"Willkommen im Alten Röhrenwerk, dem Gewerbeherz von Ulm", steht auf einer Tafel, der ersten von zwölf, die über ein großes Areal an der Söflinger Straße in der Ulmer Weststadt informieren. Röhrenwerk, weil hier Telefunken in der Nachkriegszeit Bildröhren für Fernsehgeräte fertigte. Ursprünglich waren die Fabrikanlagen 1913 bis 1916 als Königlich württembergisches Artilleriedepot erbaut worden, heute haben in den zwölf Gebäuden des Komplexes mehrere Unternehmen Büro-, Produktions- oder Laborflächen angemietet. "Vom militärischen Charakter des Ursprungsgebäudes ist heute kaum noch etwas zu spüren", steht auf der Tafel. Zu spüren vielleicht nicht. Doch das Unternehmen Thales, das hier als wichtigster Mieter ansässig ist, ist der zehntgrößte Rüstungskonzern der Welt.
Das beschäftigt auch Rainer Schmid, der in der Nähe als Religionslehrer arbeitet. Er ist in Friedrichshafen geboren, wo er auch 23 Jahre lang als Gemeindepfarrer gearbeitet hat. Er hat Kinder getauft, Ehen geschlossen und 450 Menschen zu Grabe getragen. Er war gern Pfarrer, konnte es aber nicht ertragen, dass in der nach außen heilen Welt der Bodenseeregion so viele Rüstungsunternehmen tätig sind und niemand darüber redet (<link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand bombengeschaeft-am-bodensee-906.html external-link-new-window>Kontext berichtete). Sein Großvater hat bei Dornier gearbeitet, so wurde er auf das Thema aufmerksam. Mit Lothar Höfler gründete er <link https: www.waffenvombodensee.com external-link-new-window>den Verein "Keine Waffen vom Bodensee".
Das missfiel seinem Vorgesetzten. Die Frauen der Rüstungsmanager sängen im Kirchenchor, erzählt er. "Wir sollen nicht die Hand beißen, die uns füttert", habe Friedrich Langsam, Dekan des Kirchenbezirks Ravensburg, zu ihm gesagt. Schmid wurde 2013 nach Aalen versetzt, doch auch der Aalener Dekan Ralf Drescher wollte den Querulanten auch nicht haben. Schmid ist Rüstungsgegner mit Leib und Seele. Seine Sommerferien hat er im Farslane Peace Camp in Schottland verbracht. Er will, dass die Rüstungsunternehmen auf zivile Produktion umstellen. Er wurde 2017 erneut versetzt und ist nun seit einem Jahr nur noch Religionslehrer in Ulm. Auch dort hört er nicht auf, sich zu engagieren.
Ulmer Friedenswochen gegen Militarisierung und Rüstungsindustrie
Auf den ersten Blick könnte man tatsächlich meinen, Ulm hätte seine militärische Vergangenheit abgelegt. In den zahlreichen Bastionen der einstigen Bundesfestung sind heute unter anderem Jugendclubs, Studentencafés, eine Waldorfschule und eine Theaterakademie untergebracht (<link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne stadt-der-wissenschaft-und-des-militaers-4569.html external-link-new-window>Kontext berichtete). Selbst die Wilhelmsburg, Herz des größten Festungsbauwerks Europas, soll <link http: www.die-wilhelmsburg.de external-link-new-window>zu einem Ort für Kunst und Kultur werden. Das gefällt auch Schmid.
Doch das Militär ist nicht verschwunden. Es arbeitet nur mit weniger Personal und hochtechnologisierten Waffen. <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne zu-besuch-beim-mn-kdoopfue-5272.html external-link-new-window>In der Wilhelmsburgkaserne, hinter der Wilhelmsburg, werden weltweite Militäreinsätze der EU und nun auch der NATO geplant. Die Angehörigen des Multinationalen Kommandos Operative Führung müssen sich nicht die Finger schmutzig machen: Sie arbeiten am Bildschirm. Die Technologie, die dabei zum Einsatz kommt, stammt auch aus Unternehmen, die in Ulm ansässig sind.
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