Die Wahrheit ist immer konkret. Schon im vergangenen Winter wollte die Stuttgarter Kunststaatssekretärin Petra Olschowski Projekte zum freien Eintritt in die Sammlungen heimischer Museen auf den Weg bringen, um gerade Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Familien, jungen Erwachsenen, die überdurchschnittlich von Armut betroffen sind, oder Alleinerziehenden, mehr Teilhabe zu sichern (<link https: www.kontextwochenzeitung.de kultur hereinspaziert-4181.html _blank external-link>Kontext berichtete). Für die Idee mochte sich aber niemand verkämpfen. Mehr noch: Tobias Wald, der Baden-Badener CDU-Abgeordnete ließ mitteilen, dass hochwertige Kunst und Kultur eben "ihren Preis" hätten. Den hatte noch der frühere Finanzminister Nils Schmid errechnen lassen. Sechs Millionen Euro wären landesweit im Jahr vonnöten. Schon nach wenigen Tagen verkündete Ministerpräsident Winfried Kretschmann dennoch, der grün-schwarze Koalitionsausschuss habe den Vorstoß abgelehnt – wegen Geldmangels. Jetzt startet die Staatssekretärin erneut zwei Projekte, und muss sie wissenschaftlich begleiten lassen.
Dabei hat die Abstimmung mit den Füßen eigentlich schon stattgefunden. Die Eröffnung der Ausstellung "Open Codes" dieser Tage im Karlsruher ZKM war überfüllt. Der Eintritt zu der bis nächsten August laufenden Schau zum "Leben in digitalen Welten" ist frei, allerdings nicht, weil die öffentliche Hand erkannt hätte, dass mehr Geld nötig ist, um Zugänge zu schaffen. Mit der Würth-Gruppe wurde ein finanzkräftiger Sponsor gefunden. Was nicht ohne Pikanterie ist: Der Firmenpatriarch wurde als Steuerhinterzieher verurteilt, ist also einer jener Superreichen im Land, die dem Staat vorsätzlich Geld vorenthalten, das der in Armutsbekämpfung stecken könnte. Die Strafe spricht für sich: 2,5 Millionen Euro musste der Fabrikant und Kunstsammler berappen. Allein damit hätte Sozialminister Manne Lucha 25 Projekte wie jenes in Pforzheim unterstützen können.
Auch das Gesundheitswesen braucht eine Reform
Der erste Armuts- und Reichtumsbericht für Baden-Württemberg, den der Grüne mit einem besonderen Augenmerk auf Kinder und Familien fortschreiben lassen möchte, zeigt auch, wie stark Familien mit mehr als zwei Kindern von Ausgrenzung und finanziellen Schwierigkeiten betroffen sind. "Investitionen in Kinder können individuelle Lebenschancen verbessern und um ein Vielfaches höhere gesellschaftliche Folgekosten, wie etwa Behandlungskosten für physische und psychische Folgeerkrankungen, Aufwendungen auf Grund von Straffälligkeit und Wertschöpfungsverluste im Erwerbssystem, vermeiden", schreiben die AutorInnen.
Und sie erinnern daran, dass alle "Forschungsergebnisse für einen entschiedenen Paradigmenwechsel in den Finanzierungsstrukturen von Gesundheitswesen und Jugendhilfe sprechen": Die derzeitige Finanzierung müsse zugunsten einer passgenauen Unterstützung von Geburt an verändert werden. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, geht noch weiter und verlangt, den Familienlastenausgleich vom Kopf auf die Füße zu stellen. Denn noch immer und trotz all der ungezählten Studien bekommen nach dem geltenden System Familien ohne Probleme mehr Geld als jene in finanziellen Schwierigkeiten. Und Hartz-IV-EmpfängerInnen wird zu allem Überfluss angerechnet, was ihnen eigentlich zustehen würde.
"Wir billigen armen Familien zu wenig Geld zu", sagt Schneider und findet bei einer Grünen Gehör. Die wiedergewählte Heidelberger Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner hat das Thema auf die Tagesordnung der Jamaika-Sondierungen gerückt: "Eine neue Bundesregierung hat die Chance, endlich diesen Missstand anzugehen." Denn: "Kinderarmut kann man nicht aussitzen, sondern das muss konkret angegangen werden." Ersteres allerdings ist seit vielen Jahren bewiesen. Und an Letzteres hat sich seit Jahrzehnten keine Regierung ernsthaft herangewagt.
4 Kommentare verfügbar
Schwa be
am 29.10.2017Alle der Meinung von Mutti Merkel das es "uns" gut geht? Alle der neoliberal kapitalistischen Meinung - also auch von Mutti Merkel - das Armut selbst zu…