"Ich will denen in die Augen kucken", sagt eine Demonstrantin in bestem Alter und weißer Steppjacke und quetscht sich durch die Leute bis ganz vorne ans Gitter – links einen Bierdeckel der Caritas in der hoch erhobenen Hand – "Ich wähle Menschlichkeit" – rechts eine Postkarte – "357 168 km2 Platz hat Deutschland. Wie viel Platz hat dein Herz?" Wenig, ein Alternative-Sympathisant jedenfalls giftet "Nimm die Zettel weg, du blöde Kuh!", was auf beiden Seiten der einzige unfreundliche Ausfall an diesem Abend bleiben sollte. Verirrte AfD-Gäste auf der falschen Seite des Zauns, werden freundlich aus der Demo geleitet: "Kucken Sie mal, da geht's raus, nicht über die Absperrung klettern, das gibt Ärger mit der Polizei." "So sind wir halt", sagt ein Mann mit einem bunten Protest-Plakat. "Freundlich zu allen. Das macht den Unterschied."
Man kann nicht auf allen Anti-AfD-Demos sein
Zur Mahnwache aufgerufen hat ein Stadtrat der SPD, der grüne Ortsverein hat sich angeschlossen. Verdi ist da, der DGB, die Caritas, Die Linke unter anderem mit einem Vertreter in Sandalen (mit Socken!), der Pfeife raucht und berichtet, wie nahezu unmöglich es grade sei, auf allen Anti-AfD-Demos in der Region vertreten zu sein und die rote Fahne zu schwenken. Aber immerhin, sagt er, es lohne sich. Eine Lokalzeitung habe kürzlich geschrieben: "Die Linke und die MLPD waren auch da." Der Mann schmaucht zufrieden ein Rauchwölkchen.
Gedacht war diese Demonstration als schweigende Mahnwache für Toleranz, illuminiert mit roten Grablichtern. Allerdings haben die Veranstalter nicht mit "Der Partei" gerechnet, die nur ein paar Meter entfernt eine Kundgebung angemeldet hat und gerade lautstark "Sascha" von den Toten Hosen singt, untermalt mit Akustikgitarre. "Ja, der Sascha, der ist Deutscher, und deutsch sein, das ist schwer. Wer so deutsch wie der Sascha ist, der ist sonst gar nichts mehr".
Ein amerikanisches Filmteam schiebt sich durch die Menschen. Sie drehen eine europaweite Dokumentation über den neuen Rechtsruck und die gesellschaftlichen Folgen, erklärt die Redakteurin und hält einer kleinen Frau ein Mikro unter die Nase. "Ich bin Amerikanerin", sagt die aufgebracht in die Kamera. "Ich lebe hier und zahle Steuern – I pay taxes! – Und ich will nicht, dass von meinen Steuergeldern diese Partei finanziert wird!"
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!