Dazwischen liegen die Kämpfe um die 48-Stunden-Woche, die 40-Stunden-Woche, die 35-Stunden-Woche und den Acht- und Siebenstunden-Tag und das ganze in seiner Aufweichung bis Mai 2019 in Gestalt von „Vertrauensarbeit“ und Flexibilisierung der Arbeitszeit.
Die gewerkschaftlichen Kämpfe um den Achtstunden-Tag und seine Kontrolle haben viele Hundert Millionen Reichsmark, DM und Euro gekostet – aber von der über alle Branchen und Berufe verbindlichen Einhaltung und Erfassung waren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft meilenweit entfernt.
Dies allein der Arbeitgeberseite vorzuwerfen, wäre die Unwahrheit. Datenschutzbeauftragte und Gewerkschafter können unendliche Geschichten erzählen, warum Arbeitnehmer denken, ohne Arbeitszeiterfassung ginge es besser. So sehr dabei der Moment der Eigenverantwortung, der Vertrauensarbeitszeit und die Flexibilität hervorgehoben werden, so steht in allen Behauptungen ein Zweifel an der eigenen Leistung oder das Wollen dem Arbeitgeber zu suggerieren, dass hier einer über der Norm arbeitet.
Brauchbare Zeiterfassungsmodelle gesucht
Seit vergangener Woche ist dies Geschichte, alles perdu. Denn ab jetzt müssen wir uns auf die Suche nach brauchbaren Zeiterfassungsmodellen begeben und wie wir unsere Arbeitskraft dabei nicht mehr verschenken.
Denn dies steht ebenso fest: Die Nichteinhaltung der eigenen Arbeitszeit und die Nichterfassung von Mehrarbeit und deren geldwerte Nicht-Abgeltung haben den Arbeitgebern Milliarden an Euro im Laufe vieler Jahre geschenkt.
Und um gleich mit dem zweiten Missverständnis aufzuräumen: Es geht hier nicht um Arbeit nach Stechuhr. Das ist tumbe Polemik all derjenigen, denen der eigene Profit näher liegt als die Gesundheit des Arbeitnehmers.
Zum Dritten soll und muss gerne anerkannt werden, dass die Arbeitswelt und ihre zeitlichen Erfordernisse, um Menschen und Maschinen zu bedienen, eventuell sehr verschiedene Arbeitszeitmodelle braucht.
Das führt aber nicht an der grundsätzlichen und verbindlichen Erfassung der Norm und ihrer Überschreitung vorbei. Wir hören in der Arbeitszeit ja auch nicht auf zu atmen.
Ein Grundrecht ist es, gerecht in seinem Arbeitsmaß erfasst zu werden. In jedem Winkel von Europa, jede ArbeitnehmerIn.
Und auch jeder Journalist!
Denn auch für Journalisten gilt seit der vergangenen Woche: Jeder Verleger hat die Pflicht, den Redakteur in seiner Arbeitszeit zu vermessen und festzustellen, wann er in Mehrarbeit geschrieben hat und Freizeitansprüche oder Entgeltung für diese gearbeiteten Mehrzeilen erhalten muss.
Als vor etlichen Jahren beim SWR die Gewerkschaften mit der Geschäftsleitung den Tarifvertrag Arbeitszeit verhandelten, war eine der Grundregeln, dass er auch für die Redaktion zu gelten habe. Aufstände in Tal der Oos (Baden-Baden). Die Nachrichten-Redaktion hatte ein eigenes System ihrer Mehrarbeitserfassung – das wohl da und dort in seiner Ausgleichsregelung von Mehrarbeit üppiger war als der Tarifvertrag. Da gab es noch eine Zeit lang doppelte Buchführungen – und eine händische Zeiterfassung. Das hat sich versendet.
Bei den Tageszeitungen ist eine der gefährdeten Mehrarbeitsspezies der genuine Sportjournalist: Quer durch alle Ligen kann sich kein Sportjournalist vorstellen, dass es ein Spiel seines Clubs ohne ihn geben kann. Auch nicht an seinem freien Tag. Bei „Bild“ in Hannover führte dieser Wildwuchs zu mehrjährigen Freizeitansprüchen der Redaktoren.
Das ist aber die Ausnahme. Hauptnutznießer über Jahrzehnte hinweg, trotz existierender 37,5 Stunden-Woche, und einer sehr großzügigen Freizeitabgeltung 1:1 von Mehrarbeit sind die Verleger jeglicher Art.
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