KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Schlageter-Kurs der KPD

Liebeswerben um die Nazis

Schlageter-Kurs der KPD: Liebeswerben um die Nazis
|

Datum:

Vor 100 Jahren traten deutsche Kommunisten mehrmals gemeinsam mit Nazis auf. Der sogenannte "Schlageter-Kurs" sollte eigentlich die völkische Bewegung spalten, wirkte aber oft anbiedernd und irritierte durch antisemitische Stereotype.

Stuttgart, 2. August 1923. Es ist gerammelt voll im Dinkelacker-Saalbau in der Tübinger Straße. "Sie, die Faschisten, geben nun an, das jüdische Finanzkapital zu bekämpfen", ruft Hermann Remmele von der Bühne in die Menge. "Schön. Tun Sie das! Einverstanden. Aber Sie dürfen eines nicht vergessen, das Industriekapital!" Worauf die angesprochenen Faschisten mit stürmischem Beifall reagieren. Der Mann, dem sie applaudieren, ist Reichstagsabgeordneter der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), Mitglied in der Parteizentrale und zudem einer der führenden Köpfe der KPD in Württemberg.

Die Ereignisse waren verwirrend im Sommer 1923. NSDAP und KPD waren sich eigentlich spinnefeind, immer wieder gab es blutige Zusammenstöße zwischen Anhängern beider Parteien, nach besonders heftigen im Dezember 1922 verbot die württembergische Landesregierung alle NSDAP-Versammlungen im Land. Doch am 21. Juli 1923 wurde das Verbot wieder aufgehoben. Auf diese Entscheidung nahm der KPD-Bezirk Württemberg explizit Bezug, als die Partei für den 29. Juli im ganzen Deutschen Reich zum "Antifaschistentag" aufrief. Auf fünf Massendemonstrationen in Ludwigsburg, Böblingen, Villingen, Ravensburg und Kirchheim/Teck sollte protestiert werden, im Aufruf vom 25. Juli dazu standen Parolen wie: "Arbeiterschaft in Württemberg! Zeigt, dass es euch ernst ist. (…) Nieder mit den Arbeitermördern! Nieder mit dem faschistischen Mordgesindel!"

Zwischen "faschistischem Mordgesindel" und Kommunisten kam es wenige Tage später zu einem denkwürdigen Zusammentreffen – aber anders, als der Aufruf hätte vermuten lassen. Bei der Veranstaltung am 2. August im Dinkelacker-Saalbau handelte es sich um die erste öffentliche Versammlung der NSDAP nach dem Verbot in Stuttgart. Es gab einen riesigen Auflauf, etwa 3500 Menschen im und bis zu 2500 vor dem Saal, darunter auch viele Kommunisten. Direkt nach dem NSDAP-Propagandisten und Hauptredner Max Weber sprach der KPD-Abgeordnete Remmele.

"Seine Rede war vom Anfang bis zum Ende von allgemeinem Beifall begleitet", ist in einem Polizeibericht nachzulesen. "Zunächst schlug Remmele sehr nationale Töne an und betonte, dass sich die Ziele der Kommunisten und Nationalsozialisten in vielen Punkten berühren; er anerkannte die Begeisterung und den Kampfesmut der Nationalsozialisten, bekämpfte den Standpunkt des Hauptredners in der Rassenfrage." Zwei weitere Veranstaltungen mit Remmele und Nazi-Funktionären folgten. Am 10. August gab es, wieder im Dinkelacker-Saalbau, bei einer KPD-Veranstaltung sozusagen einen Gegenbesuch des württembergischen NSDAP-Geschäftsführers Bodo Kaltenboeck, und am 16. August wurde eine KPD-Veranstaltung im Göppinger Dreikönigssaal von dem lokalen NSDAP-Vertreter Ehni (Vorname nicht bekannt) besucht. Remmeles Rede hier kommentierte die "Göppinger Zeitung" vom 18. August so: "Aus seinen Ausführungen ging unzweideutig ein gewisses Liebeswerben um die Gunst der Nationalsozialisten hervor."

Kampf um "die Seelen der Proletarier"

Remmeles "Liebeswerben" gehörte zum sogenannten "Schlageter-Kurs", den die deutsche KPD im Sommer 1923 kurze Zeit verfolgte, auf Geheiß der Moskauer Komintern, der Dachorganisation der kommunistischen Parteien weltweit. Der Name bezieht sich auf den ehemaligen Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter, der wegen Sabotageaktionen gegen die französischen Besatzungstruppen im Ruhrgebiet im April 1923 verhaftet und am 26. Mai hingerichtet wurde – und fortan unter den extremen Rechten als Märtyrer verehrt wurde.

Die am 11. Januar 1923 begonnene Ruhrbesetzung hatte den Rechten, besonders der NSDAP, extremen Auftrieb gegeben, und die Kommunisten schienen lange ratlos, wie sie dem begegnen sollten. Überlegungen, wie die nationalistische Welle auch für die KPD ausgenutzt werden könnte, gab es aber schon früh. So forderte die Stuttgarter KPD-Reichstagsabgeordnete Clara Zetkin unter dem Titel "Zur Befreiung des deutschen Vaterlandes" etwa zum Sturz der Regierung von Reichskanzler Wilhelm Cuno und zur Bildung einer Arbeiterregierung auf – worauf ihr von Parteigenossen vorgeworfen wurde, die bürgerlichen Parteien rechts überholen zu wollen. In ihrer Haltung zum Faschismus blieb Zetkin aber stets klar: Der müsse strikt bekämpft werden, notfalls mit Gewalt und mit Hilfe einer Einheitsfront mit den Sozialdemokraten, sagte sie am 20. Juni 1923 in einer Rede über die "Gefahren des Faschismus" auf einer Tagung des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) in Moskau. Die Träger des Faschismus sah sie bis in die Arbeiterklasse hineinreichen und forderte daher einen Kampf "um die Seelen der Proletarier, die dem Faschismus verfallen sind".

Um diese Ziele ging es im Grunde auch Karl Radek, dem Deutschlandspezialisten der Komintern, der bei der Tagung direkt nach Zetkin sprach und dabei das Schicksal Schlageters aufgriff. Er würdigte ihn als "Märtyrer des Nationalismus" und "mutigen Soldaten der Konterrevolution", der ehrlich und tapfer in den Tod gegangen sei, aber auf der falschen Seite gekämpft habe, weswegen er ein "Wanderer ins Nichts" sei. Seine Gesinnungsgenossen müssten sich nun entscheiden, gegen wen sie kämpften, damit er sich nicht umsonst geopfert habe. Und die Kommunisten würden "alles tun, dass Männer wie Schlageter, die bereit waren, für eine allgemeine Sache in den Tod zu gehen, nicht Wanderer ins Nichts, sondern Wanderer in eine bessere Zukunft der Menschheit werden".

Die praktische Umsetzung dieses Kurses geschah auf zwei Ebenen. Zum einen in Texten: In Parteiblättern und KPD-Publikationen wie "Schlageter. Eine Auseinandersetzung" wurden nationalistische Vordenker wie Arthur Moeller van den Bruck oder Graf Reventlow zum theoretischen Diskurs eingeladen und bekamen Platz für Artikel, im Wechsel mit kommunistischen Autoren.

Zum anderen kam es zu gemeinsamen Diskussionsveranstaltungen, wenn auch nur wenigen. Neben einer Rede der Parteilinken Ruth Fischer am 25. Juli vor kommunistischen und völkischen Studenten in Berlin sind lediglich die Veranstaltungen mit Remmele in Stuttgart und in Göppingen bekannt.

Querfront? Eher nicht

Was sollte das Ziel dieser Aktivitäten sein? Auf der Veranstaltung am 10. August in Stuttgart schloss der NSDAP-Mann Kaltenboeck zwar für die "nähere oder fernere Zukunft gleichgerichtete Aktionen" beider Parteien nicht aus. Doch gemeinsame Aktionen waren seitens der KPD wohl nie geplant. Statt der Bildung einer Querfront mit gemeinsamen Zielen ging es eher darum, den Nazis die Wählerschaft abzugraben. Das dämmerte wohl bald auch den Nationalsozialisten, die bereits am 14. August im "Völkischen Beobachter" davor warnten, an gemeinsamen Veranstaltungen teilzunehmen. Für die Göppinger Veranstaltung am 16. August kam dies wohl nicht mehr rechtzeitig. Doch der NS-Redner Ehni betonte dort, wie das Lokalblatt "Der Hohenstaufen" am 17. August berichtet, dass die Nationalsozialisten "absolut nichts mit den Kommunisten zu tun haben wollten, wenn sie aber, die Kommunisten, einsehen gelernt hätten, dass sie auf dem falschen Wege seien, dann würden sie gerne in die Reihen der Nationalsozialisten aufgenommen".

Wie der Kurs der KPD zu bewerten ist, darüber sind sich die Historiker:innen nicht ganz einig. Auf den ersten Blick erscheint er wie ein hemmungsloses Anbiedern an die Nazis. Doch meist wird er eher als taktisches Manöver gesehen, um die völkische Bewegung zu spalten und von ihren Unterstützern zu profitieren, und um im Diskurs ihre Ideologie zu entlarven. Erfolgreich war die Partei dabei nicht.

Die KPD gab ihren "Schlageter-Kurs" bald wieder auf. Zum einen, weil die Komintern in Moskau schon wieder einen neuen Haken schlug: Einige Vertreter agitierten gegen Radek und dessen Idee, wollten aber auch nicht zum früheren Einheitsfront-Kurs zurückkehren. Stattdessen lautete ab Ende August das neue Ziel: für den Herbst 1923 einen Aufstand in Deutschland zu planen, einen "deutschen Oktober".

Auch KPDler sahen den Kurs kritisch

Zum anderen war der Kurs nicht nur erfolglos, sondern stieß bei vielen in der Partei selbst auf Ablehnung. Viel Kritik gab es etwa an den gemeinsamen Veröffentlichungen, der Berliner KPD-Funktionär Max Hesse schrieb etwa, dass den "Schweinehunden" aus der völkischen Bewegung keine einzige Zeitungsspalte überlassen werden sollte.

Überhaupt bekämpfte die Berliner KPD-Linke den "Schlageter-Kurs" scharf, doch auch die Stuttgarter Kommunisten, schreibt der Historiker Jürgen Genuneit, "verstanden den Kurs ihrer Führung nicht". Das zeigte sich etwa daran, dass am 2. August, als Remmele auf der einen NSDAP-Veranstaltung sprach, eine andere in Stuttgart von ihnen gesprengt wurde. Und auch bei der nächsten Großversammlung der NSDAP in Stuttgart am 18. September in der Liederhalle kam es wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nazis und Kommunisten.

Gebracht hatte der so bizarre wie kurzlebige Kurs der KPD nichts, ob und wie sehr er ihr geschadet hat, ist schwer zu sagen; der völlig fehlgeschlagene Aufstandsversuch im Oktober, der zu einem mehrmonatigen Parteiverbot führte, war wohl weit desaströser für die Partei. Deswegen ist auch unklar, ob der "Schlageter-Kurs" die KPD Stimmen kostete; insgesamt war die Partei in jenen Jahren im Aufstieg begriffen – bei den württembergischen Landtagswahlen bekam sie 1920 drei Prozent, 1924 dann 11,7 Prozent der Stimmen, reichsweit war der Trend sehr ähnlich.

Den Nationalsozialisten in Württemberg dagegen hatten die gemeinsamen Auftritte eher genützt, schreibt Historiker Genuneit. "Es signalisierte ihnen, dass sie (in Württemberg, d. Red.) eine Stärke erreicht hatten, die auch die Kommunisten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihnen zwang."

Taktischer Antisemitismus?

Remmele und die Juden

In der Rede, die der KPD-Mann Hermann Remmele am 2. August 1923 auf der NSDAP-Veranstaltung in Stuttgart hielt, distanzierte er sich zwar vom Antisemitismus der Nazis, suchte aber zugleich nach Anknüpfungspunkten, indem er "den Juden" eine Sonderrolle in der kapitalistischen Gesellschaft unterstellte: die eines "Verbindungsmannes zwischen Ausbeuter und Ausgebeuteten". Sie seien "die Kommis der großen Kapitalsherren, weiter nichts! (…) Wenn Sie die Juden totschlagen, werden sich die Gewaltherren christliche Kommis bestellen. Aber ändert das was an der Ausbeutung und an dem Räubersystem des Kapitalismus?"

Mit einer Mischung aus Verständnis und Kritik argumentierte Remmele auch, als er die Judenfeindschaft der Nazis mit einem antikapitalistischen Impuls erklärte: "Der Antisemitismus ist keine neue Erscheinung, er ist uralt. Und er hat zu allen Zeiten dazu gedient, blinde, unwissende Massen von den wirklichen Ursachen ihrer traurigen Notlage abzulenken. (….) Wie dieser Antisemitismus entsteht, kann ich ja sehr leicht begreifen. Man braucht nur einmal auf den Stuttgarter Viehmarkt, nach dem Schlachthof zu gehen, um dort zu sehen, wie Viehhändler, die größtenteils zum Judentum gehören, zu jedem Preise das Vieh aufkaufen, während die Stuttgarter Metzger wieder leer abziehen müssen, weil sie einfach nicht so viel Geld haben (…) Daß da in den Mittelschichten, in den Kreisen der Händler und Gewerbetreibenden ein Judenhaß entsteht, ist begreiflich. Diese kleinbürgerlichen Schichten sind heute oft genauso verelendet, wie die Arbeiterschaft. Aber die eigentlichen Ursachen dieser Verelendung liegen wo anders, liegen in der ungeheuer steigenden Geldentwertung (…)".

Die Rede ist in großen Teilen im Parteiorgan "Die rote Fahne" (10.08.1923) abgedruckt, dessen Chefredakteur Remmele zu diesem Zeitpunkt auch war. (os)

Im Blickfeld der Historiker ist der "Schlageter-Kurs" auch, weil er teils als Hinweis auf einen latenten Antisemitismus in der KPD gedeutet wird. Das erscheint zunächst paradox, gab es doch viele jüdische Parteimitglieder, etwa die Berliner Parteilinke Ruth Fischer. Doch gerade sie knüpfte in ihrer Rede am 25. Juli 1923 laut einem Bericht im SPD-Organ "Vorwärts" drastisch an antisemitische Stereotypen an: "Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, (…) ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. (…) Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner?" Auch wenn Fischer später diesen Wortlaut bestritt, ähneln die Worte doch sehr den eingangs zitierten von Remmele in Stuttgart – dessen Rede komplett im Parteiblatt "Die rote Fahne" abgedruckt ist und noch einige antisemitische Stereotypen mehr enthielt (siehe Kasten).

War dies lediglich ein Versuch, den Antisemitismus der Nazis zu entlarven? Oder zeigte sich hier die Bereitschaft, den eigenen Antikapitalismus antisemitisch einzufärben, wenn es der der Parteistrategie dienlich sein könnte?

Der Historiker Ralf Hoffrogge kommt zu einer differenzierten Beurteilung: "Die KPD war ein Teil der Weimarer Gesellschaft", deren Nationalismus und Diskriminierungsstrukturen – und damit auch deren Antisemitismus – seien in die Partei hineingeragt, sie sei nicht immun dagegen gewesen. Dieses Hineinragen dürfe "jedoch nicht mit ideologischer Zustimmung (...) gleichgesetzt werden". Denn gleichzeitig sei die KPD ein "jüdischer Emanzipationsraum" gewesen, "in dem jüdische und nichtjüdische Mitglieder gemeinsam gegen Antisemitismus kämpften".

So widersprüchlich diese Haltungen waren, sie änderten nichts daran, dass die Kommunisten zu den ersten Opfern gehörten, als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht in Deutschland kamen. Ende Februar, Anfang März 1933 wurden die Parteifunktionäre in Windeseile verhaftet, die Parteistrukturen zerschlagen. Ruth Fischer konnte am 9. März gerade noch nach Prag fliehen. Hermann Remmele hatte das Land schon im August 1932 verlassen, war auf Geheiß der Komintern nach Moskau gegangen. 1937 geriet er ins Visier der stalinistischen Säuberungen und wurde im März 1939 erschossen.
 

Zum Weiterlesen:

Ralf Hoffrogge: Der Sommer des Nationalbolschewismus? Die Stellung der KPD-Linken zum Ruhrkampf und ihre Kritik am "Schlageter-Kurs" von 1923, in: Sozial.Geschichte Online, No. 20/2017.

Louis Dupeux: "Nationalbolschewismus" in Deutschland 1919-1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985.

Jürgen Genuneit: Völkische Radikale in Stuttgart. Zur Vorgeschichte und Frühphase der NSDAP 1890-1925, Stuttgart 1982.

Mario Kessler: Die KPD und der Antisemitismus in der Weimarer Republik, in: Utopie kreativ, Heft 173 (März 2005), S. 223-232.

Olaf Kistenmacher: Arbeit und "jüdisches Kapital". Antisemitische Aussagen in der KPD-Tageszeitung Die Rote Fahne während der Weimarer Republik, Bremen 2016.

Martin Ulmer: Antisemitismus in Stuttgart 1871 bis 1933. Studien zum öffentlichen Diskurs und Alltag, Stuttgart 2011.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!