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Therapie gegen Rechts

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Göppingen und seine Umgebung sind braunes Pflaster. Immer wieder haben Neonazis in der alten Arbeiterstadt zu Aufmärschen aufgerufen. Am Rande der Stadt, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Klinikum Christophsbad sitzen ein Psychiater und ein Psychologe, die das Übel an der Wurzel packen wollen.

Es kam schon vor, dass ein Patient mit einem Hakenkreuz-Anstecker vor ihm saß. Zu solchen Gelegenheiten sagt Markus Löble zu seinem Gegenüber, Hakenkreuze brächten ihn immer durcheinander. "Und die meisten", sagt er, "nehmen den Stecker dann ab." Zu Löble ins Besprechungszimmer kommen keine Nazis. Sondern PatientInnen. "Oft sind das zutiefst hilfebedürftige Menschen." Mit Problemen, Ängsten und einem Leben hinter der radikalen Fassade.

Markus Löble ist Psychiater, 55 Jahre alt, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Klinikum Christophsbad in Göppingen. Sein Kollege Niklas Gebele, 35, ist der leitende Psychologe des Hauses. Sie sitzen an der Quelle in einem kleinen, aber wichtigen Fachgebiet, mittendrin in politischen Debatten an den Schnittpunkten zwischen Schule, Gesellschaft, Eltern und Kindern. Beide arbeiten unter anderem zum Thema Extremismus – linkem, rechtem, islamistischem.

Im April hielt Löble auf einem Fachtag "Demokratie leben" in Göppingen einen Vortrag zum Thema Populismus, gemeinsam mit Hajo Funke, Rechtsextremismus-Experte, auch im NSU-Untersuchungsausschuss. Am 10. Oktober, dem Welttag der seelischen Gesundheit, veranstalten die beiden Therapeuten in ihrer Klinik einen Vortragsabend mit Diskussion unter dem Titel "Populismus und Radikalisierung aus psychiatrischer Sicht". 

"Man kann sich nicht in einer Klinik verschanzen, wenn unsere Arbeit effizient sein soll", sagt Löble. Als Jugendpsychologen begreifen sich die beiden als Front gegen die zunehmende Radikalisierung. Denn Politik greift immer am Ende einer Entwicklung an. Die Psychologie versucht, die Anfänge zu finden. 

Die Arbeiterstadt Göppingen war mal rot und wehrhaft 

Die beiden Männer arbeiten auf schwierigem Pflaster. Göppingens Ruf ist mau, und das nicht erst seit gestern. Schon 2012 bemühte sich die Stadt durch neues Corporate Design und den Claim "Landkreis Göppingen. Überraschend. BESSER." um ein anständiges Image. Um dann 2014 in einer Studie zur Sympathie, Bekanntheit, Einzigartigkeit und Schönheit von größeren Städten in Baden-Württemberg auf Platz 20 von 20 zu landen. Die Stadt ist bekannt für Handballer von "Frisch auf!", für Märklin-Eisenbahnen und für Neonaziaufmärsche.

Der Dritte Weg, eine rechtradikale Kleinpartei, ist dort stark vertreten, die Autonomen Nationalisten, 2014 vom Innenministerium verboten, haben in der Vergangenheit immer wieder zu Aufmärschen durch die Fußgängerzone aufgerufen. Zur Bundestagswahl hat die AfD in Stadt und Kreis überdurchschnittlich gute Ergebnisse eingefahren: 15,8 Prozent in Göppingen, Spitzenreiter im Kreis ist Uhingen mit 17,3 Prozent. Stadtrat Christian Stähle von der Linken sagt, das läge daran, dass sich vor allem die Peripherie am Fuße der Schwäbischen Alb so abgehängt fühle, unbeachtet, wie viele Gebiete im Osten.

Dabei war Göppingen, die Arbeiterstadt, mal rot und wehrhaft. SPD und KPD waren groß, das Bürgertum liberal. Als die noch junge NSDAP in den Zwanzigerjahren im Hotel "Zu den Aposteln" in der Göppinger Fußgängerzone tagen wollte, hängte der damalige Wirt ein Schild an die Tür und wies die Parteischergen ab. Während in Berlin 1933 der Fackelmarsch am Brandenburger Tor stattfand, organisierte die lokale KPD eine antifaschistische Demo.

Auch heute gibt es Widerstand gegen die Neonazi-Szene und die Populisten der Kreisstadt und ihrer Umgebung. Die Initiative "Kreis Göppingen nazifrei" ruft immer wieder zu Gegendemonstrationen und Veranstaltungen auf, Stolpersteine erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus. Wie den Unternehmer Albert Schuler, der sich im Umfeld der "Weißen Rose" bewegte und 1943 von den Nazis ermordet wurde. Heute sind die Schuler-Werke als Zulieferer für Daimler einer der größten Arbeitgeber in Göppingen.

Und es gibt die beiden Ärzte aus der Jugendpsychiatrie. Der Klinik-Neubau ist bunt und hell, ein freundlicher Ort für die Heilung junger PatientInnen. Bei der Bundeswehr hatte Markus Löble ein Schlüsselerlebnis. Damals, sagt er, habe er nicht verstehen können, dass ein Ex-Marinerichter wie Hans Filbinger tatsächlich Ministerpräsident werden kann. "Und so einer wollte, dass ich an der Waffe ausgebildet werde und Dienst am Vaterland tue." So wurde Markus Löble zum Linken.

Am Fuß der Schwäbischen Alb fühlt man sich abgehängt 

"Armut ist ein pathogener Faktor", sagt Löble. Pathogen heißt krankheitserregend. Denn Armut grenzt aus und löst Scham aus. Ganz oft, sagt der Psychiater, säßen Kinder in seinem Besprechungszimmer, von denen er denke: "Dieses Kind braucht keinen Psychiater, es braucht eine anständige Wohnung. Wenn das nicht gegeben ist, können manche Betroffene nicht einfach so sagen, dass es ok ist, dass der Staat Flüchtlinge aufnimmt. Wir brauchen sozialen Wohnungsbau und keine Paläste den Versicherungen." 

Löble hat einmal eine kleine Geschichte geschrieben. Es geht um zwei Mädchen, Sophia und Fatime, Freundinnen, die in den Sankt-Franziskus-Kindergarten gehen, den einzigen am Ort. Irgendwann erzählen sie der Kindergärtnerin, dass sie auch Erzieherinnen werden wollen. Die Frau freut sich und Sophia wird eine Chance bekommen. Fatime leider nicht, sie sei ja keine Christin, sagt die Kindergärtnerin, "so sind die Regeln". Auf der Vorderseite von Löbles Papier endet die Geschichte mit dem Nachhause-Weg der beiden Mädchen: "Von außen sieht man nichts Besonderes. Zwei Kinder, die nach Hause laufen. Innerlich aber, das spüren beide, laufen sie zum ersten Mal getrennt voneinander nach Hause. So ist das, wenn man älter wird." Diesen Mechanismus nenne man fachlich "Othering", sagt Löble, vom Englischen "other", anders. "Das erschafft schon früh das Bewusstsein, 'du gehörst nicht dazu'." Auf der Rückseite seines Papiers ist es egal, welcher Religion Fatime angehört, beide Mädchen haben dieselbe Chance. Der letzte Satz lautet denn auch: "Alle drei sind sich einig, dass es ein gutes Gefühl ist, einen Plan für die Zukunft zu haben."

1,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland stünden nur Christen zur Verfügung, sagt Löble. In kirchlich betriebenen Krankenhäusern, Kindergärten, und so weiter. "Kein Wunder, dass sich Moslems nicht mit diesem Staat identifizieren." Gebele fügt hinzu: "Das sind absehbare Mechanismen, nicht völlig undurchschaubar, das ist nicht wie ein Unwetter über uns."

Kirchliche Arbeitgeber sollten auf die Religionszugehörigkeit verzichten, Gedanken- und Gewissensfreiheit garantieren, fordert Löble. Altersarmut bekämpfen, keine homogenisierten Krabbelgruppen, Schulen oder Arbeitsplätze, will sein Kollege. Eine funktionierende Sozialpolitik, in der auch ein Krankenpfleger seine Familie ernähren kann, keine Doppelbotschaften von der Politik. Das sind die politischen Forderungen der beiden Therapeuten für eine Gesellschaft, der man den Boden nimmt, auf der radikale Ansichten keinem können.

Niklas Gebele bezeichnet sich als "passives Kohl-Kind", war in seiner Jugend eher in der Richtung selbstverwaltete Jugendhäuser unterwegs als auf Demos. Mit Beginn seiner beruflichen Laufbahn wurde ihm bewusst, wie sehr alles zusammenhängt – Popmusik, Mainstream, Politik. Und die Psyche.

Ein Gefühl von Kränkung und Ausgrenzung

Radikalisierung, egal in welche Richtung, beschreibt er als immer gleichen Prozess der Ausgrenzung, des Nichtverstanden-Werdens. "Kinder und Jugendliche sind dem am stärksten ausgesetzt, und die leben häufig in prekären Verhältnissen. Radikalisierung ist ein sozialpsychologischer Prozess. Ein Gefühl von Kränkung, Identitätsunsicherheit, Ausgrenzung. Hetze und radikale Gruppen im Internet sprechen diese angreifbaren Leute an, bieten scheinbar Sinn, Zugehörigkeit und Identität."

Gebele hat diese Entwicklung vom Kind zum Radikalen einmal für Anakin Skywalker beschrieben, der im Star-Wars-Universum vom begabten Jungen zum Bösewicht Darth Vader wird. "Wenn die helle Seite, die für Demokratie und Menschenrechte eintritt, die Ängstlichen und innerlich Zerrissenen nicht wahrhaft annehmen will, sondern nur umerziehen, treibt sie diese der dunklen Seite mit ihren vereinfachenden Antworten direkt in die Arme." <link http: charakterneurosen.blogspot.de star-wars-anakin.html _blank external-link>So endet Gebeles Analyse. Und so lässt sie sich auf das Heute und die Realität übertragen.

"Es geht viel um Narrative", sagt Psychiater Löble. "Darum, wie man Geschichten erzählt. Wie die AfD ihre Geschichte erzählt und die andere Seite ihre. Wenn man ein Dorffest macht, und Neonazis auslädt, sind sie ausgegrenzt. Aber wenn sie da sind, werfen sie wenigstens nicht mit Steinen. Das gemeinsame Narrativ ist dann: Mensch, sind wir ein tolles Dorf. Da können Populisten dann gar nicht anknüpfen."

"Jeder Einzelne ist in der Pflicht den Dialog zu fördern," sagt Gebele. "Ich betrachte es als Luxus, als etwas sehr Schönes, wenn man sich gegenseitig zuhören kann." Wenn man Gelegenheit habe, die Geschichte des Menschen zu hören, dann verstehe man dessen Situation oft. Wie sieht das Leben des Gegenübers aus, wie ist seine Familiengeschichte, gelingt es den Menschen dahinter zu sehen, nicht die Ideologie? "In dem Moment", sagt Löble, "entsteht eine Beziehung." Manchmal müsse man sich zum genauen Hinschauen zwingen, auch wenn es einem nicht passe. 

"Wie man sich streitet, ist wichtig", sagt Niklas Gebele. "Man muss menschenverachtenden Ideologien entgegentreten. Aber gewaltsam gegen Menschen vorzugehen, egal welcher Ideologie sie angehören, das geht nicht." Dann zitiert er den Philosophen Karl Popper: "Lasst Ideen sterben, nicht Menschen."

 

Info:

Der Vortragsabend "Populismus und Radikalisierung aus psychiatrischer Sicht" im Klinikum Christophsbad beginnt am Dienstag, 10. Oktober, um 17.30 Uhr mit der Vernissage der Ausstellung "Von kreativ bis kunstpirativ" in der Galerie beim Café am Park, Faurndauer Straße 6-28 in Göppingen. Mehr dazu <link http: www.christophsbad.de home news-detailseite archive september article _blank external-link>unter diesem Link.


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3 Kommentare verfügbar

  • Helga Stöhr-Strauch
    am 10.10.2017
    Antworten
    Guter Artikel! Danke. Er macht sehr nachdenklich, wie Interaktionsmechanismen - und zwar nicht nur in der Politik - wirklich funktionieren; wie (Selbstwert-)Gefühle verletzt werden und dass man wahrscheinlich wirklich besser daran tut, gelegentlich über seinen eigenen Schatten zu springen (sind ja…
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