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Ausstellung "Halte-Gesichter" in Ulm

Ein großes Stück Menschlichkeit

Ausstellung "Halte-Gesichter" in Ulm: Ein großes Stück Menschlichkeit
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 Fotos: Manfred G. Schwellies 

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Datum:

Der Fotograf Manfred Schwellies zeigt Gesichter, die hinter den Waren und Dienstleistungen des Alltags stehen. Aktuell würdigt eine Ausstellung die Menschen, die die Ulmer Haltestelle Ehinger Tor am Laufen halten.

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Keine albernen Verrenkungen, keine gekünstelten Posen, keine dämlichen Filter: Es sind ehrliche Bilder von ehrlicher Arbeit, die hier zu sehen sind. Analogfotografien mit viel Klarheit, der Einsatz von Blitzlicht sorgt für hervorgehobene Gesichter und leicht abgedunkelte Hintergründe. Manche sind ernst, andere lächeln, aber nicht so, dass ein bis zu den Ohrläppchen hochgezogenes Grinsen den Verdacht vorgegaukelter Freude aufkommen lässt, sondern eher mit Stolz und Würde.

Insgesamt 30 Fotografien, größtenteils Portraits, sind in der "Kunstpool"-Galerie bei der Ulmer Haltestelle Ehinger Tor ausgestellt – und sie zeigen das Geschehen rund um den Verkehrsknoten. Allerdings nicht im Stile eines tourismusoptimierten Stadtmarketings, das fröhliche Familien beim Flanieren ablichtet. Vielmehr stehen die Arbeiterinnen und Arbeiter im Vordergrund, denen zu verdanken ist, dass so ein Verkehrsknoten funktioniert: "Das umfasst die Mitarbeiter in den Bäckereien genauso wie im Kiosk, der Galerie, den Ulmer Stadtwerken, die hier die Busse und Straßenbahnen fahren lassen, und das Personal bei der Straßenreinigung", erklärt der Fotograf Manfred Schwellies.

Gelangweilt von der Modefotografie

Zu Beginn seiner professionellen Karriere vor knapp 40 Jahren fotografierte Schwellies vor allem Mode in München. Das hat ihn dann zunehmend gelangweilt, viel spannender fand er die Gesichter der Industrie, weil er es authentisch mag. Daher sind über die Jahre viele Portraits aus der Arbeitswelt entstanden, die Reinhard Köhler gut gefallen haben: Er ist der künstlerische Leiter der "Kunstpool"-Galerie am Ehinger Tor und hatte die Idee, die Arbeit rund um die Haltestelle mit einer Serie zu würdigen. Schwellies war dafür leicht zu begeistern. Heute lebt er nahe Kassel, doch davor, von 1977 bis 2016, in Ulm.

"Wichtig war mir, dass ich die fotografierten Leute nicht in irgendwelche Posen zwingen wollte", erklärt Schwellies: Er wollte sie an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen abbilden und "auch, wenn sich alle Menschen verändern, sobald sie vor einer Kamera stehen", wollte er sie dabei so natürlich wie möglich zeigen. Ein Bild fällt dabei etwas aus der Reihe: Ein Mitarbeiter der Ulmer Stadtwerke ist beim Luftsprung abgelichtet. Das war ihm wichtig, erklärt Schwellies, also habe er darauf Rücksicht genommen. Kernanliegen seiner Bilder aus der Arbeitswelt ist, sichtbar zu machen, dass hinter den vielen Waren und Dienstleistungen, die unseren Alltag prägen, "immer ein großes Stück Menschlichkeit steckt".

Beispielsweise hat er schon Auftragsarbeiten für Firmen erledigt, deren Vorprodukte in Handys überall auf der Welt stecken. Doch bei der fertigen Ware ist meistens kaum noch nachvollziehbar, wer eigentlich am Produktionsprozess beteiligt war. Auch bei Dienstleistungen entstehe oft insofern Anonymität, dass in vielen Fällen kein Bewusstsein dafür ausgeprägt ist, welche Menschen dazu beitragen, wenn etwas reibungslos funktioniert.

Die Ausstellung am und zum Ehinger Tor ist also auch als ein Danke zu verstehen, das sich an diejenigen richtet, die früh am Morgen Brötchen backen, die Straßen sauber halten, die Bahnen und Busse steuern. "Als Betriebsseelsorgerin geht mir das Herz auf!", heißt es im Gästebuch zur Ausstellung, ein anderer Eintrag meint: "Es ist schön, dass mit der Ausstellung die eigentliche, normale Gesellschaft gewürdigt wird. Solche oder ähnliche Ausstellungen sollte es mehr geben." Ein Dritter richtet "Grüße an Bert" aus, der offenbar einer der Portraitierten ist. Die gezeigten Gesichter sind alle ohne Namen und ohne Hintergrundinformationen zu sehen – doch wer oft am Ehinger Tor unterwegs ist, wird das eine oder andere wiedererkennen.


Die Ausstellung "Halte-Gesichter" ist noch bis 14. Dezember in der "Kunstpool"-Galerie am Ehinger Tor in Ulm zu sehen, jeweils donnerstags und freitags von 17 bis 20 Uhr und an Samstagen von 15 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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1 Kommentar verfügbar

  • Werner
    vor 3 Tagen
    Antworten
    Ein Qualitätsmerkmal ist jedenfalls die Verweildauer. Ich habe es bei mir schon früher bemerkt, wie ich sehr oft Bilder in Zeitschriften oder anderen Medien in Sekundenbruchteilen, ansehe und bewerte und oft genug sofort wieder vergesse, da langweilig und kaum Aussage dahinter.
    Die hier gezeigten…
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