KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Rechts geblinkt und verloren

Rechts geblinkt und verloren
|

Datum:

Einen Denkzettel, so nennt Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) die Wahl der Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag. Schön wär’s. Gerade die Union hat es bisher regelmäßig versäumt, die richtigen Lehren aus Niederlagen zu ziehen.

Es gibt Fischer und Fischer. Die einen angeln behutsam, umsichtig, zum eigenen Verzehr, zur Hege und Pflege, oder sie setzen die Bachforellen, die Saiblinge und Welse sogar vorsichtig wieder zurück. Anderen sind die Konsequenzen egal, selbst durch Köder verletzte Tiere werden brachial ins Wasser geworfen, ohne Rücksicht auf Verluste. Zu viele PolitikerInnen, vor allem in CDU und CSU und längst nicht nur im Osten, sind in den vergangenen Jahren auf Stimmenfang gegangen – ohne die Konsequenzen zu bedenken. Jetzt hängen die WählerInnen am Angelhaken anderer. "Wir dürfen die Themen nicht weiter den Falschen überlassen", sagte die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner noch am Sonntagabend und lag schon wieder daneben. Denn Richtschnur muss sein, die falschen von den richtigen Themen zu trennen, und den bisherigen Umgang mit den einen wie den anderen zu analysieren.

Da werden vor allem die Jahre vor 2015 häufig ausgeblendet. Die Zeit vor der "humanitären Katastrophe", mit der die Bundeskanzlerin die Grenzöffnung inzwischen gebetsmühlenhaft begründet. Denn spätestens seit dem 3. Oktober 2010 und dem berühmten Satz des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff – "Der Islam gehört zu Deutschland" – war eine Debatte eröffnet, die gerade nicht der Integration dienen sollte. Ängste wurden geschürt, um billige Punkte zu machen. Die Fischer warfen die Angel aus. Die Fische wurden angelockt. Wie oft hat Oettinger seine Erkenntnis aus den Jahren der "Republikaner" im baden-württembergischen Landtag wiederholt, dass, wenn die CDU die Tür nach rechts öffnet, sie Gefahr läuft, zu viele in der eigenen Anhängerschaft zu animieren, noch weiter rechts durch die nächste Tür zu rennen. 1,3 Millionen Stimmen hat die Union bundesweit an die selbsternannte Alternative abgegeben, nicht auf einmal, sondern nach und nach, wie frühere Wahlen beweisen.

Nur zur Erinnerung: Schon 2013 zieht die AfD mit ihrer brachialen Euro-Kritik, mit Sprüchen wie "Wir haben die Parteien das Fürchten gelehrt" und 4,7 Prozent nur knapp nicht in den Bundestag ein. Nach der Europawahl im Mai darauf schickte sie sieben Abgeordnete nach Brüssel, und die CSU stürzte in Bayern auf den historischen Tiefstand von damals noch gut 40 Prozent. "Sie hatte mit äußerst Brüssel-kritischen Tönen polarisiert", schrieb der nicht linksverdächtige "Münchner Merkur". Und weiter: "Die Christsozialen machten vehement gegen eine angebliche Armutszuwanderung in deutsche Sozialsysteme mobil."

Die Südwest-CDU buhlte lange um Stimmen vom rechten Rand

Auch Peter Hauk oder Guido Wolf oder Thomas Strobl schenkten sich und der Öffentlichkeit nichts in dieser Zeit, in der die Zuwanderung zunahm, in der die eigene Anhängerschaft hätte darauf vorbereitet werden müssen, was der Abschied von der schwarzen Lebenslüge, Deutschland sei kein Einwanderungsland, konkret bedeutet. Niemand konnte wissen, dass 2015 knapp 100 000 Menschen Zuflucht allein in Baden-Württemberg suchen werden. Schon in den Jahren 2011 und 2014 haben sich die Zahlen aber jeweils fast verdoppelt. Und die Sprücheklopfer in der Union? Die nutzen die Steilvorlage, den Boden für spätere Wahlniederlagen zu bereiten. Nicht nur in der Flüchtlings-, sondern hierzulande sogar in der Bildungspolitik: Langgediente CDU-Größen wie Peter Hauk, heute an Winfried Kretschmanns Kabinettstisch, machten gemeinsame Sache mit der rechten "Demo für alle", entboten Grußadressen und damit Unterstützung im Kampf gegen die Akzeptanz sexueller Vielfalt. Genützt hat es nichts. Bei der Landtagswahl 2016 mussten die Schwarzen bekanntlich sogar den Stammplatz als stärkste Partei im Land räumen.

Denkzettel? Keine Spur. Von einem Umsteuern konnte und kann nicht die Rede sein. Kretschmann verspricht in einer Reaktion auf die Ankündigung des Neu-Bundestagsabgeordneten Alexander Gauland (AfD, früher CDU), Angela Merkel zu jagen, dass sich niemand jagen lassen werde. Aber seit wie langer Zeit lassen sich Strobl, Wolf und Co. treiben? Und selbst in der grün-schwarzen Koalition noch immer weiter: War es nicht Baden-Württembergs Innenminister Strobl, der 500 000 Geflüchtete im laufenden Jahr abschieben oder rückführen lassen wollte? Waren es nicht Strobl und Justizminister Wolf gemeinsam, die das Thema "<link http: uebermedien.de heimaturlaube-von-fluechtlingen-medien-uebernehmen-afd-dreh external-link-new-window>Flüchtlinge im Urlaub" über Tage am Kochen hielten, um die Lufthoheit über den Stammtischen zurückzuerobern? Es hat aber alles nicht funktioniert: Bayern und Baden-Württemberg wurden am vergangenen Sonntag zu AfD-Hochburgen im Westen. Und damit, dass sich weite Teil der rechten Wählerschaft abgehängt fühlen, ist dies auch nicht zu erklären. Denn 82 (!) Prozent der AfD-AnhängerInnen im Land beurteilen laut infratest-dimap ihre "eigene persönliche wirtschaftliche Lage" als gut.

Das TV-Duell lenkte Wasser auf die Mühlen der Falschen

Nach jedem Einzug der Populisten, mit dem ausgerechnet unter Abgeordneten und Funktionären immer größer werdenden Anteil von Nationalisten, Extremisten, Antisemiten oder gar Holocaust-Relativierern, wird über die Rolle der Medien und ihrer Mitverantwortung diskutiert. Unter Demoskopen ist seriös belegt, wie jene 55 Minuten, in denen heikelste Fragen der Flüchtlingspolitik im KanzlerInnen-Duell von ARD, ZDF, RTL und Sat1 zeitgleich und zur Prime-Time diskutiert wurden, Wasser auf die Mühlen der Falschen lenkte. Selbst Zuspitzungen in Millionen-Auflage sind längst nicht mehr nur das Geschäft der Zeitung mit den großen Buchstaben. "Die AfD überrollt die Volksparteien", untertitelt der "Spiegel" sein aktuelles Sonderheft, was bei knapp 13 Prozent gar nicht sein kann, aber sicher den Verkauf ankurbelt. Walter Sittler riet schon am Wahlabend, einfach mehr über die 87 Prozent zu berichten, die die anderen Parteien eingefahren hätten.

Gute Idee, die allein aber nicht tragen wird. Sender und Redaktionen müssen vor der eigenen Türe kehren, etwa wenn schon am Dienstag ein Beitrag zu den ohne Zweifel riesigen Hürden für eine stabile Zusammenarbeit von Union, FDP und Grünen durchs ZDF-Morgenmagazin geistert, der eine Jamaika-Konstellation "ohne Visionen" in Aussicht stellt. Oder wenn Markus Lanz im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die riesige Hilfsbereitschaft an österreichischen und deutschen Bahnhöfen vor zwei Jahren die Forderung erhebt, JournalistInnen hätten schon da genauer hinsehen und künftige Probleme erkennen müssen. Und dann noch den berühmtem Hanns Joachim Friedrichs zitiert – aber grottenfalsch.

Denn der Ausspruch des langjährigen Tagesthemen-Moderators zur notwendigen journalistischen Distanz bezieht sich gar nicht auf gesellschaftliche Zustände und war nie gemeint als Objektivitätsdogma. Friedrichs berichtete viel mehr von seinen fünf Jahren bei der BBC in London und den Umgang mit Katastrophen, davon, "cool zu bleiben, ohne kalt zu sein, Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören".

Besser: Ohne Schaum vorm Mund einordnen

Ein Beispiel, wie es künftig gehen kann und muss, hat die "Süddeutsche Zeitung" sofort am Montag geliefert. Im Detail, ohne Schaum vorm Mund und ohne Schonung werden 18 der <link http: www.sueddeutsche.de politik bundestagswahl-diese-abgeordneten-sitzen-fuer-die-afd-im-bundestag-1.3680882 external-link-new-window>neuen AfD-Abgeordneten einordnend vorgestellt, darunter der Leipziger Siegbert Droese, der 2016 auffiel, "weil ein Auto seines Fuhrparks das Kennzeichen 'AH 1818' trug: AH sind die Initialen von Adolf Hitler, 18 gilt in Neonazi-Kreisen als Chiffre für 'Adolf Hitler'". Oder der Niedersachse Wilhelm von Gottberg, wie so viele AfDler früher in der Union, der "die Massenvernichtung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland für einen Mythos hält". Oder Alice Weidel, die "politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte" entsorgen will. Die Liste könnte um weitere Baden-Württemberger ergänzt werden. Um den Freiburger Thomas Seitz zum Beispiel, der schon im Landtagswahlkampf die Politik der Bundeskanzlerin zum "Auftakt zur Vernichtung des deutschen Volkes" erklärte. Oder um den Scharfmacher Markus Frohnmaier. Oder um Marc Jongen, für den sich landauf, landab der Begriff "Vordenker" eingeschliffen hat, obwohl die Entwicklung seiner Thesen doch mit Denken nichts zu tun haben kann.

Noch vor wenigen Wochen haben CSU-Größen wie Horst Seehofer oder Markus Söder versprochen, eben solche Gestalten aus dem Reichstag herauszuhalten. Tatsächlich dürfen sich nun so schöne Regionen des Freistaats wie die um die Drei-Flüsse-Stadt Passau als AfD-Brennpunkte fühlen. Und anstatt wenigstens jetzt damit zu beginnen, Lehren aus dem Denkzettel zu ziehen, wird die Grundlage gelegt für noch weitere Zuwächse am äußersten Rand. Der bayerische Ministerpräsident will die rechte Flanke schließen. Sogar um den Preis, dass keine stabile Bundesregierung zu Stande kommt. Sagt er jedenfalls und will wieder AnhängerInnen locken, von denen schlussendlich zu viele doch bei anderen anbeißen.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Blender Blender
    am 27.09.2017
    Antworten
    Problem dieses Wahlkampfs war die Demoskopagogie der Meinungsforschungsinstitute die im Wettstreit gefühlt 95% der Agenturmeldungen Produzierten. Der Gipfel dr Demagogie war die Umfrage VOR dem Fernsehduell S gegen M: "wer wird als Sieger wohl hervorgehen". Da findet keine Meinungsbildung mehr…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!