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Armut und Reichtum

Deutschlands gefährlichste Clans

Armut und Reichtum: Deutschlands gefährlichste Clans
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Sie besitzen obszöne Vermögen dank schmutziger Geschäfte, tanzen dem Staat auf der Nase herum und haben mächtige Verbündete in Politik und Wirtschaft: die Milliarden-Erben deutscher Familiendynastien.

Bevor Fantasie und Kreativität die Wirklichkeit mit Hinzugedichtetem aufpeppen, lassen sich die großen Mythen von wahren Begebenheiten und realen Figuren inspirieren. So auch der größte: die Legende von der Leistung, die sich lohnt.

Mitunter gibt es sie, die Menschen wie Reinhold Würth, die klein angefangen haben und es durch gewaltige Anstrengungen bis an die Spitze des Weltmarktes gebracht haben. Der Multimilliardär und Kunstförderer, von dessen Zuwendungen insbesondere die Kultur in Schwäbisch Hall profitiert, hat mit 14 Jahren die Schule abgebrochen und angefangen, im Schraubenhandel der Eltern zu arbeiten. Nach sieben Jahrzehnten Berufstätigkeit hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dem "Mann mit der einzigartigen Erfolgsgeschichte" zum Jubiläum gratuliert, aus dem regionalen Handelsunternehmen ist eine in 80 Ländern aktive Unternehmensgruppe geworden – mit weltweit 83.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 14,4 Milliarden Euro.

Und, gemessen an den Standards der Höneße und Winterkorns, ist die glänzende Karriere des Vorzeigeunternehmers allenfalls durch kleine Skandälchen belastet: Ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung, durch die er laut der Stuttgarter Staatsanwaltschaft "keine eigenen Vorteile" erlangt haben soll, wurde gegen eine Geldzahlung eingestellt. Und den Unmut der Öffentlichkeit erregt Würth höchstens, wenn sein 85 Meter langes Luxusschiff, die "Vibrant Curiosity", direkt vor der Freiheitsstatue ankert und das Panorama stört (die "New York Post" titelte 2017 etwas ungehalten: "Another jackass billionaire blocked Lady Liberty with his megayacht").

Andere hatten es hingegen einfacher, zu ihren Milliarden zu kommen. Doch fast immer sind es Fleiß und Erfindergeist, die als goldene Tugenden die Grundlage des unternehmerischen Erfolgs darstellen sollen. So heißt es etwa in der knallbunten Chronik zum 125. Geburtstag des Dr.-Oetker-Puddings: "In der Hinterstube seiner Apotheke hantiert Dr. August Oetker bis spät in die Nacht mit verschiedenen Pülverchen. Was er da in hartnäckiger Forscherarbeit entwickelt, revolutioniert das Backen: Er entwickelt 1893 ein Backpulver, welches aufgrund des genauen Mischungsverhältnisses und der eingesetzten Rohstoffe garantiert, dass jeder Kuchen gelingt." Für den großen Durchbruch zur Weltmarke hat es allerdings noch mehr gebraucht. Und so heißt es in der Chronik außerdem: "Die Nähe der Unternehmensleitung zu den Machthabern des Dritten Reiches wurde wissenschaftlich-kritisch aufgearbeitet."

Der Reichtum bleibt in der Familie

Ob Dr. Oetker oder Siemens, Adidas und Deutsche Bank, BMW, Daimler, Volkswagen, Porsche, die Lufthansa, BASF und Bayer, Thyssenkrupp, Bertelsmann, Continental und C&A: Kaum eine Größe der deutschen Industrie ist nicht im Nationalsozialismus groß geworden, oder wenigstens: bedeutend größer. Und der Ursprung geerbter Milliardenvermögen – etwa bei den Reimanns, den Quandts, den Flicks, den Finks, den Kühnes, den Stoscheks und Schaefflers – liegt vielfach in der Vorteilnahme an Arisierung bis hin zum Profit am Vernichtungskrieg oder am Massenmord in den Konzentrationslagern.

Im Fall der Oetkers, deren Reichtum heute auf zehn Milliarden Euro geschätzt wird, "passte kein Blatt Papier" zwischen den Unternehmensgründer und das NS-Regime, wie der Historiker Andreas Wirsching schreibt. Das Erfolgsrezept: Mit großzügigen Spenden an die NSDAP sicherte sich der Konzern Aufträge des Staates. Für viele war die Unterstützung des Naziterrors ein lukratives Investment. Bei einem geheimen Treffen mit Adolf Hitler am 20. Februar 1933, bei dem finanzielle Zuwendungen an die NSDAP in Höhe von drei Millionen Reichsmark beschlossen wurden, waren unter anderem August von Finck senior, Friedrich Flick und Günther Quandt präsent.

Die Max-Brose-Straße

Die CSU in Coburg hatte da so eine Idee: Wie wäre es mit einer Max-Brose-Straße? Immerhin hält der örtliche Mäzen, Milliardär und Parteifreund Michael Stoschek seinen Großvater für einen Ehrenmann. Weil der Wehrwirtschaftsführer Brose aber ebenfalls eng mit dem NS-Regime verstrickt war und Zwangsarbeiter ausbeutete, lehnte der Stadtrat den Antrag zunächst ab – bis Stoschek den Geldhahn zudrehte und seine Förderung regionaler Projekte stark reduzierte. Und siehe da: Plötzlich fand sich doch eine Mehrheit für die Ehrung. Den Fall hat auch Jan Böhmermann im "ZDF Magazin Royale" aufgegriffen, verbunden mit der Frage: "Wenn Reiche wie Michael Stoschek so supereasy Politik und Gesellschaft 'gestalten' können, wozu braucht man da eigentlich noch ausgedachte Verschwörungen auf Telegram?"

Letzteren charakterisierte Joseph Goebbels in einem Tagebuch-Eintrag vom 11. Dezember 1931 als "klug, energisch, brutaler Kapitalist". In den Werken der Quandts wurden mehr als 50.000 Zwangsarbeiter beschäftigt, die kaum vorstellbare Verzweiflung der KZ-Häftlinge, die bei der Quandt-Firma Pertrix in Berlin arbeiteten, beschreibt der Historiker Joachim Scholtyseck so, dass sie "vor Hunger das Material, vermischt mit Wasser, aßen, aus welchem die Batterien hergestellt wurden".

Quandt zeigte sich dankbar für die Möglichkeiten, die ihm der Nationalsozialismus eröffnete. Und so formuliert er Ende 1940: "Angesichts der bevorstehenden Jahreswende blicken wir nochmals zurück auf die unvergleichlichen Waffentaten unserer herrlichen Wehrmacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft, und dankerfüllten Herzens schauen wir stolz auf den größten Deutschen aller Zeiten: unseren geliebten Führer!" Sein Sohn Herbert Quandt, ebenfalls NSDAP-Mitglied, teilte in einer selbst beauftragten Biographie von 1980 seine Vermutung mit, warum Hitler an die Macht gekommen ist: "Weil er doch, ich scheue mich nicht, das hier zu sagen, in sehr eindrucksvoller und kerniger Weise immer und immer wieder dem Kommunismus in Deutschland den Kampf angesagt hat."

Während die Quandt-Familie ihr durch brutale Ausbeutung ermöglichtes Vermögen nach dem Krieg behalten durfte und die Erb:innen heute mit 40 Milliarden Euro zu den reichsten Deutschen zählen, sind viele Zwangsarbeiter in Armut verelendet. Immerhin wurden ein paar von ihnen spät entschädigt: "Zwischen 2001 und 2007 erhielten die Überlebenden eine einmalige Zahlung zwischen 500 und 7.700 Euro" aus dem Gesamtfonds von 4,6 Milliarden Euro, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung: "Kriegsgefangene sowie westeuropäische zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter blieben von der Entschädigung ausgeschlossen."

Was wäre die politische Landschaft ohne Pflege?

Die Quandts oder "Deutschlands erfolgreichste Unternehmerfamilie", wie sie der Journalist Rüdiger Jungbluth in seiner Biografie der Wirtschaftsdynastie bezeichnet – eine "Geschichte voller Triumphe und voller Tragödien, ein Lehrstück über Unternehmertum und die Verführungskraft des Geldes" – setzen ihr Vermögen in alter Tradition noch heute strategisch geschickt ein. Laut Lobbycontrol haben BMW und die Quandts allein im 21. Jahrhundert etwa 10 Millionen Euro an Parteien verteilt und zählen damit zu den größten Spendern der Republik. Das meiste Geld bekam die Union, aber auch Grüne, SPD und FDP gingen nicht leer aus, um, wie es bei BMW heißt, das "gesellschaftspolitische Engagement" zu stärken.

Die "Pflege der politischen Landschaft", wie Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch finanzielle Zuwendungen an die Mandatsträger:innen und Parteien nennt, kann allerdings auch unerwünschte Konsequenzen haben. Etwa als der Steuerfahnder Klaus Förster 1981 ein Kassenbuch von Flick-Generalbuchhalters Rudolf Diehl entdeckte, "in dem Bargeldzahlungen an Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien verzeichnet waren", wie die taz berichtet. Genauer: dreimal 250.000 D-Mark (DM) an den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, 565.000 an den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl, mehrmals 30.000 Mark an Otto Graf Lambsdorff (FDP), mehrmals 70.000 D-Mark an Hans Friderichs (FDP), 100.000 DM an Walter Scheel (FDP) und 40.000 DM an den damaligen Bundesfinanzminister Hans Matthöfer (SPD). Da kam doch glatt der Verdacht auf, dass diese Zuwendungen die Mandatsträger in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst haben könnten. Möglicherweise 1975, als der Flick-Konzern Daimler-Aktien im Wert von 1,9 Milliarden DM an die Deutsche Bank verkaufte und dafür eigentlich Steuern in Höhe von 986 Millionen Mark angefallen wären. Die damals amtierenden Finanzminister Hans Friderichs und später Otto Graf Lambsdorff genehmigten allerdings eine Befreiung von dieser Last.

Für den Generalbevollmächtigten von Brauchitsch endete die Flick-Affäre mit Bewährung, für die Herren Friderichs und Lambsdorff mit Geldstrafen. Gar keine Konsequenzen gab es für den Milliardär an der Spitze: Friedrich Karl Flick, dessen Vater Friedrich Flick schon vor dem Zweiten Weltkrieg politische Landschaften pflegte – als Spender an sämtliche politische Parteien außer kommunistische, wobei er sich ab 1933 auf die NSDAP konzentrierte.

Nach der Enteignung jüdischer Unternehmen und der Aneignung selbiger durch Flick mussten in seinen Betrieben bis zu 100.000 Menschen Zwangsarbeit leisten. Bei den Nürnberger Prozessen wurde der Unternehmer zwar wegen Sklavenarbeit, Verschleppung, Ausplünderung der besetzten Gebiete und Teilnahme an SS-Verbrechen im Dezember 1947 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Er kam allerdings schon 1950 wieder frei, nachdem sich die Bundesregierung für ihn eingesetzt hatte. Sein Vermögen durfte er behalten – abgesehen von einer Steinkohlegesellschaft, die er zum Marktpreis verkaufen musste. 1963 – Flick zählte längst wieder zu den reichsten Deutschen – war endgültig alles vergeben und vergessen: Für seine Lebensleistung bekam der "schöpferische Unternehmer" das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen (Theodor Heuss soll dagegen gewesen sein, schreibt der Journalist Walter Henkels, da es den Orden "nicht für das Verdienen, sondern für Verdienste" gebe).

Um das Bild zu vervollständigen: Sowohl Flick senior als auch sein Sohnemann, der 330 Unternehmen mit rund 300.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 18 Milliarden DM erbte, weigerten sich lange konsequent, auch nur einen Cent in den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter einzuzahlen. Erst 2005, nach anhaltender öffentlicher Kritik und nachdem ein geplantes Museum des Kunstsammlers in der Schweiz nicht gebaut werden durfte (Berlin nahm seine Sammlung dankend an), konnte sich Friedrich Christian Flick zu einer Spende von fünf Millionen Euro durchringen.

Finger weg von der Erbschaft!

In keinem Land Europas ist die soziale Ungleichheit größer als in Deutschland, der Nation mit dem größten Niedriglohnsektor. Während ein gutes Drittel der Bevölkerung über keinerlei Ersparnisse verfügt, mitunter schon vor der Corona-Krise überschuldet war und nun durch Inflation, steigende Energie- und Lebensmittelpreise immer stärker unter Druck gerät, sind nicht alle gleichermaßen betroffen: Für die Reichen und Vermögenden gibt es keine Krise, sie konnten Geld und Wertanlagen weiter mehren. Die Zahl der Milliardäre ist im Jahr 2021 um 24 gestiegen und mit 213 Personen so hoch wie nie.

Die extreme Ungleichheit zwischen Arm und Reich birgt sozioökonomischen Sprengstoff, auch weil sich die vorhandene Tendenz der immer stärkeren Polarisierung seit Jahren weiter zuspitzt. Wer es an die Spitze schafft, fängt selten bei Null an, sondern kann meist auf dem aufbauen, was die Eltern hinterlassen – und findet das oft prima. "Ich will Geld verdienen und mir Segelyachten kaufen von meiner Dividende und so was", sagt Verena Bahlsen, die knapp ein Viertel der Anteile am Familienunternehmen hält, das die Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus "gut behandelt" haben soll. Auf einer Marketing-Konferenz verriet Bahlsen 2019, dass sie beweisen wolle, "dass Wirtschaft nicht für Ausbeutung steht, sondern etwas für die ganze Gesellschaft leisten muss".

Nach ihren Äußerungen gab es einen Rüffel von Lars Klingbeil, damals SPD-Generalsekretär: "Wer ein so großes Vermögen erbt, erbt auch Verantwortung und sollte nicht so abgehoben auftreten. Es ist kein Wunder, dass Menschen den Glauben an Gerechtigkeit verlieren, wenn Millionen-Erben über Jachten und nicht über Verantwortung reden", so der Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Entsprechend hieß es im Wahlprogramm zur Bundestagswahl, die Regelung zur Erbschaftssteuer sei "ungerecht, da sie vermögende Unternehmenserben bevorzugt". Und: "Mit einer effektiven Mindestbesteuerung werden wir die Überprivilegierung großer Betriebsvermögen abschaffen."

Doch in Regierungsverantwortung sieht die Welt ganz anders aus, wer gestalten will, muss kompromissbereit sein und so hat es die Reform – wie auch die Einführung einer Vermögenssteuer – leider nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Im Finanzministerium sitzt nun ein Mann, der Rolex trägt. "Wir haben ein Riesenproblem in Deutschland", hat Milliarden-Erbe Sven Quandt erkannt. Und zwar? "Dass wir nie vergessen können."


Unter dem Titel "Die Superreichen – Wie deutsche Milliardäre zu ihrem Vermögen kamen" hat Nicole Gohlke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, kürzlich eine Broschüre zu den Familiengeschichten der reichsten Deutschen vorgelegt. Viele der dort zusammengetragenen Informationen sind in diesen Artikel eingeflossen.


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7 Kommentare verfügbar

  • Dieter Rebstock
    am 06.06.2022
    Antworten
    ...Reimanns, den Quandts, den Flicks, den Finks, den Kühnes, den Stoscheks und Schaefflers...Wenn auch nicht richtig "deutsch", aber sehr wohl dazu gehören natürlich die Piechs von Porsche, deren Geschichte und damit ihr Reichtum untrennbar mit dem System des Nationalsozialismus verknüpft ist.
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