Aber andererseits dräut am Horizont bedrohlich die Landtagswahl. Und da sieht es bislang in Sachen Wahlerfolg gar nicht gut aus für Kretschmanns Erben. Was also tun? Sich jetzt plötzlich mutig mit der einflussreichen Lobby der chemischen Industrie in den Clinch begeben, um damit ("Wir haben es ja schon immer gesagt") wieder mal als tendenziell wirtschaftsfeindliche Verbotspartei an den Pranger gestellt zu werden? Sich also kurz vor Torschluss doch noch auf seine grünen Fundamente zurückbesinnen und das tun, wofür ein Großteil ihrer Anhänger die Grünen einst gewählt hat: Nämlich Politik so zu gestalten, dass auch die nachfolgenden Generationen noch eine lebenswerte Umwelt vorfinden?
Zu Wasser, zu Lande und in der Luft
Seit Monaten sucht man mehr oder minder fieberhaft nach der Quelle des neu entdeckten Übels. Wie kann es sein, dass die Gewässerverseuchung schon oberhalb des Werkgeländes von Solvay nachzuweisen ist? Wie kommt dieses TFA denn den Berg hoch? Bislang gibt es keine Antwort darauf, dafür aber seit Kurzem einen neuen Verdacht: die Abgasreiniger des Fluorchemieproduzenten. Die sollen ja eigentlich, wie schon der Name sagt, die Abluft möglichst sauber in den Himmel über Bad Wimpfen blasen, aber so ganz und gar klinisch rein scheint das nicht zu funktionieren. Und so wurde Solvay vom Regierungspräsidium im Rahmen der Verwaltungsvorschrift "Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft" (TA Luft) die Genehmigung erteilt, 20 Milligramm TFA pro Kubikmeter aus den Rohren zu blasen, von bis zu 200 Kilogramm im Jahr ist da die Rede. Notiz am Rande: Das Ganze wird seit 2024 so praktiziert, obwohl die neue TA Luft, in der TFA in die Gefährdungsklasse 1 hochgestuft wurde, bereits seit 2021 in Kraft ist.
Also nicht nur unten in den Neckar rein, sondern auch oben aus dem Schornstein raus. TFA im Doppelpack. Kann es folglich sein, dass die Abgaswäscher die Ursache der Bad Wimpfener Quellenverseuchung darstellen? Gut möglich, aber noch nicht bewiesen. Zu diesem Zweck sind deshalb nun auf den Höhen um Bad Wimpfen sogenannte Depositionsmessungen angelaufen, mit denen das Regenwasser aufgefangen und beprobt wird, ob die Menge des aus dem Himmel rieselnden TFA womöglich des Rätsels Lösung darstellt.
Die Einwohner:innen von Bad Wimpfen haben davon nichts erfahren, denn die Beprobungsstellen werden vom Regierungspräsidium "zur Vorbeugung gegen Manipulation" geheim gehalten – und sind aber dennoch kinderleicht zu finden.
Erste Ergebnisse seien, bekundet die Behörde, freilich erst in einigen Monaten zu erwarten. In der Zwischenzeit emittiert Solvay, zum wachsenden Verdruss vieler Bürger:innen in der Region, weiterhin ordentlich TFA in die Umwelt.
Wirklich nix zu machen?
"Man kann da halt leider nichts machen", klagt der im Umweltministerium zuständige Staatssekretär Andre Baumann auf entsprechende Vorhaltungen, die Emissionen endlich zu verbieten. Er würde ja gerne wollen, aber ihm seien die Hände gebunden, da es nach wie vor keinen gesetzlichen Grenzwert für die Einleitung von TFA in Gewässer gebe. "Was soll ich also tun? Geben Sie mir eine gesetzliche Handhabe!"
Doch immerhin eine klitzekleine Anmerkung lässt aufhorchen: Die Genehmigung einer Einleitung von acht Tonnen TFA pro Jahr bis 31.12.2044 sei nicht unbedingt in Stein gemeißelt. Denn dann, wenn eventuell in zwei Jahren auch bei der EU die neuen Erkenntnisse über die Toxizität von TFA vorlägen (die es freilich schon längst gibt) und endlich ein verbindlicher Grenzwert eingeführt werde, dann könne man reagieren. Bis dahin, leider, niente.
Dabei gäbe es durchaus juristische Hebel, die man auf europäischer Ebene in Bewegung setzen könnte – so man denn den Mut dazu aufbringt. Laut Europäischem Gerichtshof (EUGH) ist es nämlich möglich, den vorsorgenden Umweltschutz anzuwenden, wenn neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Toxizität eines Stoffes vorliegen. Wer's nicht glauben mag, schaue sich die EUGH-Rechtssachen C 308/22, C 309/22 und C 310/22 im Hinblick auf Pestizide genauer an. Damit können nationale Behörden nach genauer Analyse ihre eigenen Bewertungen vornehmen und Verbote erteilen. Und was im Hinblick auf die gesundheitsgefährlichen Pestizide gilt, müsste auch auf die Fluorchemikalien anwendbar sein, da bei dieser Stoffgruppe am Ende oftmals dieselben hochproblematischen Abbauprodukte (TFA) zu finden sind. Das wäre natürlich ein mutiger Schritt gegen die finanzstarke Chemielobby. Zumindest einer, den man mal versuchen könnte.
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