"Letzter Tag", so steht es im Kalender von Shoya, einem ernsten jungen Mann mit Igelfrisur. Noch ein paar Dinge hat er zu erledigen, dann steigt er auf das Geländer einer Brücke und ... Und nun kracht das Leben als Rückblende in die melancholischen Bilder, nun wird die sanfte Musik verdrängt vom trotzig-harten Hit "Talking about my Generation" von The Who, nun tobt Shoya mit zwei Grundschulfreunden ausgelassen über den Schulhof, zappelt an Videospielkonsolen rum, versichert sich durch Kumpelgesten – Faust an Faust – seiner tollen Existenz. Fünf Jahre ist das her, aber inzwischen ist so viel passiert. Die gehörlose Shoko ist damals neu in die Klasse gekommen, der Lehrer bittet um Rücksicht, Shoya aber röhrt ihr von hinten ins Ohr, macht ihre näselnd-stockende Sprechweise nach, raubt ihr immer wieder die Hörgeräte, wirft auch ihr Ringheft weg, das sie den Mitschülern als Kommunikationsmittel offeriert hat.
Die Geschichte eines Mobbers? Die Geschichte seines Opfers? Die Geschichte eines gescheiterten Inklusionsversuchs? Ja, all dies. Und doch noch viel mehr. Ohne falsche Rücksichtnahme, aber immer mit großer Empathie schildert die japanische Regisseurin Naoko Yamada in ihrem Anime "A Silent Voice", wie schwer es für Shoko ist, sich in dieser Klasse einzugliedern oder gar Freunde zu finden. Denn diese Schüler sind ja in einem Alter, in dem sie selber schwer damit beschäftigt sind, dazuzugehören. Was eben auch heißt, sich Cliquen anzuschließen, die sich über andere erheben und ablästern: "Die zieht sich an wie ein Sack Kartoffeln!" Dieser Film ist auf Shokos Seite, aber er zeigt auch, dass die anderen in der Klasse viel Verständnis und Geduld aufbringen müssen. Und dass viele dazu nicht fähig sind, so dass die einzige Schülerin, die sich Shoko annähert, als "Schleimerin" denunziert wird.
Im Chor singt Shoko, die sich selber nicht hören kann, zu früh los. In der Pause brechen Mitschülerinnen die schriftliche Kommunikation ab, weil es für sie zu mühsam ist. Und an der Tafel steht plötzlich der Satz: "Behalte dein Gestammel für dich!" Shoya hat das hingeschrieben, gegenüber der stets defensiv auftretenden und sich immer wieder entschuldigenden Shoko aber tut er so, als wische er die bösen Worte gerade weg. Obwohl er sie so getriezt hat, fragt sie ihn naiv und per Gebärdensprache: "Freunde?" Dieses "Herumgestochere" mit Hand und Fingern aber stachelt ihn, der auf verquere und ihm selber nicht bewusste Weise an ihr interessiert ist, zu noch größerer Aggression an. So weit treibt Shoya schließlich sein Mobbing, dass Shoko die Schule wechselt, dass sich sogar seine Mittäter distanzieren und er plötzlich, nachdem die vorher halbherzige Schulleitung endlich eingegriffen hat, selber als Außenseiter dasteht.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!