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Killer spielen auf der Messe

Killer spielen auf der Messe
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Nehmen Sie Platz im virtuellen Panzer. Und eliminieren Sie per Sturmgewehr digitale Terroristen. Alles machbar auf der Militärmesse Itec, wo sich Rüstungsindustrie und Videospielhersteller vernetzen. Auch die Nato ist mit einem Stand dabei.

Schon der Zutritt ist schwierig. JournalistInnen, die über die Itec berichten wollen, werden in Akkreditierungsverfahren gezwungen, die Wochen dauern können. Denn der Veranstalter, die Londoner Firma Clarion Events, möchte es ganz genau wissen. Etwa, für welche Themenfelder sich der Berichterstatter interessiert, zum Beispiel elektronische Kriegsführung oder Waffentraining. Oder auch auf welche Kontinente die Organisation, für die man arbeitet, in näherer Zukunft expandieren möchte. Wenn diese Daten übermittelt sind, kommt die nächste Hürde: Der Zugang könne "nur bei einem Nachweis regelmäßiger Berichterstattung in Medien über Verteidigungs- und Sicherheitsthemen oder verwandten Themenfeldern erteilt" werden, heißt es Tage später per E-Mail. Wider Erwarten werden Kontext-Mitarbeiter zugelassen und können die Ausstellung in der Stuttgarter Landesmesse betreten.

Blickfang ist ein eigentümlicher Apparat. Die massive Konstruktion erinnert an einen Galgen, an einem gekrümmten Arm aus Eisen ist eine Weste befestigt. Getragen wird sie von einem erwachsenen Mann mit Stoppelschnitt, der wild um die eigene Achse rotiert. Er steht in einer konkav gekrümmten Kuhle, die seinen Füßen keinen Halt verleiht: Wie ein Pinguin auf dem Eis watschelt er mit schnellen, kleinen Schritten auf der Stelle, während er sich mit gefletschten Zähnen und angespannter Gesichtsmuskulatur an eine Gewehrattrappe klammert. "Yeah!", ruft der gute Herr freudig erregt, als er den Abzug betätigt und authentische Schusslaute erschallen. Ein digitaler Terrorist sackt blutend auf dem Bildschirm zusammen. Er stirbt ohne Schreie.

Hier auf der Militärmesse Itec in Stuttgart sind am frühen Dienstag Mittag, kurz nach der Eröffnung, vor allem die virtuellen Realitäten ein Besuchermagnet. Verschiedene Simulatoren ermöglichen es Interessierten, Kampfjets zu steuern, mit Leopard-Panzern auf Gebäude und Fahrzeuge zu feuern und als Soldat mit Sturmgewehr oder Panzerfaust feindliche Ziele zu eliminieren. "Real wirkt das Erlebnis nicht", sagt einer, der seit sechs Jahren Videospiele herstellt, "aber immersiv". Es habe eine riesige Sogwirkung und man steigere sich schnell hinein. Und das spart nicht nur Kosten für echte Munition.

Digitales Töten erleichtert den Übergang von Theorie zu Praxis

Immersives Training könne "Lernenden helfen, die Lücke zwischen einem akademischen Umfeld und der realen Welt zu überbrücken". Das erfährt der geneigte Gast am ansonsten eher unspektakulären Nato-Stand. Das transatlantische Bündnis ist auf der Itec als einer von gut 120 Ausstellern vertreten, was dem Messeveranstalter Clarion Events geradezu zwingend scheint. Schließlich seien seine Sicherheitsevents "anerkannt als das weltweit führende Forum, auf dem sich ranghohe Regierungsmitglieder und leitendes Militärpersonal näherkommen". Und dieses Podium nutzt die Nato für den expliziten Ratschlag, Schüler durch die Verwendung von Gaming-Elementen in Beschlag zu nehmen ("engage students by using gaming elements"). Die Trainingssimulatoren dienen demnach dazu, den Übergang von Theorie zur Praxis zu erleichtern. Und Videospiele als ein Türöffner.

Nun ist die Unterstellung Unfug, dass alle Spieler von Ego-Shootern automatisch zu kriegslüsternen Gewaltfetischisten mutieren würden. Doch glorifizieren Serien wie Call of Duty ("Die Pflicht ruft") Militarismus, indem das Töten von Personen das zentrale Ziel der Handlung darstellt und dabei die Exekution des Feindes (meist böse Russen) als patriotische Pflicht präsentiert wird. Zudem lässt sich die Wirklichkeit durch eine Drohnenkamera in tausenden Metern Höhe kaum vom Virtuellen unterscheiden. "Es war sehr pixelig und es sah nicht real aus", sagte Brandon Bryant im Oktober 2013 über das erste Opfer einer von ihm abgefeuerten Hellfire-Rakete. In seinen sechs Jahren als Drohnenpilot tötete er im Auftrag des US-Militärs knapp 1700 als Feind klassifizierte Menschen. Dafür ist ihm Ruhm gewiss.

Clarion, die Kriegsfanfare

Draußen, ein paar hundert Meter entfernt von der Stuttgarter Landesmesse, wo die Itec ausgerichtet wird, warnt eine Dauermahnwache vor der Verharmlosung der Veranstaltung. "Simulierst du noch oder tötest du schon?", heißt es seitens des Aktionsbündnisses "Itec stoppen", das einen roten Teppich zum Messegelände mit Leichen gepflastert und eine Handvoll riesiger goldener Nasen aufgestellt hat. Letztere sollen die Profiteure der Kriegsindustrie verdeutlichen. Die Aktivisten betrachten es als einen Skandal, dass eine Ausstellung Technologie zum Töten bewerben darf – in einer Messe, die zu hundert Prozent in öffentlicher Hand ist. Auch wenn es sich um virtuelle Trainingsprogramme handle, sei klar, worauf die Übungen einmal hinauslaufen sollten. Im Gegensatz dazu bemühte sich die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), der Messe einen zivilen Anstrich zu verleihen.

Da lohnt sich ein genauerer Blick auf den Veranstalter und auf die Herkunft seines Namens: Um auf dem Schlachtfeld Signale zu übermitteln, griffen bereits Germanen und Kelten, Ägypter und Griechen auf eine breite Palette von Blasinstrumenten zurück. Auch das Clarion, eine Trompete ohne Ventile, diente im 19. Jahrhundert zunächst der Kommunikation von Infanteriesoldaten, ehe es ein knappes Jahrzehnt nach seiner Erfindung auch in der Militärmusik zum Einsatz kam. Noch heute gilt das Instrument im englischsprachigen Raum als Synonym für Kriegstrompeten und -fanfaren, die das bereitstehende Heer zum Angriff mobilisieren.

Was also ist davon zu halten, wenn sich ein Veranstalter von Rüstungsmessen den Namen "Clarion Events" verleiht? Als seine wichtigsten Werte benennt das Unternehmen allerdings nicht Profit und Kriegstreiberei, sondern Vorstellungsvermögen (Imagination), Leidenschaft (Passion), Vertrauen (Trust) und Fürsorge (Care). In diesem Sinne geht es in erster Linie natürlich immer um Verteidigung und Sicherheit.

Neben der Itec richtet Clarion Events übrigens noch eine Reihe weiterer Militärmessen aus. Unter anderem die "Defence and Security Equipment International" in London, nach eigenen Angaben das weltweit führende Verteidigungs- und Sicherheitsevent. Laut Amnesty International ist dort wiederholt verbotenes Folterwerkzeug beworben worden. Als acht Aktivisten 2015 eine Zufahrt für Panzer und andere Militärfahrzeuge blockierten, handelten sie sich eine Anzeige ein. Das Gericht sprach sie frei und folgte der Argumentation der DemonstrantInnen: Durch ihr Engagement hätten sie weitaus schlimmere Verbrechen als eine Straßenblockade, "etwa Folter oder Völkermord", verhindern wollen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Nina Picasso
    am 16.05.2018
    Antworten
    Man kann gerne gegen diese "Deadly Gameshow" aktiv werden:
    https://www.ohne-ruestung-leben.de/nachrichten/article/details-zu-den-protesten-gegen-die-militaermesse-itec-2018-in-stuttgart-224.html
    15. bis 17. Mai 2018: Mahnwache vor der Messe Stuttgart. Während der gesamten Rüstungs- und…
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