Dieser Text richtet sich nicht gegen das Ballett an sich. Der Autor bestreitet nicht, dass gerade die Spitzenaufführungen der hiesigen Kompanie ihren Anhängern ästhetischen Hochgenuss bereiten. Er weiß auch, mit wie viel Enthusiasmus und Freude Kinder und Jugendliche oft ans Werk gehen. Und er ist einverstanden mit den Zeilen der Journalistin Wiebke Hüster, die in der FAZ geschrieben hat: "Der beste, eigentlich der einzige Grund, einen kleinen Menschen zum Tanzen anzuhalten, ist jene tiefe Befriedigung, die aus ihm resultiert, jenes überschäumende Vergnügen, das dem Ausübenden dieser Praxis erwächst. (...) Es ist die Erfahrung, sich souverän durch Raum und Zeit zu bewegen, im Einklang mit dem eigenen Körper, dem Geist, erfüllt vom seelischen Einschwingen in Musik, in eine ästhetische Struktur, eine ganze Welt aus Farben, Klängen, Gerüchen, Ideen, Aufregungen."
Und doch gibt es da auch die andere Seite, die Katja Engler in einem Artikel der "Welt" über das Internat des Hamburg Balletts so beschreibt: "Fast alles müssen diese jungen Menschen den extremen Anforderungen des Balletts unterwerfen. Außerschulische Freundschaften können sie nur selten pflegen, denn an ihrem einzigen freien Tag hängen sie meist einfach herum, um sich zu erholen. Ihr Essverhalten wird kontrolliert, und wenn sie sich im Internat verlieben, können sie allerhöchstens Händchen halten, mehr ist strengstens verboten..." Eva-Elisabeth Fischer zieht in der "Süddeutschen" eine Art Fazit: "Tanzen an sich ist ein hartes Brot. Ballett ist das härteste. Das schmecken schon die Kleinen, die mit acht Jahren an der Stange stehen. Leistung ist alles, will man weiterkommen in einer Kunst, die wie keine andere den Körper und damit die Seele angreift."
Der Generalverdacht ist infam
Könnte es also sein, dass die alltäglichen Gefahren für Ballett-Schüler und -Schülerinnen nicht draußen zu finden sind, sondern eher im Inneren einer solchen Institution? Das Fachportal "tanznetz.de" berichtet im Januar 2018 von einer "grundsätzliche(n) Kritik an der in vielen Kontexten noch immer sehr patriarchalisch strukturierten Hierarchie in der Ballettwelt, die Machtmissbrauch gerade auch in sexueller Hinsicht möglich mache".
Was den Missbrauch von Auszubildenden betrifft, gab es in Stuttgart Mitte der neunziger Jahre im Eiskunstlauftraining, das dem des Balletts nicht unähnlich sein dürfte, einen berühmt-berüchtigten Fall. Er ereignete sich in einer Eislaufhalle auf der Waldau. Sie ist von außen einsehbar, ja, man kann heute durch große Glasscheiben hindurch die Übungen beobachten. Der Täter aber kam nicht von außen, es war der Trainer Karel Fajfr, der unter anderem von zwei Nachwuchsläuferinnen beschuldigt und wegen "sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen" auch verurteilt wurde.
Sollte man also nicht, bevor alle an der John Cranko Schule vorbeigehenden Bürger misstrauisch beäugt werden, erst mal eine Gefahrenanalyse für deren Inneres erstellen? Nein, es wäre ebenfalls infam, nun im Gegenzug die Ausbilder der Cranko Schule unter Generalverdacht zu stellen. Aber ein bisschen Einblick in eine solche Institution, gerade wenn sie sich so einzuschließen versucht, wäre wohl wünschenswert.
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Isolde V. (ehemals Musikstudentin am Urbansplatz)
am 14.05.2019Die 'Schwester'-Sendung KONTEXT auf SRF2 brachte heute (9-10h, Whlg. 18-19h) in den ersten ca. 25 Min ein Loblied auf "Stuttgart - in Sachen Hitzeprävention eine Nasenlänge voraus".
Dabei stellte sich jedoch heraus, dass die…