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Grüne und PFAS

Ernüchternd

Grüne und PFAS: Ernüchternd
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Am vergangenen Freitag diskutierten die Grünen in Eberbach über PFAS, Ewigkeitschemikalien. Mit dabei: Kontext-Autor Gunter Haug und eine Schülerin, die eine erschreckende Erkenntnis offenbarte.

Das Experiment rangiert irgendwo zwischen beeindruckend und erschreckend: eine Gruppe Schüler:innen des Max-Born-Gymnasiums hat für "Jugend forscht" einen Pizza-Karton entwickelt, der keine PFAS enthält. PFAS, mittlerweile weiß man das, sind schwer bis gar nicht abbaubare Ewigkeitschemikalien, für die Industrie sind sie nicht mehr wegzudenken, weil sie unter anderem Flüssigkeiten abweisen. Im weitesten Sinne haben die Schüler:innen Pappmaché mit verschiedenen Stoffen beschichtet, Agar-Agar war nichts, funktioniert haben aber Glycerin und Stärke. Die Power-Point an der Wand vermerkt, "kein Öl" sei auf die Rückseite durchgesickert. Dicht.

Allerdings konnten die jungen Forschenden im Pizza-Karton ohne PFAS viel mehr der Ewigkeitschemikalien nachweisen als im originalen mit PFAS. Weil, sagt die Schülerin Maria Zatykina, die das Ganze vorstellt, die Gruppe in der Schule nicht steril arbeiten konnte. Und so waren beim Experiment Einmalhandschuhe involviert und Flüssigkeiten aus Plastikflaschen, "außerdem haben wir PFAS überall an uns: auf der Haut, im Gesicht, an unseren Klamotten", sagt die Schülerin. Auf der Power-Point steht: "Befindet sich überall (sogar Antarktis)". Für sie persönlich sei das ein beunruhigendes Zeichen.

Die Gäste auf dem Podium in Eberbach klatschen einigermaßen überrascht von diesem Ergebnis. Organisiert haben den Abend die Grünen-Kreisverbände Rhein-Neckar, Odenwald und Heilbronn, Titel: "Dirty Deal mit unserer Gesundheit und Natur – PFAS-Skandal". Es sei eine besondere Veranstaltung, sagt Ralf Frühwirt, Sprecher der Kreistagsfraktion Rhein-Neckar, selten hätten sich mehrere grüne Kreistagsfraktionen zusammengetan, "das ist Baden-Württemberg-weit die erste gemeinsame Veranstaltung überhaupt". Weil das Thema so wichtig sei. Er selbst habe mit PFAS Bekanntschaft gemacht beim Verkauf eines Grundstücks, der Investor habe da gegraben und festgestellt: komplett PFAS verseucht. So sehr, dass die Entsorgung den gesamten Erlös aus dem Verkauf gefressen habe.

Gesund klingt das alles nicht

Keine 300 Meter entfernt fließt der Neckar an der hübschen Gemeinde vorbei, Lebensader Baden-Württembergs. 40 Kilometer südöstlich am Fluss entlang liegt Bad Wimpfen und da am Ufer steht die Firma Solvay, die jeden Tag 24 Kilo TFA in den Fluss leitet, behördlich genehmigt, bis 2044. Einen PFAS-Stoff, der zum Beispiel Medikamente davor schützt, sich vor Berührung mit Speichel oder Magensäure aufzulösen und im Verdacht steht, Krebs zu erregen, zumindest negativen Einfluss auf die Fertilität zu haben. Mehrere Artikel von Kontext-Autor Gunter Haug sind dazu bereits in Kontext erschienen.

Haug sitzt auch auf diesem Podium, ebenfalls Andre Baumann, Staatssekretär im grün geführten Umweltministerium Baden-Württemberg, und die Ärztin Ursula Schmollinger, 40 Jahre Anästhesie und Notfallmedizin, heute im Ruhestand. Die referiert erstmal generell über PFAS: 1886 wurde die erste Verbindung synthetisiert, 1948 dann Teflon (Pfannen) erfunden, "dann ist das explodiert." Mittlerweile sind PFAS in Teppichen, Tischdecken, To-go-Verpackungen, Pommestüten, Polstermöbeln, in Imprägniersprays, Kletterseilen, Skiwachsen, Kinder-Buggys, Feuerlöschschaum und so weiter. Sie sind in Fischen, Pflanzen, Fleisch, Innereien, Eiern und Milch ("Veganer sind hier klar im Vorteil").

Die kurzkettigen PFAS machen nichts, die langkettigen beeinflussen die Schilddrüse, können zu Unfruchtbarkeit führen, schädigen Föten in der Schwangerschaft. In Kläranlagen können sie nicht abgebaut werden, es gibt keine gesetzliche Regulierung für diese Stoffe und die Datengrundlage ist dürftig. Ob und welche Synergien PFAS untereinander – es gibt immerhin Tausende dieser Stoffe – oder mit Schadstoffen eingehen und wie sich das auswirkt, hat noch niemand verlässlich untersucht. Immerhin: Für vier PFAS-Stoffe gibt es seit 2023 einen EU-Grenzwert. "Kann man sich schützen?", fragt Schmollinger. Antwort: nein, außer man achtet beim Einkauf penibel auf PFAS-freie Produkte. Wo möglich, zumindest.

Kontext-Autor Gunter Haug berichtet im Anschluss von massiv überhöhten TFA-Werten im Grundwasser von Brunnen, die deshalb vom Netz genommen werden mussten, von Solvay, der Firma, die nach einem TFA-Skandal 2016 in Edingen-Neckarhausen einen Großteil der Produktion des Stoffs nach Frankreich verlegt hat. Die dortige Fabrik hat vor Kurzem geschlossen, weil im Trinkwasser TFA-Höchstwerte nachgewiesen werden konnten. Nachzulesen hier und hier und hier. Er berichtet von einer Klage, die angestrengt wurde gegen Solvay und an einem fehlenden gesetzlichen Grenzwert scheiterte. Der Staatsanwalt habe damals gesagt: "Gegen behördliche Dummheit kann man nicht klagen." Durch Umkehrosmose, sagt Haug, könnten Wasserwerke TFA letztlich aus dem Wasser filtern, das Wasser sei danach aber tot, ohne Mineralien, außerdem sei diese Möglichkeit "sackteuer! Warum schüttet man es denn überhaupt oben rein, wenn man es unten nur zu immensen Kosten wieder rauskriegt?".

"Wir wissen bis heute nicht, was beigemischt wurde"

Umwelt-Staatssekretär Andre Baumann berichtet schließlich, dass die Problematik mit den PFAS erst in der vorletzten Legislaturperiode in Baden-Württemberg bekannt wurde. Nämlich als sich herausstellte, dass in Rastatt eine Fläche von 1.105 Hektar hochgradig verseucht ist. "Ich konnte auch nicht glauben, was da passiert", sagt Baumann. Im Sommer sei er damals an einer Ackerfläche gestanden, weiß, wie gepudert mit frischen Schnee, weil die Firma Umweltpartner Vogelkompost mit Papierschlamm aus Papierfabriken gemischt und ausgebracht hatte. Da habe man gedacht, das sei halt Zellstoff, Kreislaufwirtschaft – war's aber nicht, sagt Baumann. Ähnlich schlimm ist es in Mannheim, da sind es 560 Hektar kontaminierter Boden, dort komme die Belastung auch von Papierfabriken. "Wir wissen bis heute nicht, welche Papierfabrik das war und welche Chemikalien da beigemischt wurden." Im Nationalpark Nordschwarzwald seien auch PFAS nachgewiesen worden. Und als 2007 in Herbertingen auf einem Firmengelände eine zwölf Meter hohe Schrotthalde brannte, habe dort die Feuerwehr mit PFAS-haltigem Löschschaum gelöscht, die Chemikalien sind in den Boden gesickert, deshalb musste später ein Trinkwasserbrunnen stillgelegt werden. "Mich als Staatssekretär beunruhigt das", sagt Baumann ganz generell.

Zwölf Millionen Euro habe dier Landesregierung bereits für Forschungsarbeiten zu PFAS ausgegeben, aber Grenzwerte festzulegen sei keine Ländersache, da müsse man auf die EU warten. Allerdings sei er da nicht so zuversichtlich, so, wie es politisch gerade in Europa aussehe. Er sei jedenfalls froh, dass "wir das bei Solvay deutlich reduziert haben". Denn bevor der Firma die Entsorgung von 24 Kilo am Tag genehmigt wurde, schüttete der Konzern jahrelang bis zu zwölf Kilo pro Stunde in den Neckar. Zitat aus dem ersten Text zum Thema von Gunter Haug: "Ohne dass irgendeine der (zahlreichen) Überwachungsbehörden es irgendwie verhindert hätte. Kiloweise unkontrolliert eingeleitet. Einfach so. Kommentar eines fassungslosen Umweltwissenschaftlers: 'Da fliegt dir der Hut weg!'"

Herausgekommen ist das nur, weil ein Doktorand 2016 einfach mal das Wasser aus dem Neckar testete. Damals lag der gesundheitliche Richtwert für TFA noch bei drei Mikrogramm pro Liter. Im Wasser in Edingen-Neckarhausen fanden sich allerdings 20 Mikrogramm, weiter oben am Fluss waren es sogar bis zu 100 Mikrogramm pro Liter. Das Umweltbundesamt setzte den Leitwert daraufhin einfach mal hoch. Von drei auf 30 Mikrogramm, nach einer Studie, die von Solvay in Auftrag gegeben wurde, sogar auf 60 Mikrogramm.

Landesregierung sieht keinen Handlungsbedarf

Baumann findet es, anders als Gunter Haug, unlauter, den Behörden da Willkür zu unterstellen. Ganz verbieten habe man die Einleitung durch Solvay nicht können. Als Landesregierung müsse man sich eben an Gesetze halten und TFA betreffend gebe es bisher keins. Also halte man sich an Studien. Und wenn man TFA ganz verbieten wolle, komme es zu einem "Abfeuern der Lobby, als würde die Welt untergehen". Zudem: "Vollständig auf PFAS verzichten geht momentan sowieso nicht." Die Landesregierung allerdings "sensibilisiere" Unternehmen für die Problematik, das Thema sei bekannt, viele Firmen seien schon weiter als die Politik.

Ob man sich nicht auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie stützen könne, fragt eine Frau aus dem Publikum. Baumann: "Ich stehe einer Verwaltung vor, die auf Basis von Recht und Gesetz arbeitet." Ein anderer Zuhörer kann es nicht glauben, dass eine Landesregierung da so gar nichts machen kann. Ob nicht mal eine Delegation bei Solvay vorbeigehen und fragen könne, ob sie die 24 Kilo TFA am Tag nicht anderweitig entsorgen könnten? Gab's schon, sagt Baumann und winkt ab. In Reihe eins kruschtelt währenddessen eine Frau nach einem Papier. Noch nicht lange her da habe sie nämlich bei Baumanns Umweltministerium ganz offiziell nach der landespolitischen Linie in Sachen PFAS gefragt. Sie zitiert die Antwort des Sprechers: "Zusammenfassend kann ich feststellen, dass vonseiten des Landes kein Handlungsbedarf besteht."

Das Publikum amüsiert sich, selbst Baumann lacht laut auf. Man sei in Brüssel sehr aktiv, sagt er. Und schränkt gleich ein, dass eine globale Marktüberwachung allerdings schwierig sei: "Wenn man PFAS hier verbieten würde, kommt der Kruscht halt aus dem Ausland." Stichwort China und Temu. Man werde sich jedenfalls als Landesregierung auf allen Ebenen bemühen, den Einsatz von PFAS zu reduzierem. Auch für die Schüler:innen des Max Born Gymnasiums will Baumann sich einsetzen und eine Firma finden, die den neuartigen Pizzakarton vielleicht produziert.

Zum Schluss gibt's eine Sonnenblume für jeden Podiumsgast, gefertigt in der JVA Adelsheim. Und eine Flasche Wein von der Lebenshilfe. Wie passend. Erst kürzlich hatte die österreichische Umweltorganisation Global 2.000 verschiedene Weine auf Giftstoffe untersucht und eine massiv steigende TFA-Konzentration gefunden. In Weinen der Jahrgänge 2021–2024 konnte die Organisation bis zu 300 Mikrogramm pro Liter nachweisen. Das Bundesamt für Risikobewertung sieht in so kleinen Mengen – noch – keine Gefahr.

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