Gemessen an ihrer Wirkung auf Herrschende liegen die goldenen Zeiten der Karikatur schon lange zurück, nämlich im 19. Jahrhundert. Der französische Karikaturist Honoré Daumier kam in den 1830ern in den Knast, auch weil er den "Bürgerkönig" Louis-Philippe karikiert hatte, um 1900 führte im Deutschen Kaiserreich die gezeichnete Spötterei über Wilhelm II. zu mehreren Verfahren wegen Majestätsbeleidigung. Und der aus dem pfälzischen Landau in die USA ausgewanderte Thomas Nast kann sogar für sich beanspruchen, dass es ganz wesentlich seine Karikaturen waren, die den korrupten New Yorker Stadtrat und Senator William Tweed 1874 stürzten.
Was nicht heißt, dass Karikaturen heute wirkungslos wären. Bloß führten manche Wirkungen zuletzt dazu, dass das Medium mehr und mehr in die Defensive geriet. Der Streit um die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" 2006 und der Anschlag auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" Anfang 2015 zeigten, dass Bildsatire lebensgefährlich sein kann. Und es sind nicht nur strenggläubige Muslime und Islamisten, wie in diesen beiden Fällen, die sich schnell angegriffen fühlen. 2018 wurde in Brüssel ein Wandbild des schwulen Comiczeichners Ralf König mit den Worten "Transphobia" und "Racism" beschmiert, weil es angeblich herabmindernde Stereotype zeige.
Und 2019 führte eine von Kritikern als antisemitisch empfundene Karikatur in der "New York Times" nicht etwa dazu, dass sich die altehrwürdige Zeitung in Zukunft mit der Auswahl und redaktionellen Betreuung von Karikaturen mehr Mühe zu geben versprach, sondern dass sie die politischen Karikaturen gleich ganz strich.
Politcomic und Karikaturen: von Anfang an in Kontext
Insofern ging Kontext immer einen antizyklischen Weg. Von Anfang an hatten hier zum einen Karikaturen von anfangs Sepp Buchegger, Kostas Koufogiorgos und ab 2012 von Oliver Stenzel ihren Platz, mit "Der Ökodiktator" von Björn Dermann und Peter Unfried hegen und pflegen wir zudem seit 2011 ein höchst eigenwilliges Comic-Subgenre, einen Polit-Comic, der die Regierungsgeschäfte der mittlerweile drei Kretschmann-Kabinette aufs Korn nimmt. Dazu kommt: Kontext-Neujahrs- und Werbekarten zieren Karikaturen, Spenden-Kampagnen auch.
Höchste Zeit also, unsere Zeichner einmal besonders zu würdigen. Und zwar anlässlich unserer 11-Jahres-Feier mit einer Ausstellung im Stuttgarter Theaterhaus. In einer Art Warm-Up: Schon ab heute, vom 25. Mai an, sind die witzigsten "Ökodiktator"-Folgen und eine Auswahl der besten Karikaturen von Oliver Stenzel im oberen Foyer im ersten Stock ausgestellt, buhlen Hauswolf Lupo oder die strippenden CDU-Chippendales um die Aufmerksamkeit der Besucher. Auch hier pfeifen wir auf Konventionen – die Vernissage erfolgt erst am Tag der Kontext-Feier am 12. Juni. Denn für die haben wir einen besonderen Laudator organisiert: Gerhard Seyfried, legendärer Chronist der APO-Zeit ("Wo soll das alles enden?") und vielleicht der meistgeklaute und –kopierte Zeichner der Republik. Dass Kontext-Karikaturist Stenzel als Teilnehmer der 2018 von Seyfried geleiteten Caricatura-Sommerakademie in Kassel den Meister persönlich kennengelernt hatte, hat dabei nicht geschadet.
Meister Gerhard Seyfried hält die Vernissage-Rede
Allerdings kommt der Berliner Seyfried nicht nur nach Stuttgart, um ein paar warme Worte zu sprechen und am Vernissage–Sekt zu nippen. Sondern auch, um die Jugend etwas zu verderben: An zwei Tagen leitet er einen Workshop im Theaterhaus mit Studierenden der Stuttgarter Hochschule für Kommunikation und Gestaltung. Professor Davor Bakara, der dort für den Studiengang Illustration verantwortlich ist, und aus dessen Klassen die Workshop-Teilnehmer:innen kommen, sollte Stuttgarter Comic-Kenner:innen – wenigstens indirekt – auch ein Begriff sein.
Der Illustrator und Comiczeichner gehörte 1994 zu den Gründern des Comicprojekts Moga Mobo, das mit seinen öffentlich ausgelegten Gratiscomics nicht nur vielen jungen deutschen Zeichnern ein Forum bot, sondern auch immer wieder mit kunstvoll aufgemachten Themenausgaben Furore machte. Bakara freut sich enorm auf die Gelegenheit, Seyfried zu treffen und ist gespannt, was seine Studierenden davon mitnehmen, die Seyfried größtenteils gar nicht mehr kennen – "die meisten sind heute von Mangas geprägt".
Die besten Exponate des Workshops werden schließlich auch im Rahmen der Vernissage zu sehen sein, auf Stellwänden werden sie im oberen Foyer gegenüber der Bar ausgestellt – und zwar nur am 12. Juni. Ein Grund mehr, an diesem Tag ins Theaterhaus zu kommen.
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Jörg Tauss
am 25.05.2022