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Elbit, Gaza und die Ulmer Friedenswochen

Zwischen Randale und Kunst

Elbit, Gaza und die Ulmer Friedenswochen: Zwischen Randale und Kunst
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 Fotos: Jens Volle 

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In Ulm, der Stadt der Rüstungsindustrie, laufen gerade die Friedenswochen. Der Einbruch in die dort ansässige israelische Rüstungsfirma Elbit gehörte nicht zum Programm, sorgt aber für Schlagzeilen. Es ist sogar von Terror die Rede.

Ein Video aus der Pro-Palästina-Szene hat in wenigen Tagen mehr als hunderttausend Aufrufe auf Youtube erzielt. Zu sehen sind vier Leute, die ins Elbit-Gebäude in Ulm Böfingen eingedrungen sind. Teils tragen sie Pali-Tücher, einer ist vermummt, ein fünfter filmt. Zunächst ist es vor allem schwarz, den Geräuschen nach wird auf Gegenstände eingeschlagen, dann wird es heller, in dem Raum befinden sich offenbar Computer, ein roter Rauchtopf wird gezündet, an die Wand "Baby Killer" gesprayt, die vier stehen dann etwas ratlos wirkend herum, der Filmer animiert zu "Free, free Palestine" und "Intifada"-Rufen. Das geht 72 Sekunden lang, besonders planmäßig wirken die Einbrecher:innen nicht. Waren sie vielleicht selbst überrascht, dass sie es ins Gebäude der Rüstungsfirma geschafft hatten?

8.9.2025: Aktivist:innen der Palestine Action Germany brechen bei Elbit Systems in Ulm ein.

Ulm ist bekannt für seine vielen Rüstungsbetriebe. Die Webseite der Organisation Friedensregion Ulm listet 17 auf, vom Waffenhändler bis zu Unternehmen, die an der Donau daran arbeiten, Waffen und militärische Ausrüstung noch effektiver, sprich tödlicher zu machen. Thales, Airbus, Adlon, Hensoldt, Iveco sind nur einige von ihnen. Auch Elbit Systems ist dabei, das nach eigenen Angaben militärische Kommunikationsgeräte, etwa Funkgeräte für die Bundeswehr entwickelt. Das Unternehmen gehört zu den größten Rüstungsunternehmen Israels, 80 Prozent der Drohnen des Militärs stammen von Elbit, schreibt die Informationsstelle für Militarisierung Tübingen. Das macht Elbit-Niederlassungen seit dem Israel-Gaza-Krieg auch in anderen Ländern immer häufiger zum Protestziel von Pro-Palästina-Gruppen. In Ulm wurde demonstriert, gecampt – und nun eben eingebrochen.

In Ulm werden Alternativen zu Kriegen diskutiert

Die Stadt an der Donau hat aber nicht nur Rüstungsunternehmen, sondern seit 1977 die Friedenswochen. Einen Monat lang laden 30 Organisationen und Initiativen zu Gottesdiensten, Vorträgen, Mahnwachen. Sie wollen zeigen, was Frieden verhindert, es geht um Machtstrukturen, Alternativen zu Krieg, Handlungsmöglichkeiten. Handlungen wie Einbrüche gehören nicht dazu.

Dazu gehört dagegen die Ausstellung "Nie wieder Krieg! Die Waffen nieder!" im Kunstpool am Ehinger Tor, die nun eröffnet wurde. Fünf Künstler und eine Künstlerin zeigen in der Galerie am Busbahnhof ihre Werke. Auf einer alten Schulweltkarte sind brandrot Orte markiert, davor steht ein Holzgnom, der Great Garloo, einen halben Meter hoch, der einen Panzer zertrümmert. "Tretet die scheiß Waffen in die Tonne" steht verteilt auf der Karte. Das Ensemble stammt von Edgar Braig aus Münsingen, Ausstellungsmacher Reinhard Köhler bezeichnet ihn als einen verschmitzten und immer humorvollen Künstler. Dominiert wird der kleine Raum vom Triptychon "Kriegsschrei" des Fotografen Manfred Schwellies: Ein übergroßes Gesicht in blutrot mit aufgerissenem Mund, in dem historische Aufnahmen von Soldaten und ein hungerndes Kind zu sehen sind. Näher ran muss man an die Bilder von Köhler selbst: Kleine Fotocollagen, hier ein verwundeter Soldat, dort ein von einer Granate aufgerissener Bauch. "Man muss zeigen, was Waffen anrichten", sagt der 70-Jährige.

Der ehemalige Musiklehrer ist der Vorsitzende des Vereins Kunstwerk, der zusammen mit dem Sozialverein Weststadt den ehemaligen Bahnhofskiosk betreibt. Meistens gibt es Jazzkonzerte und immer mal wieder Ausstellungen (Kontext berichtete). Für Köhler ist Kunst eine Möglichkeit, politisch Stellung zu beziehen und in die Öffentlichkeit zu wirken. Das sei heutzutage wichtiger denn je.

Zu Köhler gesellt sich Lothar Häuser. Er ist 74, hat 35 Jahre lang die Politische Bildung bei der VHS Ulm geleitet, war wie Köhler – und wahrscheinlich die meisten der 35 Gäste bei der Ausstellungseröffnung – 1977 bei der Gründung der Friedenswochen dabei und organisiert sie bis heute mit. Das liefe übrigens ziemlich problemlos mit den beteiligten 30 Gruppen, sagt er. Auch aktuell, denn nicht alle seien von Aufrüstung und Wehrhaftigkeitsappellen begeistert. Beide sind geschockt, wie schnell in der Öffentlichkeit die entsprechende Propaganda Fuß gefasst habe. Wie zum Beweis fährt vor dem Galeriekiosk eine Straßenbahn in Flecktarn vorbei – Werbung der Bundeswehr. Häuser: "Wir haben ja hier so viele Rüstungsfirmen und früher waren die eher so Bäh." Das habe sich geändert. Nun seien Leute stolz darauf, dass sie dort arbeiten oder darauf, dass Ulm diese Firmen hat. Die viel Geld bringen, oder? "Ja", seufzt Häuser. "Die zahlen auch richtig gute Löhne."

Dieser Einbruch war ziemlich einfach

Von dem Einbruch bei Elbit wissen die beiden Männer aus der Zeitung. Die Pro-Palästina-Szene in Ulm sei eher überschaubar, sind sie sich einig. Dass sie eine gewisse Sympathie für diejenige hegen, die sich gegen Elbit und andere Rüstungsfirmen auflehnen, ist offensichtlich. Köhler regt sich vor allem über die Berichterstattung auf. "Wenn das Terrorismus sein soll – ist das nicht eine Verharmlosung des Begriffs?" Den Begriff hatte der israelische Botschafter in Deutschland Ron Prosor über die Plattform X eingebracht: "Diese Angriffe sind terroristische Akte – sie müssen klar benannt und hart bestraft werden. Antisemitismus und Terror dürfen in Deutschland keinen Platz haben." Und Unterstützer der Hamas seien die Täter auch.

Hiesige Medien schrieben von "Anschlag", "Angriff", "Attacke". Weil es Graffiti, Farbbeutel und Rauchbomben gegeben hatte? Offenbar hatten die Täter:innen bei Elbit Fensterscheiben eingeschlagen, sind dann eingestiegen, haben randaliert. Gegen 3:30 Uhr bemerkte ein Sicherheitsmann den Einbruch, rief die Polizei und die konnte die fünf 23 bis 39 Jahre alten Frauen und Männer mit irischer, britischer, spanischer und deutscher Staatsangehörigkeit widerstandslos festnehmen. Sie sitzen nun in Untersuchungshaft, ihnen wird Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorgeworfen, einer Person soll gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben, teilte das LKA mit.

Es wundert einen, wie einfach die fünf in ein Gebäude eindringen konnten, in dem eine der größten israelischen Rüstungsfirmen ihren Deutschlandsitz hat. Andere Rüstungsunternehmen in Ulm wie Thales oder Hensoldt haben sich mit hohen Metallzäunen und Schiebetoren eingesperrt. Elbit dagegen sitzt in einem dreistöckigen 80er-Jahre-Bau, der seine beste Zeit hinter sich hat, die Zufahrt (Schild: "Privatstraße") führt vorbei an einer Baracke mit der Aufschrift "Wäsche und Dessous". Rund um das Elbit-Gebäude wachsen Büsche und Bäume, ein Trampelpfad kürzt den Weg von der Bushaltestelle zum Eingang ab. Ein paar Kameras hängen oben am Flachdach.

Am Tor stehen ein paar Tage nach dem Einbruch drei Sicherheitsmänner in schwarzen Uniformen, ausgestattet mit Waffe, Schlagstock und Bodycam. Den Sicherheitsdienst gibt es schon immer, sagt einer. "Jetzt aber verstärkt." Aufgeräumt sei der Schaden noch nicht vollständig. "Das dauert." Zu sehen sind rote Farbreste an der Fassade und ein Fenster im Erdgeschoss, das mit einer Pressspanplatte verrammelt ist. Oben am Gebäude ist noch der Namensabdruck der einstigen Firma Telefunken zu erahnen. Der Name Elbit dagegen ist nicht zu sehen – das Schild wurde nach dem Einbruch abmontiert, wie SWR-Aufnahmen vom Tag nach dem Einbruch nahelegen. Vielleicht damit Aktivist:innen die Rüstungsfirma nicht mehr finden?

Wenn das schon Terror ist

Nachdem zunächst der Staatsschutz des Landeskriminalamtes ermittelte, zog mittlerweile das Staatsschutzzentrum Baden-Württemberg diese Arbeit an sich. Die seit Anfang des Jahres bestehende Behörde, die direkt an das ebenfalls neue Staatsschutz- und Anti-Terrorismuszentrum beim Landeskriminalamt angebunden ist, soll die Ermittlungen bei großen Terror- und Staatsschutzverfahren bündeln. Im Februar nannte Justizministerin Marion Gentges (CDU) als Beispiel den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg im Dezember vorigen Jahres , bei dem ein Islamist mit einem Auto sechs Menschen tötete und 323 verletzte. Nun geht es also gegen Pro-Palästina-Aktivist:innen, die in eine Privatfirma eingebrochen sind und Sachen kaputt gemacht haben.

In Großbritannien wurde Palestine Action vor drei Monaten zu einer terroristischen Organisation erklärt und damit auf eine Stufe mit Al-Kaida oder dem Islamischen Staat gestellt. Die UN und Amnesty International haben das Verbot als massive Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisiert. Seit dem Erlass am 5. Juli wurden auf Demonstrationen mehr als 1.600 Menschen nach dem Terrorismusgesetz verhaftet, meldet die britische Zeitung "The Guardian". Das rigorose Vorgehen der Labourregierung sorgt allerdings nicht für eine Beruhigung der Lage. Im Gegenteil. Mit dem Labour-Parteitag am 28. September in Liverpool soll eine Protestwoche gegen das Verbot vom Palestine Action beginnen.

In Ulm bei der Ausstellungseröffnung denkt Lothar Häuser darüber nach, wie er zu Pro-Palästina-Aktionen steht. Aktionen wie den Einbruch bei Elbit hält er für politisch kontraproduktiv. So bekäme man Leute nicht auf die eigene Seite gezogen. Immerhin hat Elbit in Großbritannien Anfang September ein Werk geschlossen, der Guardian vermutet, (auch) weil ständige Protestaktionen die Sicherheitskosten in die Höhe getrieben hätten. "Tatsächlich?", fragt Häuser und grinst. "Ich begrüße das Protest-Camp." Das soll am heutigen Mittwoch beginnen, und zwar am Ulmer Safranberg, wo Elbit ebenfalls Räume hat. 150 Zelte hat die Kampagne "Shut Elbit Down" für das Camp bis zum Sonntag angekündigt.

Zwar ist das Protestcamp kein Programmpunkt der Friedenswochen, doch vielleicht schaffen es die unterschiedlichen Gruppen – dort vor allem junge Aktivist:innen, hier vor allem ältere Friedensbewegte – ja mal, zusammenzukommen. Noch bis zum 1. Oktober gibt es Friedensmahnwachen, Vorträge über Rechtsextreme, über Kognitive Kriegsführung und ein palästinensischer Kulturabend steht auch auf dem Programm, das hier abrufbar ist.

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