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Stadtneurotiker und andere scharfe Jungs

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Von Rudi bis Batman: Eine Ausstellung zeigt die Werke von vier Comic- und Cartoon-Zeichnern aus der Region Stuttgart. Zu sehen gibt's dabei nicht nur unterschiedlichste Stile, sondern auch Einblicke in den Schaffensprozess.

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Comiczeichner aus Stuttgart und Umgebung? Da fällt den meisten erst mal nichts ein, manchen vielleicht noch Peter Puck. Was wohl auch daran liegt, dass dessen "Rudi"-Comics von 1985 bis 2006 jeden Monat die drittletzte Seite erst des Stuttgarter Stadtmagazins "live" und dann von dessen Nachfolger "Lift" zierten. Und dass Pucks Geschichten um die dauergenervte Titelfigur, einen zynischen Stadtneurotiker mit Tierschnauze à la Disney, und seinen mit wesentlich sonnigerem Gemüt ausgestatteten Kumpel Fred immer auch enorm detailliert beobachtete Zeitgeist-Chroniken waren, vor bösem, schwarzem Humor strotzten und schon in einer einzelnen Sprechblase eine perfekte, satirische Miniatur stecken konnte. Viele "Lift"-Leser bekannten in jenen vergangenen Tagen, das Blatt nur wegen "Rudi" zu kaufen. Entsprechend groß war der Gram, als Puck 2006 in eine Comic-Schaffenspause trat und seitdem nur noch Werbe-Illustrationen und Firmen-Comics macht.

Neue Comics gibt es von Puck auch elf Jahre danach nicht. Aber immerhin sind einige seiner Arbeiten nun neben den Werken von drei anderen Zeichnern aus der Region Stuttgart – Martin Frei, Timo Würz und Hannes Steinert – in der Galerie Merkle in der Stuttgarter Breitscheidstraße ausgestellt. Die schlicht "Comics" betitelte Ausstellung huldigt einem Medium, das nach und nach auch größere Galerien und Museen in Deutschland entdecken, wovon momentan auch eine Schau in der Bundeskunsthalle Bonn zeugt.

Sind Comics Kunst?

Comics in einer Kunst-Galerie, da mag sich der traditionelle Bildungsbürger fragen: Sind Comics eigentlich Kunst? Schon die Frage ist falsch – es geht eher darum, was für eine Kunst sie sind. In Frankreich gelten sie schon seit rund 50 Jahren als eigenständige "neunte Kunst", vom Journalisten und Schriftsteller Francis Lacassin eingeordnet neben Architektur, Skulptur, Malerei, Musik, Literatur, Tanz, Kino und Fernsehen. Genauso gut könnte man sie als hybride Kunstform bezeichnen. Denn sie bedienen sich zum einen der Mittel der bildenden Kunst, vor allem Zeichnung und Grafik, für ihre Bildgeschichten. Da aber zum anderen die Bilder in der Regel in einer Folge, also sequenziell, angeordnet sind und ganz im Dienste des Erzählens stehen, ergeben sich auch starke Überschneidungen mit der Literatur. Als "grafische Literatur" werden Comics denn auch mitunter bezeichnet, und wie bei der "klassischen" Literatur gibt es dabei ein weites Spektrum zwischen Trivialem, Heiterem, Ernstem und Tiefgründigem, mal in kurzen Strips, mal in Hunderte Seiten langen Erzählungen. Für Letzteres bürgert sich allmählich die Bezeichnung "Graphic Novel" ein, grafische Romane – Comics sind freilich auch sie.

"Graphic Novels" sind in der Stuttgarter Ausstellung indes keine zu finden, und im Grunde auch nicht nur Comics – so sind die Arbeiten Hannes Steinerts eindeutig Cartoons, die Einbild-Variante des grafischen Humors. Aber ohnehin fokussiert sich die Schau weniger auf die erzählerischen als auf die grafischen Aspekte von Comics. Sie gibt Einblicke in den Entstehungsprozess, zeigt Bleistiftskizzen und Fingerübungen ebenso wie fertig getuschte Originale, die bei Puck aus Einzelbildern auf DIN-A2-Format zusammengestückelt werden, manchmal mit Tipp-Ex-Korrekturen und später wegretuschierten Schmierflecken. Und immer wieder beeindruckt, dass Tusche-Schwarz einfach viel schöner als das spätere Druck-Schwarz ist.

Kann nicht nur VfB-Maskottchen: Martin Frei

Stilistisch liegen die vier Künstler teils weit auseinander, und mit von der Partie ist auch einer der stilistisch virtuosesten unter den lokalen wie deutschlandweiten Comic-Zeichnern: Martin Frei. Dessen Namen kennt kaum jemand, eine seiner Figuren allerdings fast jeder Stuttgarter: das VfB-Maskottchen-Krokodil Fritzle. Jenes ist in der Ausstellung nicht zu finden, dafür Skizzen und fertige Reinzeichnungen für die deutsche Ausgabe des Satiremagazins "Mad", darunter wie bei Puck einige Asterix-Parodien. Lokalpatriotisch zeigt sich Frei bei seiner realistischer gezeichneten Krimireihe "Kommissar Eisele", in der er nicht nur detailgetreu Stuttgarter Stadtausschnitte zeigt, sondern auch mal einen bekannten Spitzenkoch karikiert. Nicht ganz so dynamisch wie Freis Zeichnungen sind die Geschichten seiner Eisele-Comics, was man aber erst entdeckt, wenn man in der Galerie nach den fertig gedruckten Heften fragt – denn in den Originalen sind die Sprechblasen noch leer. Soviel sei gesagt: Sie sind unterhaltsamer als die meisten "Stuttgart-Tatorte".

Apropos Tatort: Dass Frei auch fotorealistisch kann, zeigt sein Cover-Motiv für die 1991 erschienene Comic-Adaption des Schimanski-Tatorts "Zweierlei-Blut", in Aquarell, Farbstift und Tusche ausgeführt. Es erinnert stark an die gemalten Kino-Plakate der 1950er und 1960er Jahre, was auch für die ausgestellten Arbeiten des 1973 in Schwäbisch Hall geborenen Timo Würz gilt. Der wird gerne als deutsche "Comic-Legende" oder "Comic-Superstar" bezeichnet, dabei macht er seit Langem nur noch sporadisch Comics, verdient seine Brötchen eher mit Covers für Fantasy- und Science-Fiction-Bücher sowie Alben von Heavy-Metal-Bands. Und leider gibt's in der Ausstellung von Würz auch nur solche Covermotive und Einzelstudien zu seinen alten Comics, aber keine einzige Comic-Seite zu sehen.

Sauereien in Siebdruck: Hannes Steinert

Während Würz mit seiner Mischung aus Star-Wars-Helden und fotorealistisch schattierten Fantasy-Busenwundern in Acryl wohl eher den klassischen Hetero-Nerd anspricht, zielt Hannes Steinert klar auf die schwule Community. Der 1955 geborene Stuttgarter gehört zwar zu den renommiertesten lokalen Künstlern, seine abstrakten Stillleben und Stadtansichten waren schon in vielen Galerien zu sehen. Dass er daneben seit Langem auch mit Cartoons für das Stuttgarter Schwulenmagazin "Schwulst" der Homoerotik huldigt, dürfte weniger bekannt sein.

Derbe Kalauer mit im Schritt recht üppig ausgestatteten Jungs erzählt er da meist, eher derb ist auch – im Vergleich zu seinen Gemälden – der dicke, skizzenhafte Strich. Mögen die Pointen nicht immer vielschichtig sein, die Herstellungsweise ist's: Steinert stellt seine augenzwinkernden Sauereien in Siebdrucktechnik her, signierte Drucke gibt's schon ab 65 Euro.

Wer sich ein Original eines der vier Zeichner ins Wohnzimmer hängen will, muss ein wenig mehr berappen: Skizzenblätter von Martin Frei und Peter Puck gibt's ab 100 Euro, Freis Schimanski-Cover markiert mit 4000 Euro das andere Ende der Skala. Da sind die Heftchen doch noch eine Idee günstiger.

 

Info:

"Comics", noch bis zum 8. Juli <link http: www.galerie-merkle.de ausstellungen.html external-link-new-window>in der Galerie Merkle, Breitscheidstraße 48, 70176 Stuttgart. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 14 bis 19 Uhr, samstags 11 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung.


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