Mit ruhiger Stimme nutzt Heiko A. sein letztes Wort, um etwas klarzustellen: Er und seine Familie seien "Opfer, keine Täter". Opfer einer gewaltigen Täuschung. Wegen Ingo K. hätten sie ihre "komplette Existenz" verloren. Es ist das Ende einer Freundschaft zweier "Reichsbürger" – und einer Geschichte des gegenseitigen Verrats.
Als Heiko A. das letzte Wort spricht, sitzt er mit seiner Familie auf der Anklagebank. Sie alle tragen Fußfesseln und sind von Justizpolizist:innen umringt. Am Nachmittag des 8. August will das Landgericht Mosbach sein Urteil verkünden.
Heiko A. ist gelernter Elektroinstallateur. In den 2000er-Jahren gründete er mehrere Photovoltaik-Unternehmen, in den 2010er-Jahren geriet er in finanzielle Schwierigkeiten. Die Unternehmen gingen insolvent. 2018/19 beschlossen er und seine Familie, Selbstversorger:innen zu werden. 84 Tiere – Rinder, Schafe, Hühner – hielten sie auf ihrem Selbstversorgerhof.
A. sagte einmal, man habe sich "aus dem System zurückziehen" wollen. Mit dem "System" meinte er die Bundesrepublik Deutschland. Bianca, seine Ehefrau, ergänzte, sie hätten "unabhängig" sein wollen. Auch Max und Leon, die beiden Söhne, und Leons Partnerin Sophia beteiligten sich.
Der Selbstversorgerhof befand sich im 400-Seelen-Dorf Bobstadt. Der Ortsteil der Stadt Boxberg liegt im Nordosten Baden-Württembergs. Mit großen Hunden und blickdichtem Holzzaun schottete sich die Familie ab. Ende 2021 zog Ingo K. mit seinem Sohn auf den Hof. Wie Heiko A. steckte er in finanziellen Schwierigkeiten.
Die Männer einte der Glaube an die "Reichsbürger"-Ideologie und allerlei Verschwörungsmythen. Sie verschickten Schreiben an Behörden. Die Bundesrepublik sei "kein souveräner Staat" und stehe unter "alliierter Besatzung", behaupteten sie.
Über Jahre hinweg war Ingo K. im Sicherheitsgewerbe tätig. Er besaß eine Pistole. Nachdem er die Aufforderungen der Behörden ignoriert hatte, die Waffe freiwillig abzugeben, kam das SEK am frühen Morgen des 20. April 2022, um die Waffe zu beschlagnahmen. Als ein Polizist den Rollladen der Terrassentür öffnen wollte, schoss der "Reichsbürger".
"Der Ingo ist ein Freund"
Der damalige Generalbundesanwalt Peter Frank erhob Anklage. Der Vorwurf: Mordversuch. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart behauptete Bianca A., die Polizei habe den Hof "überfallen". Heiko A. sagte aus, der Angeklagte K. habe "aus Selbstschutz zurückgeschossen".
Gegenüber "Spiegel TV" äußerte A. gar: "Die sind geschickt worden mit dem Auftrag, uns zu töten und den Hof komplett niederzubrennen." Im Zuge des Schusswechsels war das Hauptgebäude in Brand geraten – wie ein Gutachten ergab: unglücklicherweise durch eine Nebelgranate, um SEK-Polizisten zu befreien.
Ingo K. hatte im Erdgeschoss des Hauptgebäudes, Heiko A. mit Bianca und Max hatten im Obergeschoss gewohnt. Leon und Sophia im Nebengebäude. Der Vermieter sah in Ingo K. einen Beschützer. Demonstrativ erklärte Heiko A. der "Süddeutschen Zeitung": "Der Ingo ist ein Freund."
Im August 2022 schrieb er einen Brief an den Schützen. Darin hetzte er, der Generalbundesanwalt Peter Frank "hängt mit den Pädophilen in den höchsten Kreisen ab". Die Bösen – in seinen Augen die Eliten und der Staat. Im Mai 2023 wurde Heiko A. wegen Beleidigung und Verleumdung bestraft.
Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte Ingo K. im November 2023 zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten. Wegen Mordversuchs und auch, weil in seiner Erdgeschosswohnung eine Kammer mit acht Schusswaffen und 5.116 Schuss Munition entdeckt worden war.
Außerdem fand die Polizei bei der Durchsuchung des Grundstücks nach den Schüssen eine weitere Kammer mit fünf Schusswaffen und 7.771 Munitionspatronen im Nebengebäude. Die Tatwaffe – ein Sturmgewehr Zastava M70 – und ein Sturmgewehr Heckler & Koch G3 lagen im Eingang des Hauptgebäudes.
Eine Pistole befand sich im Büro des Untergeschosses, zwei Pistolen im Schlaf- und Wohnzimmer des Obergeschosses. Äxte, Elektroschocker, Messer, Würgehölzer. Eine Cannabis-Plantage mit 38 Pflanzen. Neben "Reichsbürger"-Schreiben auch etliche Hakenkreuz-Flaggen und Neonazi-CDs.
"Offen und frei erzählt"
Nun, an fünf Tagen im Juli und August, will das Landgericht Mosbach klären, wem die Schusswaffen und die Cannabis-Plantage gehörten. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beschuldigt die Familie A. Mit Fußfesseln sitzen die drei Männer und zwei Frauen auf der Anklagebank. Eigentlich hätte die Verhandlung im Mai stattfinden sollen. Die Angeklagten blieben fern – und kamen per Haftbefehl in U-Haft.
Jetzt, wo ihm selbst eine Haftstrafe droht, belastet Heiko A. belastetet seinen früheren Freund schwer: Alle Waffen gehörten diesem. Sogar die geladene Pistole im Arbeitsbüro; dort lag eine Visitenkarte, hingen Urkunden des Vermieters. Und sogar die Selbstladepistole im Obergeschoss; dort wohnte der Vermieter mit Bianca und Max. Vor Gericht endet die Loyalität.
Dann wird Ingo K. in den Saal geführt. Er macht wiederum der Familie gravierende Vorwürfe: Alle Waffen außerhalb seiner Kammer gehörten ihnen. Mehr noch: Max A. habe das Sturmgewehr G3, das neben der Tatwaffe gefunden wurde, am Morgen des 20. April 2022 getragen. Seine Aussagen sind direkt, kurz, trocken. Er habe "offen und frei erzählt", beurteilt die Staatsanwaltschaft.
Die Angeklagten sind entrüstet. Max A. erklärt, ihm sei das G3 in die Hand gedrückt worden. "Was soll ich damit?" Sofort habe er die Waffe zurückgegeben. "Ich will das nicht", habe er gesagt. Bis heute ist unklar, welche Rolle er an dem Morgen spielte.
Warum sollte Ingo K., der eine Kammer in seiner Erdgeschosswohnung hatte, eine zweite Kammer anlegen? Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beschuldigt Leon und Sophia A., die Schusswaffen in der Kammer gelagert und die angrenzende Cannabis-Plantage betrieben zu haben. Denn sie wohnten in dem Gebäude. Auf den Waffen wurden allerdings keine DNA-Spuren gefunden. So fehlen Indizien, dass sie mit den Waffen hantierten. Deshalb bleibt die Kammer straffrei. Die Pflanzenzucht gestehen sie, was zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten führte.
Auf dem G3 konnten lediglich "Mischspuren" von Ingo K. und Max A. festgestellt werden. Die Richterin bezweifelt, dass der Beschuldigte A. die "tatsächliche Gewalt" über die geladene Kriegswaffe hatte. Für eine Selbstladepistole im Schlafzimmer bekommt Max A. eine Bewährungsstrafe von neun Monaten.
Es geht weiter
Die Selbstladepistole im Wohnzimmer bleibt unbestraft. Bianca A. ist freigesprochen. Für die Pistole im Büro erhält Heiko A. eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Das Landgericht Mosbach hebt die Haftbefehle auf, aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Richterin betont, die Angeklagten hätten erklärt, arbeiten und ein geregeltes Leben führen zu wollen. Heiko A. hat gar in seinem letzten Wort bekanntgegeben, die "Reichsbürger"-Ideologie ablegen zu wollen. Er habe beschlossen, das "angelernte Wissen" zu "verwerfen". Ob das geschieht, ist fraglich.
Denn: Als die Beschuldigten wegen ihres Fernbleibens beim geplanten Prozessbeginn in U-Haft genommen wurden, fand die Polizei erneut "diverse waffenrechtlich relevante Gegenstände". Darunter: eine "augenscheinlich schussbereite Maschinenpistole".
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