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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Keine Konsequenzen

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Keine Konsequenzen
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Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat den Untersuchungsausschuss des Landtags endgültig überstanden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist Koalitionstreue wichtiger als ein integrer Stellvertreter.

Da flüchtet sich Winfried Kretschmann sogar in den Pluralis Majestatis: "Jetzt werden wir uns den Abschlussbericht zu Gemüte führen", sagt der baden-württembergische Ministerpräsident (Grüne) auf der alldienstäglichen Regierungspressekonferenz. Als hätte er sich nicht schon längst informiert über dessen wichtigste Erkenntnisse. Über drei Jahre hat sich ein Untersuchungsausschuss des Landtags mit Missständen in der Polizei und im Innenministerium befasst. Die Arbeit ist nun beendet, der Abschlussbericht seit diesem Dienstag veröffentlicht.

29 Monate Untersuchungsausschuss

Zwischen Juni 2022 und November 2025 fanden insgesamt 42 Sitzungen statt. Das sind nicht mehr als es in vielen anderen ähnlichen Gremien waren, aber Zeitspanne zwischen den Sitzungstagen war deutlich größer, etwa weil Protokolle nicht schneller gefertigt werden konnten. Zwei Zahlen stehen für den Aufwand: Die Verschriftlichung der insgesamt mehr als 260 Sitzungsstunden umfasst rund 5.300 Seiten. Gearbeitet hat das Gremium auf der Basis von 45 Beweisbeschlüssen, von Akten in 150 Ordnern und der Vernehmung von 57 Zeug:innen. Manche wurden mehrfach und bis in die Nachstunden angehört, darunter Innenminister Thomas Strobl (CDU) oder Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz. Kosten von 2,3 Millionen Euro sind angefallen, etwa für Mitarbeiter:innen der Fraktionen und das Ausschussbüro.  (jhw)

Natürlich bräuchte Kretschmann diese letzte Informationsschleife nicht, um Rede und Antwort zu stehen, wenn er denn wollte. Natürlich weiß er, dass sein Vize Thomas Strobl (CDU) die Staatsanwaltschaft monatelang hinter die Fichte geführt hat: Strobl war es selbst, der kurz vor Weihnachten 2021 ein wichtiges Anwaltsschreiben an den Journalisten Franz Feyder weitergegeben und das für sich behalten hatte. Natürlich kennt er Strobls hochtrabende Erklärung, er trage Verantwortung für alles, was im Innenministerium geschieht. Aber der Regierungschef von Baden-Württemberg, inzwischen 77 Jahre alt, wollte sich von Anfang an nicht belasten mit einem handfesten Koalitionsknatsch.

Wieder einmal, wie so oft in dieser zweiten grün-schwarzen Legislaturperiode, lohnt ein Gedankenexperiment zur Frage, was bei vertauschten Rollen passiert wäre: Hätte ein CDU-Ministerpräsident seinem grünen Stellvertreter bei einem solchen Verhalten ähnliche Milde zuteilwerden lassen? Das ist erstens nur sehr schwer vorstellbar und wäre zweitens ebenso wenig angebracht gewesen wie im vorliegenden Fall. Mehrfach haben SPD und FDP dargelegt, wie Strobl als Zeuge vor dem Ausschuss Abläufe falsch dargestellt hat. Nicht nur rund um die Weitergabe des Anwaltsschreibens, sondern auch zur Hausdurchsuchung im Innenministerium im Mai 2022. Die Staatsanwaltschaft hatte damals auch Akten beschlagnahmt. Strobl erwähnte das in seiner Aussage vor dem Ausschuss nicht.

Gedächtnislücken sind praktisch

Der Jurist Strobl wollte der Belehrung zu Beginn jeder Zeugenvernehmung nicht Rechnung tragen: Auch das Weglassen relevanter Sachverhalte ist unzulässig. Wie praktisch ist es da, sich auf Gedächtnislücken zu berufen. Andere erinnerten sich dagegen umso besser. Zum Beispiel an Details rund um die Beförderung von Andreas Renner. Wie der Innenminister ihn zu seinem Favoriten für den Posten des Inspekteurs der Polizei (IdP) auserkoren hatte, wie die Beurteilung passend gemacht wurde und wie Mitbewerber per Telefon von ihrer Chancenlosigkeit in Kenntnis gesetzt wurden.  

Die Causa insgesamt ist viel heikler, als die öffentlich zur Schau gestellte Gelassenheit des Regierungschefs vermuten lässt. Und auch seine Grünen glänzten nicht nur mit Tatendrang. Etwa wenn deren Obmann im Ausschuss, Oliver Hildenbrand, bei der Pressekonferenz gleich mehrfach betont, dass er die ganze Aufregung um die Weitergabe des Schreibens nie verstanden und Strobl seinen Fehler doch eingeräumt habe. 

Vor allem aber legt die CDU-Landtagsfraktion beredt Zeugnis von ihrer Absicht ab, den Parteifreund in Schutz zu nehmen. So kommt Strobl zwar im amtlichen Langnamen des Gremiums “Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren in der Polizei Baden-Württemberg (UsA IdP & Beförderungspraxis)” ausdrücklich vor. Um eine Bewertung seines Verhaltens aber drücken sich die CDU-Mitglieder im Ausschuss ganz und gar herum. Auf keinen Fall anecken ist die Devise.

CDU-Obfrau Christiane Staab, ebenfalls Juristin, schließt sich der politischen Einschätzung von Kretschmann und Strobl selbst an. In der schriftlichen Bewertung der Ausschussarbeit durch die CDU-Fraktion ist der Innenminister gar kein Thema mehr. Dabei "bekräftigt" die Fraktion doch, wie es so schön im PR-Jargon heißt, dass die Arbeitsergebnisse "nun in verlässliche, wirksame und zukunftsorientierte Verbesserungen übersetzt werden müssen".

Vieles verläuft im Sande

In Auftrag gegeben wird unter anderem eine Dunkelfeldstudie zu sexuellen Übergriffen bei Landesbehörden. "Die Verantwortung endet nicht", sagt Hildenbrand, nur weil der Ausschuss seine Arbeit beendet hat, denn: "Offenbar gibt es eine Kultur bei der Polizei, wo sich Menschen nicht trauen, Missstände zu benennen." Auch diese Gelegenheit, Strobl als deren obersten Chef zumindest zu erwähnen, lässt er verstreichen. Ohnehin Offenkundiges verläuft ebenfalls im Sande. Das Innenministerium hatte versucht, den früheren LKA-Präsidenten Ralf Michelfelder, einen der größten Kritiker Renners, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unrecht in ein schlechtes Licht zu rücken. Mehrfach hatte die grüne Ausschussvorsitzende Daniela Evers in den vergangenen Monaten Aufklärung versprochen. Jetzt räumt sie ein, Neues nicht mehr erfahren zu haben.

Da kommen Zweifel auf an der Ernsthaftigkeit des Versprechens, die Erkenntnisse zur Beförderungs-Praxis bei der Polizei und zu sexuellen Übergriffen würden nicht in der Schublade verschwinden: Eine einschlägige Bachelor-Arbeit hält das Innenministerium mit fadenscheinigen Argumenten unter Verschluss. Sie zu veröffentlichen, wäre mehr als eine Geste des guten Willens gewesen, Grünen und CDU sowie Strobl und seinem Team nicht alles durchgehen zu lassen. 

"Wir hören uns an, was die Fraktionen zu sagen haben", sagt stattdessen Kretschmann mit Blick auf die Landtagsdebatte zur Ausschussarbeit noch vor Weihnachten. Viele in der Polizei werden es ihm gleichtun. Frust ist programmiert. Mehr denn je gilt jetzt der Satz des Zeugen Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, während seiner Vernehmung: "Wäre Innenminister Strobl ein Polizist, hätte ihn das Innenministerium schon suspendiert." Der fiel übrigens im April 2024. Es hätte also jede Menge Zeit für den Ministerpräsidenten gegeben, sich doch ernsthaft damit vertraut zu machen und entschlossen zu handeln. 

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