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PFAS im Trinkwasser

Solvay macht dicht

PFAS im Trinkwasser: Solvay macht dicht
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Vor Kurzem hat Kontext darüber berichtet, dass in Quellen nahe des Bad Wimpfener Solvay-Werks exorbitant hohe Werte der PFAS-Ewigkeitschemikalie TFA gefunden wurden. Jetzt wurde bekannt, dass Solvay nach einem Umweltskandal sein Werk im südfranzösischen Salindres geschlossen hat. Auch hier wurde TFA produziert. Und es gibt Verbindungen nach Baden-Württemberg.

Rückblende: Im Jahr 2016 wurde im Trinkwasser der neckarabwärts gelegenen Gemeinde Edingen-Neckarhausen durch Zufall eine alarmierend hohe Konzentration der PFAS-Ewigkeitschemikalie Trifluoracetat (TFA) entdeckt. Die Spur führte nach Bad Wimpfen, wo ans Tageslicht kam, dass das dortige Werk des Chemiekonzerns Solvay ohne Wissen der Behörden unglaubliche 12 Kilogramm TFA pro Stunde jahrelang einfach in den Neckar gekippt hat. Ein Skandal, der für die Firma jedoch glimpflich endete. Denn es gab (und gibt noch immer) keinen gesetzlich festgelegten Grenzwert für die Ewigkeitschemikalie, sondern nur einen sogenannten "Leitwert" und eine "Empfehlung" des Umweltbundesamts. Und wo kein Grenzwert, da kein Strafverfahren.

Dennoch herrschte bei den Trinkwasserversorgern am Neckar und bei den Behörden Alarmstufe Rot. Auch das Image von Solvay hat damals einige Kratzer abbekommen. Es musste also dringend etwas getan werden, um die Gemüter wieder zu beruhigen und die Verklappung in den Neckar deutlich zu reduzieren. Freilich hat es noch Jahre gedauert, bis zum April 2021, bis das Regierungspräsidium Stuttgart mit Solvay die Reduktion der TFA-Einleitung in den Neckar erreicht hat: von den ursprünglich 12 kg/h auf die immer noch atemberaubende Menge von 1 kg/h. Eine Erlaubnis, die bis in den Dezember 2044 reicht.

Trotz dieser Verringerung wurden in mehreren Wasserquellen im Umkreis des Bad Wimpfener Werks plötzlich exorbitant hohe TFA-Werte gefunden, wie Kontext berichtete. Ob es einen Zusammenhang mit der Firma gibt, weiß bisher niemand.

Unabhängig davon bleibt die Frage, wie eine Reduktion der TFA-Einleitung auf ein Kilogramm pro Stunde gelingen konnte und was mit den übrigen 11 kg/h geschehen war. Laut Aussage der Behörde wurde dem Regierungspräsidium erklärt, man habe das geschafft durch "verschiedene organisatorische Maßnahmen und technische Lösungen zur stufenweisen Reduzierung der TFA-Fracht. Hierzu wurde insbesondere eine Plasmaspaltanlage installiert." Und was so herrlich verschwurbelt mit "organisatorischen Maßnahmen" umschrieben wurde, heißt in Wirklichkeit nichts anderes, als dass jetzt eben an einem anderen Standort die TFA-Produktion entsprechend hochgefahren wurde.

Von Bad Wimpfen nach Südfrankreich

Und so kommt die südfranzösische Gemeinde Salindres im Departement Gard (Region Okzitanien) ins Spiel. Vor über 150 Jahren wurde hier weltweit zum ersten Mal Aluminium produziert. Nach und nach siedelten sich weitere Industriebetriebe an, bei denen Umweltstandards nicht unbedingt die Hauptrolle spielten – mit all ihren negativen Begleiterscheinungen, beispielsweise einem 35 Meter hohen Müllhügel. Das hat dem Ort schließlich die wenig schmeichelhafte Bezeichnung "französisches Seveso" eingetragen. Hier in Salindres hatte Solvay bereits einen Standort, und hier war nun das ideale Gelände, um die Produktion von TFA deutlich auszuweiten.

2016, im selben Jahr, in dem im Trinkwasser von Edingen-Neckarhausen der Trifluoracetat-Wert jenseits von Gut und Böse war, lagerte Bad Wimpfen einen Teil seiner TFA-Produktion nach Frankreich aus. Auch, weil die Dinge dort etwas liberaler gehandhabt wurden als im Nachbarland. Sophian Hanous, Gewerkschafter der Fédération Nationale Industries Chimique (FNIC) und ehemaliger Solvay-Arbeiter, erzählt im Interview mit Kontext: "Ja, wir haben die TFA-Produktion von Bad Wimpfen übernommen, die Geschäftsleitung hat klar gesagt, dass sie die Produktion nach Frankreich verlagern, weil es dort weniger Normen gibt." Von Bad Wimpfen also ab mit dem TFA nach Südfrankreich – und schon herrschte wieder Ruhe im Heilbronner Land.

Dafür gingen im Departement Gard kürzlich die Wogen hoch, als Messungen der Umweltschutzorganisation "Générations Futures" im Februar 2024 extreme TFA-Werte im Wasser zutage brachten. In Flüssen, aber auch im Leitungswasser von weiter entfernten Gemeinden waren die Werte erschreckend hoch, im Abwasser der Solvay-Fabrik in Salindres lagen sie sogar bei bis zu 7.600 Mikrogramm pro Liter (μg/l). Manche Wissenschaftler, etwa Ian Cousins, Professor für Umweltchemie an der Universität Stockholm, sprachen danach von "Weltrekordwerten". Und auch die Ärzte der Region schlugen Alarm, nachdem ihnen eine besorgniserregende Häufung von Gehirntumoren (Glioblastom) aufgefallen war, die deutlich über den statistischen Werten lag beziehungsweise noch immer liegt. "99,99% der Substanzen, die in den Gewässern um den Standort herum gefunden wurden, wurden von Solvay hergestellt, insbesondere TFA und Triflinsäure", zitiert die französische Tageszeitung "Le Monde" Mitglieder von Générations futures. In letzter Konsequenz konnte kein Zusammenhang mit den Umweltgiften hergestellt werden, aber die Häufung ist signifikant.

Nach den schockierenden Nachrichten aus Salindres reagierte auch die Politik. Noch im selben Monat kam es zu einer besorgten Anfrage der französischen Grünen-Abgeordneten im europäischen Parlament an die EU-Kommission, was diese zu tun gedenke, nachdem "Rekordwerte der PFAS-Verschmutzung in Salindres aufgedeckt wurden, die von der Solvay-Fabrik ausgeht." In der Anfrage wurde auch genau dokumentiert, wo: "Ende 2023 zeigten neun von zehn Proben aus den Flüssen Arien und Avone sowie aus dem Trinkwasser der nahegelegenen Gemeinden sehr besorgniserregende Konzentrationen von PFAS, die von Solvay produziert wurden, insbesondere TFA."

Auch in Salindres wiegelt Solvay erst ab

Logischerweise war bei den Arbeitern der Fabrik in Salindres die Unruhe groß: Sie forderten ein Biomonitoring mit Blut- und Urinproben, um abzuklären, welche TFA-Konzentrationen bei ihnen im Körper möglicherweise festzustellen sein würden. Doch Solvay blockte laut Sophian Hanous wieder und wieder ab: "Die Geschäftsleitung hat uns nie gesagt, dass TFA gefährlich ist, wir haben uns vor der ätzenden Wirkung von TFA geschützt, aber nicht vor seiner toxischen Wirkung. Die Geschäftsleitung hat das Risiko immer extrem heruntergespielt, indem sie als Argument anführte, dass TFA nicht giftig und nicht bioakkumulierbar sei. Unser Direktor hat gesagt, dass TFA nicht gefährlich für die menschliche Gesundheit ist."

Aber dann kam es plötzlich zu einer ganz anderen Reaktion von Solvay, mit der niemand gerechnet hatte: Am 24. September 2024 verkündete die Geschäftsleitung den schockierten Beschäftigten in Salindres, die Produktion zu schließen. Und das, obwohl die meisten doch aus Sorge um ihre Arbeitsplätze versucht hatten, den Ball flach zu halten. Denn die Arbeitslosigkeit in der Region ist hoch.

Begründet hat die Solvay-Zentrale in Brüssel die Schließung offiziell mit erheblichen Verlusten der Fabrik. Auf Nachfrage schreibt der Chemiekonzern, die Produktion in Salindres sei wegen eines "erheblichen Nachfragerückgangs" für TFA geschlossen worden. Andererseits ist freilich der Aktienkurs des 9.000 Mitarbeiter großen Konzerns seit Jahresbeginn bis zum 1. April 2025 um 6,7 Prozent gestiegen. Man erwarte für dieses Jahr ein Ergebnis vor Steuern von einer Milliarde Euro, heißt es zuversichtlich vom Unternehmen. Die Produktion von TFA", schreibt die Pressestelle derweil, "wird nicht an einem anderen Standort wieder aufgenommen. Solvay stellt kein TFA mehr her."

Die Arbeiter fühlen sich getäuscht

Nach der Ankündigung, das Werk Salindres zu schließen, ging es Schlag auf Schlag: Am 28. März verloren 50 Arbeiter ihren Job. Die restlichen 15 werden noch bis Oktober weiterbeschäftigt, um das "Gelände zu säubern", danach wird ganz zugesperrt. Dagegen regte sich Widerstand, zeitweilig wurde der Zugang zum Fabrikgelände blockiert, doch es half nichts. Und auch die geforderten Blutproben werden von Solvay nach wie vor beharrlich verweigert, während die verbliebenen 15 "Freiwilligen" zumindest noch ein paar Monate lang einen Lohn erhalten. Solvay hatte sogar, so berichtet es die Zeitung "La Marseillaise", eine Prämie von 2.000 Euro für diejenigen ausgelobt, die sich freiwillig zur "Reinigung" melden.

Der ehemalige Solvay-Arbeiter Sophian Hanous fühlt sich schwer getäuscht: "In Bezug auf die Blutproben hat die Geschäftsleitung nach vielen Diskussionen zunächst zugestimmt, uns ein Biomonitoring für TFA durchführen zu lassen", erzählt er. Doch nach der Ankündigung der Schließung der Produktion habe sie ihre Meinung geändert "und weigert sich nun, uns ein Biomonitoring durchführen zu lassen. Mit dem Argument, dass meine Ergebnisse nicht repräsentativ für unsere Exposition seien, da die Produktion eingestellt wurde. Wir wissen, dass dies nur ein Vorwand ist", beklagt sich Hanous. "Der Direktor sagte uns inoffiziell, dass Solvay Angst vor zukünftigen Gerichtsverfahren hat. Denn wenn wir einen hohen TFA-Wert in unserem Blut haben, obwohl wir nicht mehr produzieren, würde ihr Argument, dass es nicht bioakkumulierbar ist, nicht mehr greifen." Momentan prüft die Gewerkschaft, ob sie nicht einfach selbst die Proben finanzieren könnte.

Ein Lehrstück also, wie es gehen kann, wenn Unruhe in der Stadt herrscht. So scheint man das behördlicherseits auch im Bad Wimpfener Rathaus zu sehen. Denn immerhin verfügt Solvay in Bad Wimpfen über mehr als 300 Arbeitsplätze. Da kann man schon ins Grübeln kommen. Anders ist kaum zu erklären, dass dort seit den schockierenden Analysen und der Berichterstattung von Kontext außer Verharmlosungsversuchen kaum etwas unternommen worden ist.

Nur Solvay produziert bei Bad Wimpfen TFA

Um es noch einmal zusammenzufassen: Die Analysten waren geschockt, als im vergangenen Februar die Werte von Bad Wimpfen ans Tageslicht kamen. Eine Konzentration von bis zu 320 μg/l! Das ist mehr als das Fünffache des maximal empfohlenen Grenzwerts – und es liegt um das 32-Fache über der Empfehlung des Umweltbundesamts in Sachen Trinkwasser. Und immer noch, mehr als ein Dreivierteljahr nach der Entdeckung, weiß niemand, woher genau diese Brühe kommt.

Einigermaßen klar ist nur, dass sich die giftige Hinterlassenschaft irgendwo im Boden über dem Hang des Neckartals bei Bad Wimpfen befinden muss und sich allmählich auf den Weg in die Wasservorkommen bei Bad Wimpfen gemacht hat, wo es inzwischen in verschiedene Quellen um Bad Wimpfen gesickert ist – und es offenbar weiter tut. Und dies in einer solch exorbitanten Konzentration, dass bereits mehreren Eigenwasserversorgern, die aus diesen Quellen ihr Trinkwasser bezogen haben, die Nutzung sofort verboten worden ist.

Dass es irgendetwas mit der hier produzierenden Chemiefirma Solvay zu tun haben muss, liegt nahe, ist aber nicht bewiesen. Solvay ist allerdings das einzige Unternehmen im weiten Umkreis, das TFA produziert.

Eine unheimliche Geschichte, bei der dennoch Ruhe die erste Bürgerpflicht zu sein scheint. Und das, obwohl auch die öffentliche Wasserversorgung des Nachbarorts Untereisesheim betroffen ist. Nach Wochen (und nach Veröffentlichung des Kontext-Artikels) hat Bad Wimpfens Bürgermeister Andreas Zaffran endlich reagiert und in einer breit gestreuten Information für die Bevölkerung die Devise ausgegeben, dass in Sachen Trinkwasser alles in bester Ordnung sei. Schließlich verfüge man in der Stadt über eine Beimischung von 80 Prozent Bodenseewasser. Und dieses Wasser enthalte ja nur TFA in einer Konzentration von 0,28 μg/l. Klingt wirklich beruhigend – für den Moment. Was aber, wenn die Empfehlung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit greift? Die empfiehlt nämlich, als unbedingten Grenzwert so rasch wie möglich 0,1 μg/l einzuführen. Da würde dann auch das Bodenseewasser um beinahe das Dreifache darüberliegen. Oder um es mit den Worten eines Wasserwerkers zu sagen: "Wenn der neue Grenzwert kommt, dann können wir zusperren!"

PFAS-Chemikalien im Bodensee

Nur zur Erinnerung: Im Dezember 2020 und im Januar 2021 hat es im schweizerischen Goldbach am Bodensee einen Fabrikbrand gegeben, bei dem Löschschäume in den Bodensee gelangt sind, die den See nachweislich mit einer anderen PFAS-Chemikalie verunreinigt haben. Es gab eine messbare Kontamination damals.

Auch das Landratsamt Heilbronn hat, wenn auch spät, noch auf die Kontext-Anfrage reagiert, ob denn inzwischen Bodenproben genommen worden seien (Kontext berichtete). Erstaunliche Antwort: Man habe den Boden nicht beprobt, da es unwahrscheinlich sei, dass das TFA vom Herbizideinsatz in der Landwirtschaft kommt. Schon deshalb nicht, weil "die derart hohen TFA-Werte in den Brunnen grundsätzlich nicht als Folge einer ordnungsgemäßen Pflanzenschutzmittelanwendung entstehen können". Schreibt das Amt und versichert uns alle somit der erfreulichen Tatsache, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Möglicherweise illegale Ablagerungen, die sich unter der Grasnarbe verbergen könnten? Ist nicht beprobt worden.

Fazit: Seit einem Jahr steigen im Heilbronner Land laut Wasserversorger (der seinen Namen besser nicht genannt haben möchte) die TFA-Werte im Grundwasser. Was kein Wunder ist, denn jedes Gramm Ewigkeitschemikalie, das wir heute produzieren, wird über Generationen bestehen bleiben und die Gesundheit unserer Nachkommen belasten.

Bleibt abschließend die Frage, ob wir es uns weiter leisten können, nur auf den ohnehin von der neuesten Forschung längst überholten Grenzwert zu starren. Oder ob wir es endlich schaffen, die tödliche Fracht erst gar nicht ins Wasser zu kippen. Man könnte ja andere Herstellungsverfahren für Regenjacken und Teflonpfannen anwenden. Dann könnte es natürlich sein, dass die Jacken und Pfannen ein paar Euro teurer würden.

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1 Kommentar verfügbar

  • Dani
    vor 11 Stunden
    Antworten
    Mein spontaner Gedanke wegen: "Seit einem Jahr steigen im Heilbronner Land laut Wasserversorger (der seinen Namen besser nicht genannt haben möchte) die TFA-Werte im Grundwasser. ":
    Kontext weiß, wie wichtig Quellenschutz ist. Einige Wasserversorger und Lokalpolitiker offensichtlich nicht.
    Sorry…
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