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Friedensdemo in Stuttgart

Krieg – oben beschlossen, unten bezahlt

Friedensdemo in Stuttgart: Krieg – oben beschlossen, unten bezahlt
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Protest gegen den Krieg in Gaza, in der Ukraine und gegen die millionenschwere Aufrüstung in der Republik hat am Tag der Deutschen Einheit Tausende Menschen in die Stuttgarter Innenstadt gezogen. Das Motto "Nie wieder kriegstüchtig" führte ein breites Spektrum zusammen.

Nach langer Zeit brachte die Friedensbewegung mal wieder Massen auf die Straße. In Stuttgart war eine bunte Mischung aus Friedensinitiativen, Parteien und Aktivistengruppen, die sich am vergangenen Freitag zusammenfand. Im Vergleich zu Friedenskundgebungen nach Beginn des Ukraine-Krieges waren nicht nur insgesamt deutlich mehr Menschen dabei, vor allem fielen die vielen jungen Leute auf.

Zeitgleich mit den 15.000 Teilnehmer:innen gingen in Berlin um die 20.000 (beide Zahlen laut Veranstaltern) gegen Aufrüstung und für mehr Diplomatie auf die Straße. Die Vorbereitung für die Proteste dürfte mühsam gewesen sein. Wer schon einmal Bündnisgespräche geführt hat, weiß wie kleinteilig manche Organisationen diskutieren können. Vielleicht steckt hinter der schlussendlichen Einigung die Erkenntnis, dass ideologisch geprägtes Einzelkämpfertum nicht erfolgversprechend ist, wenn viele Menschen erreicht werden sollen.

So kommt ein breites Spektrum zusammen. In den Redebeiträgen zur Auftaktkundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz, die nahezu alle hier nachzulesen sind, dreht sich zunächst sehr viel um den Krieg in Gaza. Rihm Hamdan von "Palästina spricht" und Wieland Hoban von der "Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden" – beide Organisationen werden vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft – erinneren an die zigtausend getöteten Kinder in Gaza, lehnen den Trump'schen Friedensplan als imperialistisch ab. Hoban schimpft, die deutsche Bevölkerung könne Stolpersteine putzen, aber keinen Krieg beenden, und die deutschen Gewerkschaften sollten endlich zum Streik und zu Blockaden von Waren nach Israel aufrufen. Belohnt werden die Reden mit "Viva Palästina"-Rufen und die Moderatorin Witrud Rösch-Metzler von Pax Christi schafft es geschickt, das Thema zu versachlichen: Sie forderte eine Aussetzung des EU-Handelsabkommens mit Israel sowie Stopp von Waffenlieferungen.

Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin des BSW (früher Linken-Bundestagsabgeordnete), bleibt der russlandfreundlichen Linie ihrer Partei treu. Sie beschuldigt die Bundesregierung, Desinformation gegen Russland zu betreiben, russische Desinformation, den Namen "Putin" oder gar den russischen Krieg gegen die Ukraine erwähnt sie nicht. "Wir wollen keinen Krieg mit Russland", ruft sie unter Beifall und wettert gegen die von deutschen Regierungspolitiker:innen immer wieder geforderte Kriegstüchtigkeit.

Abrüstung hat schon mal funktioniert

Differenzierter wird es mit dem Sozialdemokraten Lothar Binding, der über 20 Jahre lang für den Wahlkreis Heidelberg im Bundestag saß und heute Bundesvorsitzender der SPD AG 60 plus ist. Mitte dieses Jahres hat er am SPD-Friedensmanifest mitgewirkt, das in der eigenen Partei auf wenig Begeisterung stieß. Binding forderte weniger Waffen und mehr Diplomatie, erinnerte an erfolgreiche Abrüstungsverhandlungen in früheren Jahrzehnten und erläuterte den Vorschlag, dass Deutschland eine Friedensplattform schaffen sollte, um mit anderen Staaten vertrauensbildende Maßnahmen auf den Weg zu bringen.

Während Ronja Fröhlich vom Bündnis "Nein zur Wehrpflicht" eben diese Haltung konkretisiert – Kriege vorzubereiten und zu führen, "ist nicht in unserem Interesse" –, sammeln sich die ersten Gruppen zum Demozug. Welcher Block sich wo aufstellt, ist geklärt. "Müssen wir mit dem Pali-Block reden, wegen verbotener Parolen?", fragen zwei junge Ordnerinnen im Organisationspavillon Sigrid Altherr-König von der Demo-Leitung. "Nein. Das müssen die selber wissen", lautet die Antwort. Nur vermummen gehe gar nicht, das habe sie auch den Autonomen klar gemacht. "Ich weiß auch gar nicht, was das soll. Ich zeig doch auch mein Gesicht", betont die Friedensaktivistin.

Der Demo-Zug formiert sich, die einzelnen kleineren oder größeren Gruppen lassen sich im Vorbeiziehen gut erkennen: "Spirituelle Friedenskampagne", "Gmünder Friedensbündnis", DKP, "Sozialismus von unten", Die Linke, Verdi, diverse MLPD-Gruppen wie Courage oder Umweltgewerkschaft, Freiheit für Gaza, SDAJ, Kuhle Wampe, Kurdinnen und Kurden, türkische Arbeitnehmer und und und. Enge Polizeibegleitung bekommt vor allem der etwa 600 Menschen umfassende autonome Block. Und auch wenn die beiden Gruppen hier keine Freundschaft schließen – beide halten sich zurück und es gibt bis zum Ende keinen Ärger. Wer fehlt, sind junge Familien und Durchschnittsbürger:innen, wie sie bei den großen Anti-AfD-Demos Anfang des Jahres zahlreich vertreten waren.

Käßmann rät, den Wehrdienst zu verweigern

Der Zug ist lang und noch bevor alle wieder auf dem Schlossplatz eintreffen, geht es dort mit den Reden weiter: Margot Käßmann, die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende, berichtet ruhig und nachdrücklich vom Grauen des Krieges. Für sie ist eine Wehrpflicht in Wahrheit ein Kriegsdienstzwang, der Kanonenfutter schafft. Sie ruft auf, den Kriegsdienst zu verweigern und fragt, "warum unser Staat das Gewissen derer prüft, die den Kriegsdienst verweigern, nicht aber das Gewissen derer, die ihn leisten wollen".

Verdi Baden-Württemberg hatte als einzige Gewerkschaft auf Landesebene zur Demo aufgerufen und so steht auch ihre Vorsitzende Maike Schollenberger auf der Bühne. Die Zahl der Verdi-Flaggen im Protest ist überschaubar. Intern sei intensiv über den Aufruf diskutiert worden, berichtet Schollenberger, und betont, dass man nicht alle Haltungen der mitmachenden Gruppen teile, aber Gewerkschaften seien ein aktiver Teil der Friedensbewegung. Nun ja. Zwar sind einzelne IG Metall-Fahnen zu sehen, doch zur Demo aufgerufen hat die größte deutsche Gewerkschaft nicht – mutmaßlich, weil sie auch die Beschäftigten der Rüstungsindustrie organisiert. Schollenberger aber stellt klar: "Kriege werden von oben beschlossen und von unten bezahlt." Das zeige sich auch an Äußerung des baden-württembergischen Finanzministers Danial Bayaz (Grüne) Anfang März, wonach für die geplante Aufrüstung eben woanders gespart werden müsse. Bayaz schlug vor, einen Feiertag zu streichen oder einen Waffen-Soli einzuführen. Auch die aktuelle Idee aus der CDU, den Pflegegrad 1 zu streichen, belegt laut Schollenberger, welche Folgen die Aufrüstung zeitigt.

Langsam aber sicher leert sich der Platz während Ulrike Eifler, Gewerkschafterin und Linken-Politikerin, Vinzent Leuze und Emma Schönleben von der Verdi-Jugend sowie Anthony Cipriano vom VVN/BdA Baden-Württemberg sprechen. Nach so vielen Redner:innen ist naturgemäß nicht mehr viel Neues zu hören, die Demo-Teilnehmenden aus Würzburg, Nürnberg, Frankfurt müssen zu ihren Bussen oder zum Bahnhof. Die Stimmung ist gut, endlich hat man sich mal wieder mit vielen anderen zeigen können. Das stärkt und gibt Energie, um weiter aktiv zu bleiben.

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