Das Sunny High in Stuttgart-Bad Cannstatt ist so etwas wie das Club-gewordene Feindbild der Neuen Rechten: Anlaufstelle für die queere Szene, mit Diversitätsquote am Mischpult und einem Awarenesskonzept gegen sexuelle Belästigung, das tatsächlich ernst genommen wird. Neben Partys finden hier auch politische Veranstaltungen statt, zum Beispiel referiert dort am 12. Juni die Soziologie-Doktorandin Jessica Wagner über "Tradwifes und Gymbros", also Rollenbilder, die sich gegen die Moderne richten und für eine angebliche Rückbesinnung auf klassische Weiblich- und Männlichkeit stehen sollen. Auf dem Balkon gab es eine regenbogenbunte Pride-Flagge – von der sich eine Gruppe Neonazis so provoziert fühlte, dass sie auf den Balkon kletterten und die Flagge klauten, um sie in aller Öffentlichkeit zu zerschneiden.
Der Vorfall selbst fand bereits am 26. April statt, am 16. Mai machte das Kulturzentrum Prisma (in dem auch das Sunny High untergebracht ist) den Fall öffentlich. Eine Sprecherin erklärt gegenüber Kontext, dass die Neonazi-Gruppe bei der Tat beobachtet wurde, die Namen der Beteiligten ihnen bekannt, diese Leute teils mehrfach vorbestraft seien (unter anderem wegen Körperverletzung) und dass sie aus dem Umfeld der Partei "Die Heimat" (früher NPD) stammen würden. Man habe sie in den vergangenen Monaten häufiger im Umfeld des Prismas gesichtet. Schon seit zwei Jahren würden in ihrem Innenhof untypische Sticker und Flyer auftauchen, die antisemitische und homophobe Parolen verbreiten.
"Faschistische Gruppen trauen sich immer mehr", schreibt die Stuttgarter Migrantifa in einer Solidaritätsbekundung an das Sunny High. Und tatsächlich ist es eine neuartige Entwicklung, dass Neonazi-Gruppen in Stuttgart immer offensiver in der Öffentlichkeit auftreten. Der Flaggen-Vorfall ist auch bei der Polizei bekannt, die Sprecherin kommentiert: "Wir wollten das melden, damit es in den entsprechenden Statistiken auftaucht." Als sie den Vorgang Ende April zur Anzeige brachten, geschah erstmal nichts. Kurz nachdem das Prisma ein öffentliches Statement zu dem Vorfall abgegeben hatte, habe sich ein Beamter per Telefon gemeldet und sogar nach den Namen der mutmaßlichen Täter gefragt. Vielleicht hilft öffentlicher Druck, die Ermittlungen zu beschleunigen.
S 21: Wenn du nicht weiter weißt, gründe Taskforce
Dass öffentlicher Druck etwas bewirkt, diese Hoffnung dürften die meisten der gepeinigten Bahn-Pendler:innen im Raum Stuttgart eher nicht mehr haben. Nach unzähligen Zugausfällen, -verspätungen und Schienenersatzverkehrs-Odysseen haben sie sich, so scheint es, fatalistisch in ihr Schicksal gefügt, um höchstens mal beim Zeittotschlagen auf Bahnsteigen stoßzuseufzen: "Es kann ja nur besser werden." Und dann kommt so ein Winfried Hermann (grüner Verkehrsminister von Baden-Württemberg) und sagt: "Bei Baustellen und Streckensperrungen haben wir klare Informationen, dass es im nächsten Jahr auf keinen Fall besser wird." Und: "Das Leiden an Stuttgart 21 für die Fahrgäste wird noch eine Stufe höher sein." Ja schönen Dank auch.
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