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Landschaft mit Männern

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In ihrem Film "Western" platziert die Regisseurin Valeska Grisebach das Genre ins heutige Bulgarien. Dort will ein deutscher Bautrupp ein Wasserkraftwerk errichten und gerät mit den Einheimischen aneinander. Ein gutes Stück Berliner Schule, meint unser Filmkritiker.

Berge, Wälder und ein Fluss. Lagerfeuer, Pferde und ein Gewehr. Und ein kantiger Mann mit Vergangenheit, der seinem alten Leben abgeschworen hat und nun versucht, in den Frieden der Natur einzutauchen. So beginnen viele Filme eines Genres, das die Regisseurin Valeska Grisebach gleich im Titel ihres Films für sich reklamiert: "Western". Allerdings ist der alte Westen nun im heutigen Osten angesiedelt, in einer einsamen Gegend in Bulgarien, in der eine Gruppe deutscher Arbeiter ein Wasserkraftwerk errichten soll. Schon wird die Schwarz-Rot-Gold-Fahne überm Camp gehisst, auch wenn einer die Besatzergeste mit skeptischem Fragezeichen versieht: "Habt ihr schon an die Einheimischen gedacht?"

Nein, an die Gefühle der Bulgaren haben die vor allem aus Berlin und Brandenburg rekrutierten Männer nicht gedacht. Was da um sie herum ist, zum Beispiel das Obst an den Bäumen, nehmen sie sich einfach. Und wenn sie, in verratzten Campingstühlen am Fluss hockend und sich Bierdosen zuwerfend, ein paar irritierte Frauen am Gegenufer sehen, dann pfeifen sie los und der bullige Vorarbeiter Vincent (Reinhardt Wetrek) verwickelt eine von ihnen in blöde Machospäße. Manchen geht das zu weit, einer hält sich ganz raus. Er heißt Meinhard (Meinhard Neumann) und ist neu im Trupp. Ein hager-sehniger und wortkarger Kerl mit bedächtig-steifem Gang und überraschend schnellen Reaktionen. Immer kommt er später und geht früher als die anderen, immer separiert ihn die Kamera, auch wenn er mit am Tisch sitzt. Vincent wittert Renitenz, geht Meinhard mal hinterrücks an, wirft ihn zu Boden und stellt die Loyalitätsfrage: "Miteinander oder gegeneinander?" Meinhard bleibt ruhig und sagt nur, er stehe nicht auf Gewalt. Aber man spürt, dass er sich zurückhalten muss und dass es jederzeit zum Showdown kommen könnte.

Diesen so authentisch autark wirkenden Meinhard Neumann, so sagt die mit Laiendarstellern arbeitende Regisseurin bei der Vorpremiere im Stuttgarter Delphi, habe sie bei einem Pferdemarkt an der Havel kennengelernt. Es sei so gewesen, "als wäre er aus einem Western rausmarschiert". Überhaupt sei sie mit diesem Genre großgeworden, sei fasziniert gewesen von den verhandelten Themen, etwa Stärke und Nähe, wie man mit dem Fremden umgehe, wie sich Emotionen ausdrückten. Schon als Mädchen wollte sie dieser "maskulinen Welt auf die Schliche kommen". Was aber nicht heißt, dass Valeska Grisebach das Genre nun seziert. Sie probiert es eher aus, sie testet seine Tragfähigkeit für eine Geschichte, die sie selbst als "Abenteuerfantasie" bezeichnet.

Wenn der Film nun schildert, wie Meinhard mit einigen seiner Kollegen aneinandergerät, sich dafür aber mit ein paar Dorfbewohnern anfreundet, dann beobachtet die Regisseurin das Geschehen freilich eher, als es zu dramatisieren. Konflikte bahnen sich an, werden aber nicht hochgepuscht. Manchmal scheint die Kamera fast zufällig am Ort zu sein. Ein zurückhaltender und trotzdem spannender Western. Einer, der dem Zuschauer Zeit zum Schauen lässt, so wie auch diesem Meinhard, der einfach auf einem Hügel sitzt. Die Landschaft betrachtet. Raucht. Atmet. Und auch ein Western, der einem keine Filmmusik durch die Gehörgänge pumpt, sodass man einer Vielfalt von Geräuschen lauschen kann. Wie die Fliegen brummen und die Zikaden zirpen. Wie ein Schimmel einen Abhang herunterstürzt und dumpf aufschlägt. Oder wie die getrockneten Tabakblätter rascheln, die eine Dorfbewohnerin dem in jeder Hinsicht interessierten Meinhard zeigt. Er könnte alles zurücklassen, sagt Meinhard zu dieser Frau.

Die Inszenierung subtil, die Charaktere komplex

Doch die Kommunikation ist schwierig, wenn man keine gemeinsame Sprache spricht. Unmöglich aber ist sie nicht. Wenn man sie physisch angeht zum Beispiel, wenn man hinter die Worte zurückgeht zu etwas Elementarerem, also einfach mitanpackt beim Anfachen eines Feuers oder beim Bau eines Mäuerchens. Oder wenn man so willig ist wie Meinhard und sein neuer bulgarischer Freund Adrian (Syuleyman Alilov Letifov), der für die wegen Nachschubmangels stillgelegte Baustelle Kies beschaffen oder beim Streit ums Wasser vermitteln könnte. Meinhard erzählt diesem Adrian auch Dinge, die er sonst für sich behält, obwohl oder gerade weil dieser sie nicht oder nur ansatzweise versteht. Dass er Legionär war und in Afrika und Afghanistan gekämpft hat. Oder dass er über den Tod seines Bruders nie hinweggekommen ist. Valeska Grisebach wollte bei den Sprachen keine Hierarchie aufkommen lassen, der bulgarische Anteil an solchen Dialogen ist deshalb untertitelt – der Zuschauer weiß also immer mehr als die Protagonisten.

Ansonsten geizt dieser Film mit schnellen Informationen, verlangt vielmehr aufmerksame Zuschauer, für die sich etwa die Verhältnisse zwischen deutschem Camp und bulgarischem Dorf erst nach und nach erhellen. Valeska Grisebach lässt dem Leben seinen Lauf, ist man versucht zu sagen. Was natürlich nicht stimmt. Sie inszeniert nur so subtil, dass es manchmal aussieht, als würde sich das Geschehen ganz spontan entwickeln oder gar herummäandern. Außerdem nimmt die Regisseurin den Western und sein Regelwerk, wie schon gesagt, durchaus ernst. Komplexe Charaktere gehören zu diesem Genre dazu, nur in den schlichteren Werken ist der Held ein Held durch und durch. Was hier heißt: Nicht nur der grobe Vincent zeigt auch mal feinere Seiten, auch Meinhard fällt sozusagen aus der Rolle und fungiert in diesem komplizierten Gefüge nicht immer als moralischer Kompass.

Valeska Grisebach wird zur sogenannten Berliner Schule des Filmemachens gezählt. Wer mit diesem Begriff jedoch weniger die exzellenten Werke von Christian Petzold ("Barbara") verbindet, sondern so überanstrengte und gleichzeitig so blutleer-langweilige wie die von Angela Schanelec ("Der traumhafte Weg") oder Thomas Arslan ("Helle Nächte"), der sich vor ein paar Jahren mit "Gold" auch mal an einem Western versucht hat, der sollte dieser Schule nochmal eine Chance geben. Dieses Männergebrabbel und -gekabbel auf der Baustelle etwa ("Ich habe Bock, in die Landschaft zu ballern!") hat Valeska Grisebach sehr gut eingefangen. Und wie wunderbar sie das Motiv der Fahne verfolgt, die von den Dörflern erobert wurde. Wie das jederzeit in Gewalt ausarten könnte, aber im Spiel endet. Wie auch ein anderer Vorfall nach Rache zu verlangen scheint, Adrian die Sache aber hinnimmt und sagt, so etwas passiere eben. Bloß bei Meinhard ist zu fürchten, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle halten kann. Da ist dieses Gewehr. Da ist dieses Messer. Da ist das Dorffest, bei dem alle versammelt sind.

 

Info:

Valeska Grisebachs "Western" kommt am Donnerstag, dem 24. August, in die deutschen Kinos. In Stuttgart läuft er im Arthaus-Kino Delphi, und zwar am Donnerstag sowie Samstag bis Montag um 20:30 Uhr und am Freitagnachmittag um 15 Uhr. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche western external-link-new-window>finden Sie hier.


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