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Fotoausstellung "Like a Bird"

Mit Burka und Jonglierkeulen

Fotoausstellung "Like a Bird": Mit Burka und Jonglierkeulen
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 Fotos: Johanna-Maria Fritz 

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Datum:

Johanna-Maria Fritz fotografiert in Krisengebieten. Mehr als für Krieg und Gewalt interessiert sie sich für die Menschen, ihre Hoffnungen und Träume. Dies zeigt eine Ausstellung von Zirkusbildern aus der islamischen Welt im Stadthaus Ulm.

Ein Mann steht auf dem Rücken zweier Pferde, jeder Fuß auf einem Sattel. Er trägt enge, hohe Stiefel, enge Hosen mit breitem Gürtel, einen Cowboyhut mit seitlich hochgebogener Krempe und eine Wildlederjacke mit langen Fransen. Nein, das ist nicht Texas, das ist Gaza. Der 24-jährige Abdallah ist Zirkusreiter wie seine ganze Familie. Dass ihn Johanna-Maria Fritz am Strand aufgenommen hat, hängt damit zusammen, dass er hier täglich auftritt – gratis.

Der weite Horizont des Mittelmeers steht jedoch zugleich für die Situation der Menschen im Gazastreifen: Sie haben das Meer vor sich, aber sie können nicht weg. Sie sind in dem 40 Kilometer langen Küstenstreifen gefangen. Zirkusvorführungen bieten ihnen Gelegenheit, sich aus ihrem von wirtschaftlicher Not, hoher Arbeitslosigkeit und Zerstörungen durch israelische Luftangriffe geprägten Alltag wegzubeamen. "Wenn ich trainiere, bin ich wie ein Vogel", erklärte ein Akrobat der Fotografin. "Ich schwebe über allem, über Gaza und über all meinen Problemen, über dem Leben."

"Like a Bird", wie ein Vogel: So lautet der Titel der Serie von Johanna-Maria Fritz über Zirkuskultur in islamischen Ländern, aus der nun 101 Aufnahmen im Stadthaus Ulm ausgestellt sind. Die Ausstellung beginnt mit Palästina. Sie trennt jedoch nicht zwischen Gazastreifen und Westbank, was ein wenig schade ist, denn die Unterschiede sind groß und auf den Fotos zum Teil auch erkennbar. Man spricht von Autonomiegebieten, doch die Autonomie im Westjordanland ist begrenzt. Der Zirkuslehrer Mohammad Faisal Abu Sacha, den Fritz 2015 in seinem Haus in Bir Zait aufgenommen hat, wurde anschließend ohne Angabe von Gründen verhaftet und verbrachte zwei Jahre im Gefängnis. Er weiß nicht, was ihm vorgeworfen wird. Es gab keine Anklage, keinen Prozess. Am 30. August 2017 wurde er wieder entlassen.

"Wir lesen vom Nahostkonflikt hin und wieder in unseren Zeitungen", kommentiert Daniela Yvonne Baumann, die Kuratorin der Ausstellung, "bekommen aber oft sehr stark die israelische Seite dieses Konflikts präsentiert", der ein asymmetrischer sei. Im Gazastreifen regiert die Hamas, seit sie bei den Wahlen 2006 die absolute Mehrheit errungen hat. Er ist ein eigenständiges Gebiet, aber ohne Ein- und Ausgang. Ein Bild zeigt vermummte Kämpfer, die auf einem Pritschenwagen vorbeifahren, während ein bunter Clown auf Stelzen mit Jonglierkeulen am Rand steht und ihnen nachsieht.

Die Ausstellung stößt auf großes Interesse. Oberbürgermeister Günter Czisch (CDU) kam zur Eröffnung, der Saal war voll – nur die Fotografin fehlte. Sie war in Kiew und per Live-Video vom Majdan-Platz zugeschaltet. Seit zehn Jahren, seit sie die Berliner Ostkreuzschule besuchte, ein Ableger der gleichnamigen Foto-Agentur, ist die heute 29-Jährige viel in Krisengebieten unterwegs: Transnistrien, Afghanistan, Sudan, Bergkarabach. Und schon seit 2018 auch in der Ukraine. "Kommt Nacht, kommt Krieg" heißt eine damals entstandene Serie aus der Gegend von Donezk, die eine griechische Bevölkerungsgruppe im Grenzdorf Tschermalyk in den Blick nimmt, die gezwungen ist, zwischen den Fronten zu leben.

Schon damals war Krieg in der Ukraine, aber er war kein Nachrichtenthema. Heute drucken "Die Zeit", "Der Spiegel" und die "Neue Zürcher Zeitung" ihre Aufnahmen vom Frontgeschehen. Das interessiert Johanna-Maria Fritz weniger. Sie will die Menschen zeigen: Opfer, Täter, manchmal beides in einer Person. Im syrischen Rakka, einige Jahre Hauptstadt des Islamischen Staats, konzentrierte sie sich auf den Bildhauer Jumua al-Hamu, der trotz des Verbots aller Arten von Kunst heimlich weitergearbeitet hat.

Zirkusbegeisterte in Afghanistan

Immer wieder ist Fritz in Afghanistan. Seit 2002 war dort der Mobile Mini-Zirkus für Kinder im ganzen Land unterwegs, der auch Mädchen eine Gelegenheit bot, sich sportlich zu betätigen und ihnen Zugang zu Bildung verschaffte. Körperliche und geistige Aktivitäten unterstützten sie dabei, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln. Brush Akbar, die hier in Burka mit Jonglierkeulen zu sehen ist, war Näh- und Jonglierlehrerin des Zirkus, der seit der erneuten Machtübernahme der Taliban verboten ist – wenn auch einige Mitglieder im Geheimen weitertrainieren.

Mädchen und Jungen trainieren gemeinsam im zentralafghanischen Bamiyan. Es fällt auf, dass die Mädchen ein lockeres Kopftuch tragen, das die Haare nicht vollständig verdeckt. Auf einem anderen Bild jonglieren die dreizehnjährige Nedia und die ein Jahr ältere Rebia auf langen Stelzen, während vier kleine Jungen im trockenen Geröll hocken und ihnen bewundernd zusehen. Der Zirkus will oder wollte auch Werte vermitteln.

Am Rand von Kabul gibt es ein Lager für Binnenflüchtlinge – zu sehen im Bild unten links. Dort lebt dieser Junge, für den es in seinem Leben nicht viel Abwechslung gibt. Das Zirkustraining bietet eine willkommene Unterbrechung des grauen Alltags.

Der stärkste Mann der Welt kam aus dem Iran

Khalil Oghab, der "Vater des iranischen Zirkus", war ein Ausnahmeartist, der als "stärkster Mann der Welt" weltweit Aufmerksamkeit erregte. Er verbog Eisenstangen, ließ sich von Autos überfahren und stemmte Elefanten mit den Füßen in die Höhe. Der von ihm gegründete Zirkus überlebte bis 2018, streng kontrolliert von den Sittenwächtern. Zwei Jahre später starb Oghab im Alter von 98 Jahren, im eigenen Land gefeiert und dennoch verarmt.

Seinen Standort hatte der Khalil-Oghab-Zirkus zuletzt im Velayat Park, auf dem Rollfeld eines früheren Militärflughafens. Hier macht Chicho, der Clown, Kopfstand. Das Bild stammt aus dem Jahr 2016. Bald darauf verbot die islamische Republik dem Zirkus die Tierhaltung: ein schwerer Schlag, dem ein Jahr später die Auflösung folgte.

In Indien, Ursprungsland vieler Zirkuskünste, ist der Auftritt von Wildtieren in der Manege bereits seit 1998 verboten. Zirkus im eigentlichen Sinne gibt es dort seit dem 19. Jahrhundert, doch die Akrobatiknummern, die dort aufgeführt werden, sind oft wesentlich älter. Besonders in Rajasthan, wo die Familie der siebenjährigen Reema nun wieder am Straßenrand ihre Seiltanz-Künste vorführt. "Ich mag das nicht, ich würde viel lieber zur Schule gehen", gestand das Mädchen der Fotografin. Doch bei drei Dollar Einkommen am Tag kann die Familie auf sie nicht verzichten.

Ganz anders verhält es sich im Senegal, der nur mit einer Abbildung in der Ausstellung vertreten ist. Der 2010 gegründete Zirkus Sencirk will Kindern und Jugendlichen, die in prekären Verhältnissen leben, eine gute Ausbildung vermitteln. Der Sencirk, auch genannt "Zirkus der Hoffnung", tritt weltweit auf. Eine Chance für junge Menschen aus schwierigen Verhältnissen, oft auch Flüchtlingen aus anderen afrikanischen Ländern, die in der Hoffnung, nach Europa zu gelangen, ins Land gekommen sind und nun dort festsitzen.

Bilder prägen die Wahrnehmung besser als Texte

In der dritten Etage des Ulmer Stadthauses werden traditionelle Künste aus zwei Ländern vorgestellt, die eigentlich nicht im Zirkus stattfinden, sondern aus anderen Kontexten stammen. In der zu Russland gehörenden Kaukasusrepublik Dagestan – der Name bedeutet Bergland – diente das Balancieren auf dem Seil ursprünglich dazu, Täler zu überwinden. Heute gibt es Familien wie die des 25-jährigen Khalil, die diese Tradition hochhalten und als Seiltänzer auf Dorffesten auftreten.

Auf dem Schulhof im ostjavanischen Ponorogo trägt der 17-jährige Schüler Dimas Mahendra die große Löwenmaske mit Pfauenfedern, die den Kuda Lumping anführt: ein Tanz, der an den Widerstand gegen die holländischen Kolonisatoren im 16. Jahrhundert erinnert. Teilweise laufen die Tänzer in Trance über heiße Kohlen oder essen Glasscherben, heute wird der Tanz eher als folkloristische Unterhaltung dargeboten. Kuda Lumping bedeutet flaches Pferd, was sich auf mitgeführte Pferdefiguren aus Rattan bezieht, die eine Armee von Reitern versinnbildlichen.

Mit Zirkus hat sich Johanna-Maria Fritz bereits beschäftigt, bevor sie an der Ostkreuzschule anfing. Auch einen ostdeutschen und einen isländischen Zirkus hat sie fotografisch begleitet. Sie sei eine "absolute Ausnahmefotografin", sagt Kuratorin Daniela Yvonne Baumann, die fünf Jahre lang die Walther Collection geleitet hat, eine der wichtigen Fotosammlungen mit Sitz in Neu-Ulm, einem Projektraum in New York und globaler Ausrichtung.

Baumann erklärt auch, warum Fotos wie die von Johanna-Maria Fritz so wichtig sind: Bilder bleiben viel besser im Gedächtnis haften als Texte, sagt sie. Sie prägen unsere Wahrnehmung der Welt. Sie zitiert eine Studie, der zufolge sich nur vier Prozent unserer Nachrichten auf Länder außerhalb Europas und der USA beziehen. Und dann fast immer auf Krisengebiete. Die Zirkusbilder von Johanna-Maria Fritz' Fotos seien für sie demgegenüber wie ein "visueller Reset", weil die Menschen, ihre Hoffnungen und Träume im Vordergrund stünden. Sie könnten Empathie auslösen, was in einer von Migration und Konflikten geprägten Welt immer wichtiger werde.


Die Ausstellung "Like a Bird" läuft bis 13. August und ist täglich von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, sonn- und feiertags erst ab 11 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.


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1 Kommentar verfügbar

  • Manfred Fröhlich
    am 07.06.2023
    Antworten
    Diese Fotoausstellung in Ulm möchte ich nicht verpassen. Danke für diesen tollen Artikel.
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