Auf die blau-weißen Markisen draußen hat die Zeit gelbe Schatten geworfen. Und die Kürbisse vom letzten Ernte-Tank-Fest sind schon etwas angestaubt. Die Tanke in Radolfzell mag eine etwas schlampige Schöne sein. Doch dieses Lokal, das in den 50er-Jahren als Tankstelle anfing, wo seit nun 26 Jahren Bier ausgeschenkt wird – nicht blasenfrei und aus der Flasche –, es hat das Herz auf dem richtigen Fleck. Junge und Junggebliebene treffen sich hier. Zum Songslam. Zur Diskussion über Kultur in Radolfzell. Zur Bluesnight. Oder einfach zum Plaudern bei einem Bier oder einem Caipirinha. "Und von 17 bis 70 alle unter einem Dach", sagt Christoph Manz.
Der Mitfünfziger hat die Tanke zu dem gemacht, was sie heute ist: ein Treffpunkt für die Alternativen. Die Widerborstigen. Für die, die es auch gerne mal laut, schräg und etwas jenseits der Blasmusik haben wollen. Und für die Arrivierten, die keine Angst vor anderer Lebenskultur und Musik haben. Der grüne Gemeinderat und frühere Landtagsabgeordnete Siegfried Lehmann gehört dazu. Auch der jetzige OB Martin Staab hat hier schon über Kultur diskutiert. An den harten Fakten hat dies nichts geändert. Die Tanke steht im Weg. Wohnungen sollen hier auf dem Schützenplatz gebaut werden. Eigentumswohnungen, zentrumsnah. Am Bodensee setzt man auf reiche Schweizer und potente Rentner. Und in der Radolfzeller Verwaltung auf Investoren. "Auf uns, für alle und gegen Betongold" – unter diesem Motto hat die Tanke am 2. Oktober einen Schnaps ausgegeben. Christoph Manz' Humor ist derzeit etwas schwarz gefärbt.
Da sitzt er in der ochsenblut-roten Raucherlounge seiner Tanke, blauer Hoodie, graue Cordhose, kurzes Haar, Mitte 50, charmantes Lächeln. Und klare Worte: "Eine Stadt braucht Kultur, auch für die wirtschaftliche Entwicklung." Vor 26 Jahren verschlug es den gebürtigen Berliner an den Bodensee, der Liebe wegen. Verliebt hat er sich auch in die Tankstelle aus den 50er-Jahren, hat sie aus- und umgebaut über die Jahre zu einem eigenwilligen Ensemble aus Kiezkneipe und Jugendhaus-Charme. Und was haben die Radolfzeller 1990 zu dem Berlin-Import gesagt? "Komischer Berliner macht komische Sachen", sagt Manz, grinst und zieht an seiner Selbstgedrehten.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!