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Exiltheater in der Rampe

Lebt Gott in Belarus?

Exiltheater in der Rampe: Lebt Gott in Belarus?
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Sie waren Angehörige des weißrussischen Nationaltheaters Janka Kupala, heute sind sie als freies Ensemble über mehrere Länder verteilt. Am Samstag zeigen die "Kupalaucy" im Theater Rampe in Stuttgart, was mit ihrem Land los ist.

Gestikulierend, mit hoher Stimme, stößt die Frau eine schnelle Lautfolge aus. Weißrussisch? Zungenreden? Siarhiej Leskiec, Anthropologe, Historiker und Fotograf, hat in den vergangenen zehn Jahren die belarussische Region Polesien bereist, um dem archaischen Brauch der Flüsterheilungen nachzugehen. Es handelt sich um die abgelegenen Waldgebiete an der Grenze zur Ukraine. Siarhiej, so heißt auch die männliche Figur im Stück, unterhält sich mit fünf Heilerinnen, alle gespielt von Sviatlana Anikei.

Für Anikei, in Belarus eine bekannte Schauspielerin, ist es eine interessante Übung, eine alte Frau auf dem Land zu spielen. In dunkler Kleidung, mit langem Rock und großem schwarzem Kopftuch, mimt sie die Bewegungen und die Aussprache der Neunzigjährigen, gelegentlich unterbrochen vom Regisseur Raman Padaliaka, der eine klare Vorstellung zu haben scheint, wie es aussehen und klingen soll. Im Hintergrund sitzt Dimitri Lukianchik, der "reisende Gott", der mit drei Becken für die Geräuschkulisse sorgt.

"Man sagt, Gott lebe in Belarus", verkündet er am Anfang des Stücks. "Manchmal zieht er alte Lumpen über und reist als Bettler von Dorf zu Dorf." Er beschenkt die Guten, bestraft die Bösen und zieht weiter, gibt aber den Menschen heilkräftige Worte und wohlriechende Kräuter. Leskiec und Padaliaka sind eines der drei Tandems, die am Samstag im Theater Rampe in Form einer szenischen Lesung verschiedene Facetten der weißrussischen Kultur auf die Bühne bringen. Ihr Stück, "Geflüster", beruht auf dem gleichnamigen Bildband des Autors, aus dem der Regisseur eine Bühnenfassung herausdestilliert hat. Beide leben nach wie vor in Belarus. Bei einem Vorab-Termin in der Rampe wirkte Padaliaka angespannt. Jetzt bei der Arbeit als Regisseur ist er in seinem Element.

"Abhauen? Ich hab nicht mal ein Schengen-Visum!"

Padaliaka war bis vor zwei Jahren Regisseur am Janka-Kupala-Nationaltheater. Dann hat er, wie die gesamte künstlerische Equipe des Theaters, im Zuge der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2020 gekündigt. Tausende wurden damals verhaftet, auch die Flötistin Maria Kalesnikawa, die zuvor in Stuttgart beim Neue-Musik-Veranstalter Musik der Jahrhunderte tätig war. Andere mussten fliehen. So auch Anna Zlatkovskaya, die über ihre Fluchterfahrung geschrieben hat.

Die Frau, die fliehen muss, heißt im Stück Hanna, gespielt von Zlatkovskaya selbst. In der zweiten Szene, die Regisseur Andrei Sauchanka nun mit ihr einzustudieren beginnt, verdichtet sich zur Gewissheit, was sie schon geahnt, aber bisher verdrängt hat. "Und dann war da dieser schicksalhafte Anruf, der dein ganzes Leben veränderte", sagt im Stück die Autorin, gespielt von Elena Zui-Voitekhovskaya, eine zweite Personifizierung Zlatkovskayas, die sich selbst aus der Distanz betrachtet. Sie bekommt einen Anruf von ihrer Freundin Ira. "Was? Das ist ein Witz, oder? Wer hat das gesagt?" stammelt sie. "Abhauen? Wie? Jetzt gleich? Du, Ira, ich weiß nicht, wohin soll ich denn?! Ich habe nicht mal ein Schengen-Visum."

Zlatkovskaya und Zui-Voitekhovskaya haben die Passage schnell gelesen, um sich in die Szene hineinzuversetzen, noch nicht so wie vor Publikum auf der Bühne. Nun horcht der Regisseur Sauchanka auf: Wie war das damals, wie hat sie die Proteste erlebt?

Sie haben sich verabredet. Sie sind alle auf die Straße gezogen. Sie haben darauf geachtet, keine Dokumente bei sich zu haben.

Zlatkovskayas Sprache wird lebhafter, schärfer. So bringt der Regisseur sie dazu, sich wieder stark in die Situation zurückzuversetzen.

Belarussische Realität als bitterböse Satire

Hanna – im Stück – weiß, sie muss ihren Sohn Mark mitnehmen, sonst droht ihm das Waisenhaus. Ihr Mann Kiryl "soll in Minsk bleiben", erklärt die Bühnen-Autorin, "weil es nicht geht, die Arbeit und Katzen einfach so zurückzulassen." Sie hatten Freunde eingeladen. Hanna weiß nicht mehr ein noch aus. "Wir müssen unseren Freunden schreiben, dass sie nicht kommen sollen", fällt ihr auf. "Wir müssen ... was müssen wir? Kiryl, was sollen wir tun?! Mann, ich habe solche Angst."

Die Angst scheint die reale Autorin inzwischen überwunden zu haben, wenn es nach der Verlags-Ankündigung des Bändchens "Stimmen der Hoffnung" mit Texten der belarussischen Freiheitsbewegung geht. Sie zitiert: "Eine unglaubliche Offenbarung – jedes Mal, wenn du die Angst überwindest und spürst, wie grenzenlos du bist." An die Stelle der Angst ist die Erfahrung des Exils getreten, die Zlatkovskaya mit vielen Beteiligten des Theaterprojekts teilt.

Maryna Mikhalchuk, die dritte Regisseurin, kam bereits 2015 nach Deutschland, um an der Ludwig-Maximilians-Universität München Theaterwissenschaft zu studieren. Seit zwei Jahren ist sie fest angestellt als Regieassistentin am Stuttgarter Staatstheater. In der Rampe inszeniert sie "Das Eberfest" nach dem Debutroman "Die Schweine" des Autors Aliaksandr Charnukh – ein Journalist, der im Sommer 2020 über die Proteste berichtet hat und seither in Polen lebt.

Wie der Titel des Romans vermuten lässt, handelt es sich um eine bitterböse Satire. Der Autor schreibt: "Die ersten Seiten wirst Du lustig finden. Doch bald vergeht Dir das Lachen. Denn vor Dir liegt eine schreckliche Welt voller Perverser, Verräter, moralischer Krüppel und anderen Kreaturen, die sowohl in einem düsteren Märchen als auch im wirklichen Leben zu finden sind."

Die Staatsschauspieler sind heute ein freies Ensemble

Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Beschreibung der belarussischen Realität, die auch die mediale Ebene mit einschließt. Im Stück werden auch Videos zu sehen sein. Im Vorfeld des titelgebenden Fests befragt das Staatsfernsehen Bewohner der Kleinstadt Hrusdsewa nach ihrer Meinung. Evgenia Kulbachnaya nimmt sich zusammen. Sie ringt die Hände, lächelt dann direkt in die Kamera, bevor sie, ihre Worte wohl abwägend, zu reden beginnt. "Ich danke der Leitung für diesen Feiertag und für unser stabiles Leben!", sagt Kulbachnaya als Rajisa Wasiljewna in die Kamera. "Heute sind wir hierhergekommen, um die 'Väter' des Bezirks zu hören, die zauberhafte Festtagsstimmung zu genießen und natürlich um etwas vom Schwein zu essen!" Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt längst weiß, dass das Schwein, das zum Fest aufgetischt werden soll und das für alles steht, was die Regierung dem Volk verspricht, längst verschwunden ist.

Wie Padaliaka sind alle Schauspieler:innen, Kostüm- und Bühnenbildner:innen Kupalaucy, das heißt ehemalige Angehörige des Janka-Kupala-Nationaltheaters in Minsk, auf das sie sich mit dem Kollektiv-Namen weiterhin stolz beziehen. Sie waren Staatsschauspieler:innen, jetzt sind sie ein freies Ensemble, noch dazu über mehrere Länder verteilt: die einen weiterhin in Belarus, die anderen in Polen, Litauen, einige waren zunächst in die Ukraine ausgewichen und mussten mit Beginn des Krieges wieder eine neue Lösung finden.

Theater außerhalb des Zugriffs der Behörden

Marina Zumstein vom Kulturverein Belarus, die das Projekt organisiert hat, war froh und erleichtert, sie alle wiederzufinden, sodass jetzt 15 Kupalaucy glücklich in Stuttgart eingetroffen sind. Die Kupalaucy sind nach dem Rückzug aus dem Nationaltheater zunächst ins Online-Format ausgewichen. Ihre Stücke sind auf einem YouTube-Kanal gesammelt. Das war während der Corona-Maßnahmen ein gängiges Format, das außerdem den Vorteil hat, dass sie an wechselnden Orten – außer Reichweite der Behörden – spielen können und ihr Publikum in Belarus ebenso wie im Exil problemlos erreichen.

Aber Theater lebt vom direkten Kontakt mit dem Publikum. Zudem bringt YouTube keine Einnahmen, und die Kupalaucy müssen sich und ihre Stücke irgendwie finanzieren. Insofern konkurrieren sie nun mit zahlreichen anderen freien Theatergruppen um Fördermittel und Auftrittsorte – mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass sie nicht an einem Ort, nicht einmal in einem Land sind und dem, freilich lösbaren, Problem der Sprache. Sie sind die einzige Theatergruppe, betonen sie, die ausschließlich Stücke in belarussischer Sprache aufführt, auch in der Nachfolge des Nationaldichters Janka Kupala.

Ins Theater Rampe kamen sie, weil Anna Bakinovskaia, die in Minsk und Grenoble studiert und dann in Vilnius gelehrt hat, seit September 2020 hier arbeitet. Die drei Stücke werden als szenische Lesung gezeigt, ermöglicht in erster Linie durch das Programm "Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland" (ÖPR) des Auswärtigen Amts. Eigentlich möchten die Kupalaucy sie jedoch zu richtigen Theaterstücken ausbauen – falls sich ein Ort und eine Finanzierung finden.


"Kupalaucy: Kuo Vadis?" am kommenden Samstag, 26. November, 18 Uhr (Vorgespräch 16 Uhr) im Theater Rampe, Filderstraße 47, Stuttgart. Der Eintritt ist frei.


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