Das dritte Moment ist die Ethnisierung des Sozialen. Menschen werden häufiger nach ihrer ethnischen Herkunft bewertet, nicht in ihren sozialen Bezügen betrachtet. Dabei geht es gar nicht darum, ob sie deutsche Staatsangehörige sind. Entscheidend ist das Herkunftsland, oftmals auch das der Eltern oder der Großeltern von Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Die Ethnisierung des Sozialen ist eine Tendenz, die nicht nur von Rechtsextremen betrieben wird, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft um sich greift. Thilo Sarrazin etwa hat sie nicht erst in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" (2010) betrieben. Es wird eine Dichotomie aufgemacht: hier "wir Deutsche" und dort "die Anderen", nämlich die Muslime, die Araber, die Türken. Damit werden neue Frontlinien gezogen, die die wahren sozialen Trennlinien in der Gesellschaft überdecken.
Die vierte Tendenz – und auch da gehört Thilo Sarrazin zu den Vorreitern – ist eine Biologisierung des Sozialen. Aber schon lange vor Sarrazin war zu beobachten, dass das Reden über Gene in der Öffentlichkeit zunimmt und Menschen auf ihre biologische Prägung, die sie angeblich oder wirklich haben, reduziert und nicht mehr als Individuen ernst genommen werden. Das gilt zum Beispiel für Frauen, deren Eigenschaften am Geschlecht und an ihrem Körper festgemacht werden.
Erscheinungsformen des Rechtspopulismus
Rechtspopulismus ist eine Spielart des Rechtsextremismus, die sich als (partei)politisches Sprachrohr des Volkes geriert und sich einerseits nach oben – gegenüber der "politischen Klasse" und den Etablierten – und andererseits nach unten – gegenüber sozial Benachteiligten – abgrenzt. Ich unterscheide vier Typen des Rechtspopulismus, die sich ohne Ausnahme in den programmatischen Dokumenten der AfD finden:
Da ist erstens der Sozialpopulismus. Während sich die AfD als Retterin des Wohlfahrtsstaates darstellt, bezieht sie Stellung gegen "Drückeberger", "Faulenzer" und "Sozialschmarotzer", die gar nicht "wirklich" arm seien.
Den zweiten Typ kann man als Kriminalpopulismus bezeichnen. Dieser mobilisiert die "anständigen Bürger" gegen den "gesellschaftlichen Abschaum". Er richtet sich gegen Straffällige, plädiert energisch für "mehr Härte" der Gesellschaft im Umgang mit ihnen und nimmt besonders Drogenabhängige, BettlerInnen und Sexualstraftäter ins Visier.
Drittens nenne ich es Nationalpopulismus, wenn die deutsche kulturelle Identität und/oder der christliche Glauben als das entscheidende Merkmal hingestellt wird, welches einem Deutschen erlaubt, auf die anderen herabzublicken, sie abzuwehren und Politik gegen sie zu machen. Dafür zu sorgen, dass sich Muslime in Hinterhöfen verstecken müssen, ist fester Bestandteil einer Politik, wie sie parteiförmig hauptsächlich von der AfD betrieben wird.
Die vierte Form soll Radikalpopulismus heißen, weil er mit den "Altparteien" das politische System für alle Übel der Gesellschaft verantwortlich macht. Dabei greifen die Rechtspopulisten auf, was fälschlicherweise "Politikverdrossenheit" genannt wird. Tatsächlich handelt es sich um ein Kernproblem der Demokratie, wenn sich Millionen von BürgerInnen politisch nicht mehr vertreten fühlen. Der Radikalpopulismus versucht, diese Unzufriedenheit aufzugreifen und für sich auszunutzen, indem er die "rot-grün versifften" Eliten der Alt-68er dafür verantwortlich macht, dass die Bevölkerung mit ihren Interessen nicht zum Zuge kommt.
Warum selbst Gewerkschafter die AfD wählen
Zuletzt hat die rechtspopulistische AfD auch und gerade unter gewerkschaftlich organisierten Arbeitern sowohl in ost- als auch westdeutschen Regionen bei Parlamentswahlen überraschend viele Stimmen bekommen. Neben mancherlei organisatorischen Parallelen (ein hohes Maß an Zentralismus und Bürokratismus) gibt es auch ideologische Berührungspunkte. Eine problematische Schnittmenge liegt in der Überzeugung, dass man auf den "Standort D" stolz sein dürfe und ihn stärken müsse, um den Wohlstand für die ArbeitnehmerInnen hierzulande mehren zu können. Dieser sich im Zuge einer neoliberalen Modernisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staatsapparat ausbreitende Standortnationalismus schafft einen günstigen Nährboden für die Ausgrenzung von (ethnischen) Minderheiten.
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Charlotte Rath
am 04.04.2018Systematisch verzerrte Entscheidungen? Die Responsivität der deutschen Politik von 1998…