KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Waffenschmiede Ulm

Waffenschmiede Ulm
|

Datum:

Mit den Anfang September begonnenen Friedenswochen setzt Ulm ein Zeichen gegen Militarismus. Dabei ist die einstige Garnisonsstadt noch immer ein Standort der Rüstungsproduktion – von Lenkflugkörpern über hochtechnologisierte Aufklärung bis hin zu Kleinfeuerwaffen.

Zurück Weiter

"Willkommen im Alten Röhrenwerk, dem Gewerbeherz von Ulm", steht auf einer Tafel, der ersten von zwölf, die über ein großes Areal an der Söflinger Straße in der Ulmer Weststadt informieren. Röhrenwerk, weil hier Telefunken in der Nachkriegszeit Bildröhren für Fernsehgeräte fertigte. Ursprünglich waren die Fabrikanlagen 1913 bis 1916 als Königlich württembergisches Artilleriedepot erbaut worden, heute haben in den zwölf Gebäuden des Komplexes mehrere Unternehmen Büro-, Produktions- oder Laborflächen angemietet. "Vom militärischen Charakter des Ursprungsgebäudes ist heute kaum noch etwas zu spüren", steht auf der Tafel. Zu spüren vielleicht nicht. Doch das Unternehmen Thales, das hier als wichtigster Mieter ansässig ist, ist der zehntgrößte Rüstungskonzern der Welt.

Das beschäftigt auch Rainer Schmid, der in der Nähe als Religionslehrer arbeitet. Er ist in Friedrichshafen geboren, wo er auch 23 Jahre lang als Gemeindepfarrer gearbeitet hat. Er hat Kinder getauft, Ehen geschlossen und 450 Menschen zu Grabe getragen. Er war gern Pfarrer, konnte es aber nicht ertragen, dass in der nach außen heilen Welt der Bodenseeregion so viele Rüstungsunternehmen tätig sind und niemand darüber redet (<link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand bombengeschaeft-am-bodensee-906.html external-link-new-window>Kontext berichtete). Sein Großvater hat bei Dornier gearbeitet, so wurde er auf das Thema aufmerksam. Mit Lothar Höfler gründete er <link https: www.waffenvombodensee.com external-link-new-window>den Verein "Keine Waffen vom Bodensee".

Das missfiel seinem Vorgesetzten. Die Frauen der Rüstungsmanager sängen im Kirchenchor, erzählt er. "Wir sollen nicht die Hand beißen, die uns füttert", habe Friedrich Langsam, Dekan des Kirchenbezirks Ravensburg, zu ihm gesagt. Schmid wurde 2013 nach Aalen versetzt, doch auch der Aalener Dekan Ralf Drescher wollte den Querulanten auch nicht haben. Schmid ist Rüstungsgegner mit Leib und Seele. Seine Sommerferien hat er im Farslane Peace Camp in Schottland verbracht. Er will, dass die Rüstungsunternehmen auf zivile Produktion umstellen. Er wurde 2017 erneut versetzt und ist nun seit einem Jahr nur noch Religionslehrer in Ulm. Auch dort hört er nicht auf, sich zu engagieren.

Ulmer Friedenswochen gegen Militarisierung und Rüstungsindustrie

Auf den ersten Blick könnte man tatsächlich meinen, Ulm hätte seine militärische Vergangenheit abgelegt. In den zahlreichen Bastionen der einstigen Bundesfestung sind heute unter anderem Jugendclubs, Studentencafés, eine Waldorfschule und eine Theaterakademie untergebracht (<link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne stadt-der-wissenschaft-und-des-militaers-4569.html external-link-new-window>Kontext berichtete). Selbst die Wilhelmsburg, Herz des größten Festungsbauwerks Europas, soll <link http: www.die-wilhelmsburg.de external-link-new-window>zu einem Ort für Kunst und Kultur werden. Das gefällt auch Schmid.

Doch das Militär ist nicht verschwunden. Es arbeitet nur mit weniger Personal und hochtechnologisierten Waffen. <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne zu-besuch-beim-mn-kdoopfue-5272.html external-link-new-window>In der Wilhelmsburgkaserne, hinter der Wilhelmsburg, werden weltweite Militäreinsätze der EU und nun auch der NATO geplant. Die Angehörigen des Multinationalen Kommandos Operative Führung müssen sich nicht die Finger schmutzig machen: Sie arbeiten am Bildschirm. Die Technologie, die dabei zum Einsatz kommt, stammt auch aus Unternehmen, die in Ulm ansässig sind.

Die Rüstungsunternehmen der Stadt sind überwiegend aus der früheren Daimler-Benz-Tochter Deutsche Aérospace (DASA) hervorgegangen, die 1989 aus der Übernahme von Dornier, der Motoren- und Turbinenunion (MTU) und Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) entstand. Aus DASA wurde im Jahr 2000 EADS (European Aeronautic Defence and Space) und 2013 die Airbus Group, heute Airbus SE, Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern – und zweitgrößter Rüstungskonzern.

Aus der Rüstungssparte Airbus Defence and Space wurde wiederum im Februar 2017 Hensoldt, durch Verkauf an den amerikanischen Investor KKR. Hauptsitz ist München, größter Standort bleibt aber Ulm. Airbus ist weiterhin Teilhaber, ebenso wie auch an MBDA und Matrium, die auf demselben Areal ansässig sind. Der französische Rüstungskonzern Thales wiederum ist in Ulm tätig, seit der Konzern, damals Thomson, 2000 die AEG-Wanderfeldröhrenproduktion übernahm. Der deutsche Hauptsitz befindet sich in Ditzingen. Die frühere AEG-Telefunken-Hochfrequenztechnik ging dagegen 2004 an das israelische Unternehmen Elbit Systems.

Zumeist geht es um Aufklärung. Das hört sich harmlos an, hat jedoch Konsequenzen. Thales sei "einer der größten Profiteure der menschenverachtenden EU-Migrationspolitik", hat Jacqueline Andres von der <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft widerstand-braucht-information-4906.html external-link-new-window>Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) auf ihrer diesjährigen Ostermarschrede in Ulm gesagt, ebenso Airbus/Hensoldt: "In Tunesien bewachen von Deutschland ausgebildete Grenzschützer mit Nachtsichtgeräten von Airbus die Grenzen – angeblich, um sie vor Terroristen zu schützen. Doch faktisch hindern sie Menschen daran, vor dem erschütternden Bürgerkrieg in Libyen zu fliehen. Hensoldt entwickelt Radare, Sensoren und Optronik, um die Grenzen Europas und ihre vorverlagerten Grenzen auf dem afrikanischen Kontinent zu schließen."

Gegen Militarisierung und Rüstungsindustrie wenden sich die Ulmer Friedenswochen, die nach langer Unterbrechung in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfinden. Vom 1. September bis 3. Oktober gibt es ein dichtes Programm. Heute, am Mittwoch, dem 5. September, spricht der Friedensforscher und linke Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger über das neue NATO-Logistikkommando (20 Uhr, Café d'Art, Augsburger Straße 35, Ulm). Darauf bezieht sich auch Henrik Paulitz am 27. September in der Ulmer Volkshochschule. Thema seines Vortrags und aktuellen Buchs: "Kriegsmacht Deutschland?"


Info:

Details zum Thema finden Sie <link https: ruestung-ostalb.wixsite.com friedensregion-ulm external-link-new-window>hier, und <link http: www.friedenswochen-ulm.de external-link-new-window>dort geht es zum Programm der Ulmer Friedenswochen.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!