Die Wiener mit ihrer grundsätzlichen Bevorzugung des öffentlichen Personennahverkehrs haben's ausgerechnet: "Bei Benützung des eigenen Pkw wird für die Beförderung einer Person durchschnittlich das 68fache an Straßenfläche in Anspruch genommen als bei Benützung der Straßenbahn." Dass die beengte Lage Stuttgarts im Talkessel die Konsequenzen daraus noch potenziert, war Stuttgarter Nachkriegs-Entscheidern schnell klar. Aber eben nicht allen. Und auch nicht jenen, die am Ende das Sagen hatten.
In den Archiven liegen viele Wiederaufbau-Varianten für das vom Krieg zerstörte Stuttgart. Eine besonders weitgehende sah vor, den gesamten öffentlichen Personen-Nahverkehr kostenfrei anzubieten. In weiser Voraussicht, dass die in den Fünfzigern schnell beliebter werdenden Personenkraftwagen sonst die Entwicklung dominieren könnten. Klimawandel war kein Thema, wohl aber die Lebensqualität möglichst vieler Bevölkerungsschichten in möglichst vielen Stadtteilen. Und die StuttgarterInnen mochten ihre "Elektrische" ohnehin, nicht zuletzt, weil viele – von allen anderen Katastrophen des Zweiten Weltkriegs abgesehen – um ihren in den Vierzigern bestellten und zumindest in Teilen bezahlten "Volkswagen" geprellt wurden. Die Straßenbahn blieb verlässlich.
Innovativ aber lange her: Gütertransport per Straßenbahn
Es sei bewundernswert, heißt es in der immerhin 116 Seiten starken Broschüre "Fahren an der 'Heimatfront'", wie die Mitarbeiter der SSB und der von ihr beauftragten Firmen "sich unablässig bemühten, mit oftmals primitivsten Mitteln und Improvisation den Betrieb aufrecht zu erhalten". Schon im Oktober 1949 wird mit der Linie 3 die letzte kriegsbedingt stillgelegte Strecke wieder in Betrieb genommen und zugleich der Güterverkehr, zum Beispiel Gemüse vom Großmarkt, eingestellt. Heute sind VerkehrsexpertInnen auf der Suche nach klugen Logistik-Konzepten. Güter auf Straßenbahn-Schienen zu transportieren war eines.
Die gesellschaftliche Bedeutung, den Status der Straßenbahner unterstreicht damals nicht nur, wie rasch die amerikanischen Besatzer das berühmte Straßenbahner-Waldheim unter dem Fernsehturm rücküberschreiben, sondern gerade die Veranstaltungen, die dort stattfinden: 1954 dirigiert Wilhelm Furtwängler unter anderem eine der Ouvertüren zu Beethovens Freiheits-Oper "Fidelio". Ein Jahr später steigen die Fahrgastzahlen bei inzwischen 600 000 Einwohnern auf fast 200 Millionen. Neue Wagen-Generationen werden beschafft. "Mit dem GT4 hätte eigentlich alles gut werden können, viel Transportvolumen bei maximaler Fahrgastzahl und gleichzeitig minimalem Fahrpersonal, hätte da nicht im Verlauf der Sechziger und Siebziger der Autoverkehr rasant überhand genommen, denn all die unzähligen Wirtschaftswunder-VW-, Opel-, Ford-, Borgward-, Isabella- und DKW-Anwärter wollten natürlich insgeheim allesamt den selben Luxus genießen, den man bei augenscheinlich materiell überproportional begüterten Benz-Lenkern vermutete", schreibt ein Tramway-Freak im Netz über die Wirtschaftswunder-Jahre.
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D. Hartmann
am 04.07.2017Der neue Hauptbahnhof liegt am Rande des Zentrum. Er wurde in 8 Jahren gebaut (von Einreichung Genehmigungsanträge 2007 bis Fertigstellung…