Gymnasiallehrer, favorisiert dennoch eine Art Betreuungsform light, mit offenen Angeboten am Nachmittag, eher nach dem Motto "Kommst du heut nicht, kommst du morgen". Da war sogar CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger deutlich weiter, der Baden-Württemberg zum Kinderland umbauen wollte, auch dank deutlich vermehrter Ganztagsschulen mit zeitlicher Verpflichtung. Als er 2006 sein Amt antrat, standen dem Statistischen Landesamt zufolge in den baden-württembergischen Landkreisen 17 Betreuungsplätze über den Vormittag hinaus für tausend Kinder unter 14 Jahren zur Verfügung, in den Stadtkreisen waren es 98. Der Südwesten hinkte sogar Bayern und Hessen hinterher, vom Norden und von Osten ganz zu schweigen. Oettingers Vorgänger Erwin Teufel hatte in seinen 15 Amtsjahren jeden Gedanken an eine Ausdehnung des schulischen Angebots auf den Nachmittag entschieden abgelehnt, nach der guten alten Hausvaterregel, wonach Kinder zur Mutter gehören – nicht nur in den Kindergarten- und Grundschuljahren. Noch heute argumentiert er gegen den Ganztag, sogar im Gymnasium.

Der Zwang, den CDU und FDP entgegen der Realität beklagen, ist von Ausnahmen durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Nicht einmal fünf Prozent der Grundschulen im Land haben sich, selbstverständlich nur auf Wunsch der Elternmehrheit, bisher für jene Variante entschieden – verpflichtend an vier Tagen in der Woche acht Stunden –, der die Wissenschaft schon seit Längeren beste Noten ausstellt. Dennoch sieht Wacker Elternbedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt, "beispielsweise bei Arztbesuchen, Vereinstraining, Musikproben, medizinischen Anwendung u. v. m". Er verspricht die Rolle rückwärts und "die Zeit zwischen Schulende und Arbeitsschluss der Eltern vernünftig in das Konzept einzubinden". 

Von den Schülern und Schülerinnen redet er, nicht anders als der Kollege Kern, eher selten und damit an Fachleuten schon lange vorbei. "Nachmittägliche Betreuung mag berufstätigen Eltern entgegenkommen", weiß der Chef der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, "dem Lernerfolg der Kinder hilft das weniger." Die alles andere als linksverdächtigen Bildungsforscher haben in den vergangenen Jahren Dutzende Untersuchungen zum gerade gesellschaftspolitisch brisanten Thema präsentiert. "Guter Ganztag" bedeute "eine regelmäßig Teilnahme aller Schüler und Schülerinnen, eine hohe Qualität der Lernangebote und eine Einbettung in kommunale Bildungslandschaften – also die Zusammenarbeit etwa mit Kindertagesstätten, Ausbildungsbetrieben, Musikschulen und Sportvereinen", hieß es vor zweieinhalb Jahren in einer Forderung, die genau das beschreibt, was Grün-Rot 2014 im Schulgesetz verankert hat.

Wildwuchs und babylonischen Sprachverwirrung

Unter der der Überschrift "Chancengleichheit 2014" verlangen die Experten der Stiftung einen Rechtsanspruch für alle Kinder auf den gebundenen Ganztag, also den qualitativ hochwertigen – und teuren – Wechsel von Unterricht und Betreuung. Ausdrücklich beklagt wird der Wildwuchs und dass zu viele Akteure absichtlich den Begriff verwässern. CDU-Landeschef Thomas Strobl lieferte umgehend den Beleg dafür, wie wichtig ein Ende der babylonischen Sprachwirrung wäre. Er ist ebenfalls für einen Rechtsanspruch, aber natürlich nur auf das, was er für Ganztag hält – die sogenannte offene Form, mit ebenjenen so oft kritisierten, von seiner Partei aber favorisierten weitgehenden Elternfreiheiten.

Stoch hat dennoch Kreide gefressen, inhaltlich wie verbal. Die neuen gesetzliche Regelungen bieten allen 2500 Grundschulen im Land vier Modelle an: sieben oder acht Stunden an vier oder drei Tagen. Ohne Verfallsdatum zugelassen sind aber zusätzlich jene alten CDU/FDP-Ganztags-Varianten an Hunderten von Standorten im Land. Weil, verteidigt der Kultusminister seine Kompromissbereitschaft, "die Debatte von interessierter Seite sonst immer weiter angeheizt würde". Bekanntlich schrecken seine Gegner vor wenig zurück, nicht einmal vor persönlichen Untergriffen.

Peter Fratton, der renommierte Schweizer Experte für längeres gemeinsamen Lernen und Lehren, hatte im Mai 2013 das Handtuch geworfen als Berater der Landesregierung. Nicht ohne die Botschaft zu hinterlassen, eine Debattenkultur wie die im Südwesten habe er noch nie erlebt in seiner langen Laufbahn. Und eine Fundamentalopposition wie die von CDU und FDP auch nicht.


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9 Kommentare verfügbar

  • Gela
    am 14.03.2015
    Antworten
    Warum muß die Diskussion auch hier wieder so ideologisch geführt werden? Es geht doch gar nicht darum, die Ganztagsschule verpflichtend für alle einzuführen, sondern sie den Familien zu ermöglichen, die sie haben möchten. Es besteht kein Zweifel, daß sehr viele Eltern nicht die Möglichkeit haben,…
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