Visionen aus Stuttgart gibt es selten im Kleinformat. Wenn es um Pläne für die Zukunft geht, muss als Maßstab mindestens der Leuchtturm herhalten. Eine immens ambitionierte Lokalpolitik hat im Haushalt 1,5 Millionen Euro für eine nicht weiter konkretisierte "Kunstinstallation von Weltruf" eingeplant, was Anstrengungen aus der CDU zu verdanken ist. Doch ausgerechnet für eines der größten Prestigeprojekte der kommenden Jahre bringt der konservative Oberbürgermeister Frank Nopper nicht mal ansatzweise so viel Begeisterung auf wie für die Eröffnung des Weindorfs. Die Internationale Bauausstellung (IBA) im Jahr 2027 droht mit ihren Projekten in der Landeshauptstadt zum Reinfall zu werden – und jetzt ist auch noch einer von vier Hauptsponsoren aus der Wirtschaft, das Bauunternehmen Wolff & Müller, abgesprungen. Zusammen mit dem Holzhammerhinweis, dass dies als "Weckruf" zu verstehen sei.
Kritik am Projektfortschritt in der Landeshauptstadt ist nicht erst seit gestern zu vernehmen. Bei der letzten IBA in Stuttgart, im Jahr 1927, entstand mit der Weißenhofsiedlung ein Weltkulturerbe und zugleich ein Musterprojekt für günstigen Wohnraum. Bei der Neuauflage ein Jahrhundert später zeichnet sich jedoch ab, dass kaum eines der städtischen Projekte bis zur Eröffnung fertig wird. Weil die eigentliche Oper für eine Milliarde Euro saniert wird, sollte auf der IBA eine Zwischennutzungs-Spielstätte gezeigt werden. Da diese jedoch voraussichtlich nicht rechtzeitig gebaut wird, kommentierte IBA-Intendant Andreas Hofer im Mai 2022: "Vielleicht ist aber eine große Holzbaustelle auch ein attraktives Exponat."
"Fürchterlich."
Ein Jahr später, im Interview mit Kontext, kritisierte Hofer die Kommunikation mit der Stadt. Was denn der Stand bei der Entwicklung des IBA-Projekts "Neue Mitte Leonhardsvorstadt" sei? "Ich weiß es nicht. Fürchterlich. Du diskutierst etwas, relativ sachlich. Dann verschwindet das, niemand hört mehr was in den nächsten drei bis sechs Monaten, und dann taucht es plötzlich als Gemeinderatsvorlage wieder auf, bei der du dir überlegst: Soll ich diese Kröte jetzt schlucken? Und wenn ich sie nicht schlucke, dann machen wir die gleiche Runde nochmal."
Mit dem Quartier "Neues Stöckach" sollte ein ökologisch vorbildlicher Stadtteil entstehen. Doch auch diese Pläne liegen auf Eis, weil der Investor EnBW eine Projektpause ausgerufen hat, bis die Baupreise sinken und wieder lukrative Geschäfte möglich sind. FDP-Stadtrat Matthias Oechsner erklärt die IBA bereits für "tot" und prognostiziert, dass gar kein städtisches Projekt rechtzeitig fertig wird. Wolff & Müller glaubt zwar weiterhin an "die große Strahlkraft, die eine Internationale Bauausstellung entfalten kann". Aber als einer der größten Geldgeber hat es vergangene Woche seinen Sponsoring-Vertrag gekündigt, mit explizitem Hinweis an die Stadt, dass das Unternehmen mehr Engagement erwartet.
Die Reaktion? In der städtischen Pressemitteilung verzichtet Oberbürgermeister Nopper auf eine Stellungnahme und Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) weist die Vorwürfe als nicht nachvollziehbar zurück, weil man sich sehr wohl Mühe gebe. Sie wären aber offen für Gespräche, "da hier wohl ein Informationsdefizit besteht". Derweil setzt Nopper bei der Öffentlichkeitsarbeit andere Akzente. Auf Instagram brüstete er sich jüngst damit, dass ein von der EU-Kommission geplantes Verbot von Pflanzenschutzmitteln in urbanen Gebieten verhindert werden konnte. Der Schultes sah darin eine Gefahr für den Stuttgarter Weinbau: "Meine flammenden Appelle an Europaabgeordnete und bei verschiedenen politischen Anlässen haben ein Stück dazu beitragen, dass das Europaparlament die geplante Verordnung gekippt hat." Auch diese seltsame Mischung aus Provinzialität und Geltungsdrang ist offenbar nicht im Kleinformat zu haben.
Korrektur-Hinweis: In der urprünglichen Variante des Artikels wurde das Bauunternehmen Wolff & Müller als "Hauptinvestor" der IBA 2027 bezeichnet. Das erzeugt ein irreführendes Bild. Zutreffend ist, dass die IBA'27-GmbH überwiegend von der Stadt Stuttgart, der Region, der Architektenkammer und der Universität Stuttgart finanziert wird. Daneben gibt es vier gleichgestellte Hauptsponsoren aus der Wirtschaft, zu denen auch Wolff & Müller zählt.
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Tobias Schiller
am 07.12.2023