Der Notruf kam am Abend vor Heiligabend 2021, sieben Minuten nach acht. "Hallo, mein Name ist Elise, ich bin gerade hier in Athen angekommen", schrieb die Frau über Whatsapp. "Mir ist so kalt, dass mir das Herz wehtut, ich wünschte, Sie würden mir eine Decke besorgen ... Bitte helfen Sie mir."
Die Nachricht landete in der Whatsapp-Gruppe von Just Human, einer kleinen Hilfsorganisation gegründet von den beiden Stuttgarterinnen Elka Edelkott und Katja Walterscheid. Sie kümmern sich vor allem um Frauen, um Schwangere und LGBT-Personen, die in ihren Heimatländern verfolgt werden und fliehen mussten.
Die Frau, die den Notruf gesendet hat, ist orientierungslos, hat die Nacht zuvor auf einer Treppe verbracht. Sie schickt Fotos von ihrer Umgebung, weil sie nicht weiß, wo sie ist, ein Straßenschild, eine Hausnummer. "Sind Sie alleine oder haben sie ein Kind bei sich?", wollen die Helferinnen im Chat wissen. "Ich hatte eine Fehlgeburt, ich bin alleine", schreibt Elise (Name geändert) an Just Human.
Vor allem in Griechenland hat der Verein Wurzeln geschlagen, in Athen betreibt er die Maison Charlotte (Kontext berichtete). Ein sicherer Transit-Ort für die Verletzlichsten unter all denen, die auf der Flucht sind. Zwölf Plätze gibt es im Haus. Für viele ist es ein Ort, an dem sie das erste Mal sie selbst sein können, ohne Angst um ihr Leben haben zu müssen.
Ein Leben im Verborgenen
Just Human wird seit 2021 vom Verein Sternstunden, einer Benefizaktion des Bayrischen Rundfunks, unterstützt. Auch die Stadt Stuttgart fördert Just Human und seine Partnerorganisationen. Sie sind auch in Kamerun, Südafrika und im Kongo engagiert, aber vor allem in Athen haben Elka Edelkott und Katja Walterscheid mit ihrem Verein Fuß gefasst. Mittlerweile sind sie sehr gut vernetzt mit dortigen Hilfsorganisationen und Helferkreisen. Über Whatsapp-Gruppen werden Matratzen organisiert, Kinderbetreuung, Ärzte, Rechtsberatung, Lebensmittelhilfen. 250 Mitglieder aus verschiedenen Initiativen haben die Gruppen mittlerweile, die, wenn es darauf ankommt, gemeinsam schnell agieren können.
In der Nacht auf Weihnachten springt das Netzwerk für Elise an und sucht fieberhaft nach einem Schlafplatz. Die erste angefragte Notunterkunft ist voll, auch die zweite, in der dritten sind schon Betten im Büro aufgestellt, auch sie hat keinen Platz. "Mein Akku ist gleich leer", schreibt Elise. "Unser Kollege Ali wird versuchen, Sie zu finden", antwortet Just Human.
Ali, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen will, arbeitet seit etwa einem Jahr für Just Human in der griechischen Hauptstadt. Er kommt aus dem Iran, ist 2019 geflohen, nachdem er an einer Demonstration für die Rechte von LGBT-Personen teilgenommen hatte. Er erzählt, wie Schwule, Lesben und Transpersonen im Iran im Verborgenen leben, immer auf der Hut. Selbst online, denn Sicherheitsbehörden legen Fake-Profile als Köder aus. Und so geht es vielen, die aus allen Ecken der Welt vor Unterdrückung fliehen, sagt Ali im Gespräch über Zoom.
Er steht dabei vor der Maison Charlotte, ein schmaler, resoluter Mann, und berichtet von seinen Besuchen in den Flüchtlings-Lagern der Umgebung. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie es da ist", sagt er. Er nennt die Camps "Dschungel", erzählt von Verzweiflung, sexualisierter Gewalt, von LGBT-Personen, die sich prostituieren, weil das ein Bett für die Nacht verspricht. Da kommt einer, der in seinem Land verfolgt wird, nach Europa und hier geht es gerade so weiter, sagt Ali.
Die Festung Europa funktioniert
Elka Edelkott und Katja Walterscheid berichten, es kämen deutlich weniger Menschen auf der Flucht in die Stadt, als in der Vergangenheit. Drohnen und Wärmebildkameras an den mittlerweile high-tech-hochgerüsteten griechischen Grenzen zeigen Wirkung. Ebenfalls die illegalen Pushbacks, sagt Elka Edelkott. Gleichzeitig werden im Land staatliche Hilfsprogramme geschrumpft oder gestrichen. Dazu kommt, dass Asylbewerber:innen vier Wochen bevor der Asylbescheid verschickt wird, aus dem Unterstützungssystem fallen. Die, deren Bescheid negativ ausfällt sowieso, doch auch die Anerkannten fallen aus dem Unterstützungssystem, müssen in dieser Zwischenzeit subventionierte Wohnungen verlassen und sollen sich selbst um ihren Lebensunterhalt kümmern. Dass das nicht klappt und allein an der Sprache scheitert, ist vorhersehbar.
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