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Katholikentag

Lieber Promis als Kontroversen

Katholikentag: Lieber Promis als Kontroversen
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Der Katholikentag ist rum, das Ergebnis mau. Wenig Besucher:innen, hohe Kosten, viele Debatten, die kaum Publikum anlockten, wenn keine Promis auf den Podien saßen. Und bei der Frage um Waffenlieferungen oder Pazifismus kann die katholische Kirche sich auch nicht entscheiden.

Schon auf dem Weg in die Liederhalle zeigt die App an, dass der große Veranstaltungssaal bald voll ist. Die ältere Dame gehört zu einer Besuchergruppe des Katholikentags in Stuttgart. Sie treibt ihre Gruppe zur Eile an. Unbedingt will sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier persönlich erleben. Der SPD-Politiker diskutiert mit Christiane Benner, der zweiten Vorsitzenden der Gewerkschaft IG Metall, und Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, darüber, wie man den Herausforderungen von Klimakrise, Pandemie und Krieg begegnen kann.

Viel Applaus erhält der Bundespräsident, als er sich angesichts dieser Herausforderungen gegen "Untergangsphantasien" wendet, auffordert, aus der Corona-Pandemie Lehren zu ziehen und zur Bereitschaft zum Verzicht angesichts einer sich abzeichnenden Hungerkrise im Zuge des Ukrainekriegs aufruft. Unbeantwortet bleibt die aus dem Publikum geäußerte Frage, wann im Blick auf einen möglichen Frieden in der Ukraine wieder über mehr als nur über Waffenlieferungen gesprochen werde.

Die Teilnehmer:innen fanden zwar interessant, was die "Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen" an Schulen tut oder die Pressehütte Mutlangen gegen Atomwaffen, aber der Ukrainekrieg hat die Selbstverständlichkeit der Friedensarbeit spürbar erschüttert. "Ich hätte nicht geglaubt, dass ich vor einem halben Jahr so etwas gesagt hätte", sagte der evangelische Pfarrer Wolfgang Bromme aus Hanau und meinte damit, dass er es als überzeugter Kriegsdienstverweigerer inzwischen richtig findet, dass sich die Ukraine gegen den russischen Angriff mit Waffengewalt verteidigt.

Mit dieser Frage schlagen sich die nicht einmal zwei Dutzend Besucherinnen und Besucher vier Ebenen darüber in der Liederhalle herum . Eingeladen hatte die ökumenische Friedensbewegung Pax Christi im Bistum Rottenburg-Stuttgart. Deren Vertreter Richard Bösch wollte unter dem Motto "Netzwerker:innen des Friedens" Antworten auf die Frage geben, "wie Kirche und Zivilgesellschaft Friedensbildung pushen".

Seine Prinzipien, von denen er seit Jahrzehnten überzeugt gewesen ist, seien durch den Krieg über den Haufen geworfen worden, zeigte sich der 64-Jährige erschüttert. Eine eindeutige Antwort darauf, ob man die Ukraine mit Waffen beliefern dürfe oder nicht, könne er nicht mehr geben. Ein Altersgenosse wies darauf hin, dass auch Rüstungsgüter produziert werden müssten, wenn man das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ernst nehme. Nach Einschätzung von Richard Brösch "war der Redebedarf noch nie so groß", auch wenn Debatten, wie es mit Friedensbewegung und Pazifismus weitergehen soll, auf dem Katholikentag zumeist in Hinterzimmern oder Nebenräumen stattfanden.

Das Militärische ist auf dem Vormarsch

"Total dankbar", dass zumindest das Podium "Verantwortung teilen, Sicherheit neu denken! Christliche Friedensethik trifft Internationale Politik" mit dem Haus der Wirtschaft einen zentralen Veranstaltungsort hatte, zeigte sich Kerstin Deibert. Für die Referentin für Frieden und Entwicklung bei dem Stuttgarter Verein "Ohne Rüstung leben" war spürbar, dass sich im Publikum viele Fragen und Sorgen aufgestaut hatten – zum Beispiel die nach dem Sinn von Waffenlieferungen an die Ukraine.

Deibert plädierte dafür, nicht eindimensional militärisch zu denken. Das Wichtigste sei, einen Ausweg zu finden aus "dem Teufelskreis aus Aufrüstung und Gewalt". Ob es ein sinnvoller Weg in die Zukunft sein könne, wenn immer mehr Geld für Militär ausgegeben werde, fragte sie. Die deutschen Rüstungsausgaben seien zwischen 2014 und 2022 ja schon von 21 auf 50 Milliarden Euro gestiegen.

Statt für Militärinterventionen sprach sich Deibert für präventive Krisen- und Konfliktbewältigung aus. Es habe stets Vorzeichen gegeben – sei es bei der Flut im Ahrtal oder beim Ukrainekrieg. "Es geht darum, die Kriege von morgen zu verhindern", betont Deibert. Angesichts der Kämpfe in der Ukraine stellt sie einerseits wachsenden Zuspruch für die Arbeit von "Ohne Rüstung leben" fest, weil Menschen die Lage für brandgefährlich halten und nach Wegen suchten, die Eskalation der Gewalt zu brechen.

Andererseits jedoch sieht sie pazifistische Initiativen gegenwärtig in Erklärungsnot im Gegensatz zu Vertretern von Waffenlieferungen. "Das wird kaum noch kontrovers diskutiert. Das Militär wird als nicht zu hinterfragender Teil der Gesellschaft angenommen", sagt sie und spricht von "gefährlichen Tendenzen". Selbst auf einem von der katholischen Militärseelsorge organisierten Podium zum Einsatz bewaffneter Drohnen war kaum Konfliktpotenzial zu spüren, obwohl mit dem Generalleutnant der Luftwaffe, Ansgar Rieks, und der Vizepräsidentin des Bundestags, der Linken-Politikerin Petra Pau, zwei Antipoden auf dem Podium nebeneinander saßen. Rieks als klarer Befürworter, der bewaffnete Drohnen für ethisch geboten hält als bester Schutz für die Soldatinnen und Soldaten, und Pau als Gegnerin wegen der möglichen Gefahren des ferngesteuerten Einsatzes von Tötungswaffen.

Friedensbewegte auf verlorenem Posten

An der prominenten Präsenz des Militärs auf dem Katholikentag haben sich ohnehin nur wenige gestoßen. Auch "Ohne Rüstung leben" hat einen offenen Brief unterzeichnet, der sich gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Katholikentag richtete. Am Ende wirkte das kleine Häuflein, das vor der Domkriche Sankt Eberhard gegen den Militärgottesdienst protestierte, auf verlorenem Posten. Drinnen gab der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck in seiner Predigt so etwas wie eine Lektion in Staatsbürgerkunde. Über die Lehre vom "gerechten Krieg", für den Kirchenlehrer Augustinus bestimmte Regeln formulierte, kam er zum "gerechten Frieden". Die von Jesus verkörperte Gewaltlosigkeit ist für ihn durchaus eine Option für den einzelnen, aber wenn es um die Verantwortung für das Ganze gehe, sei militärischer Schutz geboten.

Das Interesse sinkt, die Kosten steigen

Der Katholikentag in Stuttgart schloss ab mit 27.000 Besucher:innen, 2018 waren es drei Mal soviel. Die Kosten allerdings waren mit 10 Millionen Euro in etwas gleich. Die humanistische Giordano-Bruno-Stiftung hat errechnet, dass der Katholikentag in Stuttgart pro Besucher 241 Euro von Stadt, Land und Bund erhält. Das sei die höchste gezahlte Förderung der öffentlichen Hand seit 2000 und angesichts einer mehrheitlich säkularen Bevölkerung nicht angemessen, so die Stiftung.  (lee)

Viel von militärischem Einsatz war auch auf den offiziellen Podien die Rede. Die Präsidentin des veranstaltenden Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sprach zwar immer allgemein von der notwendigen Unterstützung der Ukraine. Deutlich zu vernehmen aber waren schon bei der Auftaktpressekonferenz die Forderungen nach Waffenlieferungen. "Waffen, Waffen, Waffen", seien das einzig probate Mittel, um den Vormarsch Russlands zu stoppen, der bis in die ehemalige DDR gehen könne, erklärte der frühere Caritas-Präsident in der Ukraine, Andrij Waskowycz. Der Grundsatz "Frieden schaffen ohne Waffen" sei überholt. Bei einer Podiumsdiskussion stießen der frühere ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin und die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms ins gleiche Horn.

Kerstin Deibert fragte angesichts des starken Übergewichts von Befürwortern von Waffenlieferungen, ob die Kirche nicht in der Verantwortung stehe, zumindest ein ausgewogenes Maß an Perspektiven zu geben? "Dies ist die Minimalerwartung, die ich hätte", betonte sie. Schließlich habe Jesus Gewaltfreiheit gelehrt. Die mangelnde Resonanz auf die Kritik an der Präsenz der Bundeswehr kann man ihrer Ansicht nach psychologisch erklären. Viele Menschen hätten Angst und würden deshalb der Sicherheitslogik folgen. Und längst gehören grundsätzliche Konflikte auf Katholikentagen und evangelischen Kirchentagen der Vergangenheit an. Selbst die groß als Hoffnungszeichen angekündigte Friedensdemonstration fand beim Katholikentag nur mäßigen Zuspruch.

Zur Erinnerung: 1999 wurde der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) auf dem Stuttgarter Kirchentag mit Jubel begrüßt vor dem Hintergrund des Kosovokriegs. Vehement gestritten wurde auf Kirchentagen und Katholikentagen noch in den achtziger Jahren um Grundsatzfragen von Krieg und Frieden, Umweltzerstörung oder Reform der Kirche.

Darüber wurde ebenfalls auf den unzähligen Podien unter den insgesamt 1.500 Veranstaltungen gesprochen und ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp forderte nicht nur mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und konsequenten Einsatz für den Klimaschutz. Sie will auch die Kirche "vom Kopf auf die Füße" stellen, also eine grundlegende Reform. Die ist in den synodalen Weg verschoben worden, in dem Bischöfe und Laien diskutieren. Bislang ergebnislos.

Es ist auf Katholikentagen und evangelischen Kirchentagen seit zwei Jahrzehnten zu beobachten: Die Mehrheit der Besucher:innen will auf diesen Großevents Prominente hautnah erleben und ein Stück weit Harmonie, Entlastung vom Alltag und Balsam für die Seele finden – sei es bei Gottesdiensten, Konzerten oder beim biblischen Impuls mit Eckart von Hirschhausen. Morgens um halb zehn ist der Veranstaltungssaal fast komplett gefüllt. Auch wenn der Arzt, Entertainer und TV-Star von den "vielen Leuten mit unfassbar viel Geld" spricht oder vom Hunger, den Russlands Präsident als Kriegswaffe einsetzt, gelingt es ihm, die Menschen mit Humor aufzuheitern und ihnen das Gefühl der "gemeinsamen Kraft" zu vermitteln. Immerhin.


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3 Kommentare verfügbar

  • Harald Stickl
    am 02.06.2022
    Antworten
    Auf verlorenem Posten sind Soldat*innen.

    Eine pazifistische Position zu vertreten ist nicht gleichbedeutend mit „Posten beziehen“ oder gar „Stellung halten“. Das kleine Häuflein vor St. Eberhard setzte sich zusammen aus Pazifist*innen, von Beruf Koch, Landwirt und Krankenschwester, die ihre…
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