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Interakt im Theaterhaus

Wenn Frauen böse werden

Interakt im Theaterhaus: Wenn Frauen böse werden
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Das Stuttgarter Kollektiv Interakt, gegründet von der Bürgerrechtlerin und Musikerin Maria Kalesnikava, fragt, was Frauen in den Augen von Männern böse macht. Aus der Sicht von Beteiligten aus allen Teilen der Welt.

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"Störung, Störung", singen Viktoriia Vitrenko und Nesindano Xhoes Namises. Das rhythmische Riff, das ein wenig an "Tainted Love" von Soft Cell erinnert, ist unterbrochen, die Töne schweben im Raum. Dann wechselt Schlagzeugerin Débora Vilchez in den Siebenachteltakt: Zwei Viertel schlägt sie, mit beiden Händen gleichzeitig, auf Hi-Hat und Tomtom, die verbleibenden drei Achtel mit dem Fußpedal auf der großen Trommel. Das rockt – doch nicht alle kommen auf Anhieb mit.

Es ist Probetermin, Freitagmittag im früheren Bahnpostamt am Rosenstein, das einmal Operninterim werden sollte, jetzt aber überwiegend wieder vom Paketdienst DHL genutzt wird. Gleichwohl gibt es jede Menge Räume, die sich hervorragend für künstlerische Zwecke eignen.

Vitrenko treibt ihre Mitmusiker:innen an wie eine Rockband. Dabei ist sie klassisch ausgebildete Sopranistin und Dirigentin. "Die eigene Komfortzone verlassen", nennt die Ukrainerin das. Die Komfortzone: Das ist für sie der Konzertsaal. Da spielt sie keineswegs nur das gewohnte klassische Repertoire, sondern auch kratzbürstige zeitgenössische Musik. Aber Vitrenko will da hin, wo sich das Leben abspielt. Rap und Beethoven brachte sie im Juli auf die Bühne des Wilhelma-Theaters, mit dem Stuttgarter Kammerorchester und Häftlingen aus der Justizvollzugsanstalt Adelsheim.

Widerständig, grenzüberschreitend, kollektiv

"Noch nie hat eine Zeitung über Interakt geschrieben", beschwert sich die künstlerische Leiterin Jasmin Schädler. Das sagt nichts über die vor fünf Jahren gegründete Künstler:innen-Initiative, umso mehr über den Zustand des Kulturjournalismus. Denn Interakt hat alles, was es braucht: Die Projekte behandeln aktuelle Themen, sind interdisziplinär, inklusiv und international besetzt. Sie gehen hinaus an die Öffentlichkeit, auch an Brennpunkte, etwa im Programm "Am unteren Rand – Brückenmonologe" mit dem Paule-Club, den Drogensubstituierten unter der Paulinenbrücke. Die Musik ist zugänglich. Und die Gruppe hat eine weltweit bekannte Gallionsfigur: Maria Kalesnikava.

Kalesnikava hat Interakt mit Vitrenko und Schädler vor fünf Jahren in Stuttgart gegründet. Sie hat damals an der hiesigen Musikhochschule studiert und für das Eclat Festival für Neue Musik gearbeitet. Vor zwei Jahren wurde die Weißrussin in Minsk verhaftet und sitzt seitdem im Gefängnis. Während über ihre oppositionellen Aktivitäten und ihre Haft viel berichtet wurde, scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren, was sie als Flötistin und Künstlerin bewegt.

Für eben dieses künstlerische Interesse steht Interakt. Ein Verein – Vitrenko spricht lieber von einem Kollektiv – mit ungefähr fünfzehn Mitgliedern: Künstler:innen verschiedener Sparten, die von Fall zu Fall weitere dazuholen. Ausgangspunkt war, dass Vitrenko und Kalesnikava ihre Perspektiven aus Osteuropa, speziell Belarus und der Ukraine, zu wenig wahrgenommen sahen. Auf den Einwand, über den Aufstand auf dem Majdan-Platz sei doch viel berichtet worden, erwidert sie: "Das ist aber nicht alles." Und es gehe ihnen um die künstlerische Verarbeitung.

Sie wollten und wollen aber keinen ukrainisch-weißrussisch-deutschen Kulturdialog, sondern sie wollen Themen ansprechen, die über nationale Grenzen hinausgehen. Nichts zeigt dies so deutlich wie ihre aktuelle Produktion "Böse Frauen", die am Donnerstag beim Veranstalter "Musik der Jahrhunderte" im Theaterhaus Premiere hat. Das Stück ist Kalesnikava gewidmet, aber auch den Frauen im Iran. Die Beteiligten, die das Stück zusammen erarbeitet haben, stammen – neben Deutschland, Belarus und der Ukraine – aus Peru, Namibia, Ungarn und Kolumbien. Schädler führt Regie, assistiert von der Chinesin Moru Xu. Der Choreograf, Mounir Saeed, stammt aus Ägypten.

Böse Frauen sind international

"maléfica/ méchant/ tsu – das ist Khoekhoe, die Sprache von Nesindano Xhoes Namises/ böse/ schlecht/ evil/ bad" und weitere Wörter in arabischer und kyrillischer Schrift stehen auf Zetteln an der Wand. Damit hat es angefangen, erklärt Xu. Alle schrieben auf, was in ihrer Sprache "böse" heißt. Um dann weiter zu assoziieren. Alle Lieder sind aus gemeinsamen Improvisationen entstanden, die Texte, in der Regel in englischer, zum Teil, wie bei "Störung", auch in anderen Sprachen, wurden gemeinsam verfasst.

Böse: Das sind hier zunächst Frauen wie Kalesnikava, die weggesperrt werden, weil sie den Machthabern ein Dorn im Auge sind. Sie sind nicht per se böse – falls es das überhaupt gibt – sondern in den Augen der Männer, die ihre Dominanz bedroht sehen. Auch wenn sie gar nicht die Macht an sich reißen wollen, sondern für eine Demokratisierung eintreten wie Kalesnikava. Frauen, die selbst mitreden wollen, statt sich von Männern bestimmen zu lassen: Das gibt es überall auf der Welt, ebenso wie Männer, die das nicht ertragen.

"Es geht auch darum: Was ist überhaupt eine Frau?", bemerkt Schädler. Rein biologisch, körperlich ist die Frage nicht schwer zu beantworten. Aber darüber hinaus: Welche Rollen kann, soll oder will eine Frau einnehmen? Treffen die traditionellen Zuschreibungen noch zu? Fragen, die unter dem Begriff Gender viel diskutiert werden. Es geht aber auch ohne den Anglizismus, der im Ruch steht, eine Marotte von Akademiker:innen zu sein.

Montagabend, der erste Durchlauf des ganzen Programms, ganz oben im Theaterhaus, im Proberaum des Veranstalters "Musik der Jahrhunderte", wo dann auch die Aufführungen stattfinden. Alles in Weiß: die Vorhänge ringsum, die Kostüme der Musikerinnen, jede anders, denn es geht ja um Rollen, die ihnen zugeschrieben werden oder die sie einnehmen wollen. Sie holen die Zuschauer ab, die durch den Vorhang treten.

"Me encuentro en la cárcel", spricht Debora Vilchez den Eintretenden in spanischer Sprache an, "porque tengo el coraje." "Ich befinde mich im Gefängnis, weil ich den Mut habe." Vilchez bezieht sich auf die peruanische Avantgarde-Autorin und Aktivistin Magda Portal (1900–1989), deren Text sie spricht. So hat jede:r der sechs Darsteller:innen eine Figur, die sie sich zum Vorbild nimmt: Aleksandra Dzenisenia aus Minsk etwa, die das ukrainische Hackbrett Cimbalom spielt, spricht französisch und wird als Simone Weil, "eine jüdische Frau, die in verschiedene Konzentrationslager deportiert wurde", später Reden schwingen. "Ich bin Maria Kalesnikava. Ich bin Julia Pajevska", erklärt Vitrenko auf ukrainisch, übernimmt so die Rolle ihrer Kollegin und der ukrainischen Sanitäterin Julia Pajevska, auch Taira genannt. "Tonight my name is Orlando", gibt Fender Schrade bekannt – die Romanfigur von Virginia Woolf, die sich von allen Geschlechterrollen frei gemacht hat und nun, ein wenig doppeldeutig, den Zuschauern Plätze zuweist.

In wenigen Tagen muss das Stück sitzen

Schrade wird im Lauf des Stücks Rock gegen Hose vertauschen. "You want to break me/ suffocate me/ you lock me away/ you want to eat me alive", singen Nina Sára Horváth, Viktoriia Vitrenko und Nesindano Xhoes Namises – "Du willst mich brechen, ersticken, mich wegsperren, mich bei lebendigem Leib verspeisen." Aber: "I won't surrender/ I will not give up" – "Ich werde nicht aufgeben."

Böse, das kann zumindest auf Deutsch auch heißen: Frauen, die böse werden. "What it means to be a bad woman", singt Vitrenko. Das Stück lebt von der Improvisation, dem Spielerischen: Wortspiele, Schattenspiele; der Vorhang wird zum Requisit, die Körper der Frauen wortwörtlich zur Projektionsfläche. Und es lebt von der Vielfalt. Spoken Word Poetry auf Khoekhoe neben europäischer Literatur, Mundbogen trifft auf Cimbalom, Belarus auf Peru und Ägypten.

Das stellt auch eine Herausforderung dar. Wenn die Balance stimmt, können die zarten Töne des Mundbogens und des Cimbaloms sich mit dem selbst entwickelten "49", dem Keyboard von Fender Schrade, und Vilchez' Rock-Schlagzeug gut wechselseitig ergänzen. Wenn aber ausgerechnet der Mundbogen ein etwas zu schwachbrüstiges Mikrofon hat, wird es von den elektrischen Tönen des Tasteninstruments niedergewalzt.

Noch sitzt vieles nicht richtig: Texte, Technik, Übergänge. Aber es ist ja erst der erste Durchlauf, zwei ganze Tage bleiben noch bis zur Premiere am Donnerstag. Dann wird sich zeigen, was böse Frauen, freie Frauen, Frauen, die böse werden, zuwege bringen. Stellenweise ist dies auch schon im ersten Probedurchlauf erkennbar. Denn es sind Profis am Werk.


Info:

Die Aufführungen finden statt am Donnerstag, 27., Freitag, 28. und Samstag, 29. Oktober um 20 Uhr sowie am Sonntag, 30. Oktober um 16 Uhr im Probenraum P1 beim Veranstalter "Musik der Jahrhunderte" im Theaterhaus Stuttgart. Mehr zum Stück und zur Interakt-Initiative hier.


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