Um diese Ziele ging es im Grunde auch Karl Radek, dem Deutschlandspezialisten der Komintern, der bei der Tagung direkt nach Zetkin sprach und dabei das Schicksal Schlageters aufgriff. Er würdigte ihn als "Märtyrer des Nationalismus" und "mutigen Soldaten der Konterrevolution", der ehrlich und tapfer in den Tod gegangen sei, aber auf der falschen Seite gekämpft habe, weswegen er ein "Wanderer ins Nichts" sei. Seine Gesinnungsgenossen müssten sich nun entscheiden, gegen wen sie kämpften, damit er sich nicht umsonst geopfert habe. Und die Kommunisten würden "alles tun, dass Männer wie Schlageter, die bereit waren, für eine allgemeine Sache in den Tod zu gehen, nicht Wanderer ins Nichts, sondern Wanderer in eine bessere Zukunft der Menschheit werden".
Die praktische Umsetzung dieses Kurses geschah auf zwei Ebenen. Zum einen in Texten: In Parteiblättern und KPD-Publikationen wie "Schlageter. Eine Auseinandersetzung" wurden nationalistische Vordenker wie Arthur Moeller van den Bruck oder Graf Reventlow zum theoretischen Diskurs eingeladen und bekamen Platz für Artikel, im Wechsel mit kommunistischen Autoren.
Zum anderen kam es zu gemeinsamen Diskussionsveranstaltungen, wenn auch nur wenigen. Neben einer Rede der Parteilinken Ruth Fischer am 25. Juli vor kommunistischen und völkischen Studenten in Berlin sind lediglich die Veranstaltungen mit Remmele in Stuttgart und in Göppingen bekannt.
Querfront? Eher nicht
Was sollte das Ziel dieser Aktivitäten sein? Auf der Veranstaltung am 10. August in Stuttgart schloss der NSDAP-Mann Kaltenboeck zwar für die "nähere oder fernere Zukunft gleichgerichtete Aktionen" beider Parteien nicht aus. Doch gemeinsame Aktionen waren seitens der KPD wohl nie geplant. Statt der Bildung einer Querfront mit gemeinsamen Zielen ging es eher darum, den Nazis die Wählerschaft abzugraben. Das dämmerte wohl bald auch den Nationalsozialisten, die bereits am 14. August im "Völkischen Beobachter" davor warnten, an gemeinsamen Veranstaltungen teilzunehmen. Für die Göppinger Veranstaltung am 16. August kam dies wohl nicht mehr rechtzeitig. Doch der NS-Redner Ehni betonte dort, wie das Lokalblatt "Der Hohenstaufen" am 17. August berichtet, dass die Nationalsozialisten "absolut nichts mit den Kommunisten zu tun haben wollten, wenn sie aber, die Kommunisten, einsehen gelernt hätten, dass sie auf dem falschen Wege seien, dann würden sie gerne in die Reihen der Nationalsozialisten aufgenommen".
Wie der Kurs der KPD zu bewerten ist, darüber sind sich die Historiker:innen nicht ganz einig. Auf den ersten Blick erscheint er wie ein hemmungsloses Anbiedern an die Nazis. Doch meist wird er eher als taktisches Manöver gesehen, um die völkische Bewegung zu spalten und von ihren Unterstützern zu profitieren, und um im Diskurs ihre Ideologie zu entlarven. Erfolgreich war die Partei dabei nicht.
Die KPD gab ihren "Schlageter-Kurs" bald wieder auf. Zum einen, weil die Komintern in Moskau schon wieder einen neuen Haken schlug: Einige Vertreter agitierten gegen Radek und dessen Idee, wollten aber auch nicht zum früheren Einheitsfront-Kurs zurückkehren. Stattdessen lautete ab Ende August das neue Ziel: für den Herbst 1923 einen Aufstand in Deutschland zu planen, einen "deutschen Oktober".
Auch KPDler sahen den Kurs kritisch
Zum anderen war der Kurs nicht nur erfolglos, sondern stieß bei vielen in der Partei selbst auf Ablehnung. Viel Kritik gab es etwa an den gemeinsamen Veröffentlichungen, der Berliner KPD-Funktionär Max Hesse schrieb etwa, dass den "Schweinehunden" aus der völkischen Bewegung keine einzige Zeitungsspalte überlassen werden sollte.
Überhaupt bekämpfte die Berliner KPD-Linke den "Schlageter-Kurs" scharf, doch auch die Stuttgarter Kommunisten, schreibt der Historiker Jürgen Genuneit, "verstanden den Kurs ihrer Führung nicht". Das zeigte sich etwa daran, dass am 2. August, als Remmele auf der einen NSDAP-Veranstaltung sprach, eine andere in Stuttgart von ihnen gesprengt wurde. Und auch bei der nächsten Großversammlung der NSDAP in Stuttgart am 18. September in der Liederhalle kam es wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nazis und Kommunisten.
Gebracht hatte der so bizarre wie kurzlebige Kurs der KPD nichts, ob und wie sehr er ihr geschadet hat, ist schwer zu sagen; der völlig fehlgeschlagene Aufstandsversuch im Oktober, der zu einem mehrmonatigen Parteiverbot führte, war wohl weit desaströser für die Partei. Deswegen ist auch unklar, ob der "Schlageter-Kurs" die KPD Stimmen kostete; insgesamt war die Partei in jenen Jahren im Aufstieg begriffen – bei den württembergischen Landtagswahlen bekam sie 1920 drei Prozent, 1924 dann 11,7 Prozent der Stimmen, reichsweit war der Trend sehr ähnlich.
Den Nationalsozialisten in Württemberg dagegen hatten die gemeinsamen Auftritte eher genützt, schreibt Historiker Genuneit. "Es signalisierte ihnen, dass sie (in Württemberg, d. Red.) eine Stärke erreicht hatten, die auch die Kommunisten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihnen zwang."
Taktischer Antisemitismus?
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