Schuld sind bekanntlich immer die anderen. "Die EU läuft Gefahr, den Anschluss an die Transformation der Automobilindustrie zu verpassen", schreibt Daimler-Chef Ola Källenius an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Dabei ist es genau umgekehrt: Die Hersteller laufen Gefahr, die eigenen Geschäftsmodelle zu torpedieren. Und im sechsten Absatz seines Briefes plaudert Källenius – hier in seiner Eigenschaft als Präsident des Europäischen Automobilherstellerverbandes (ACEA) – sogar aus, dass sie die Transformation der Automobilindustrie noch etwas hinauszögern möchten: "Die Einhaltung der strengen CO2-Ziele für Pkw und Transporter für 2030 und 2035 ist in der heutigen Welt einfach nicht mehr realisierbar."
In der gestrigen und der vorgestrigen Welt jedoch auch nicht. Mehr als 45 Jahre sind verstrichen seit der unter SPD-Bundesverkehrsminister Volker Hauff über seine Amtszeit hinaus bis 1985 datierten Selbstverpflichtung zur Senkung der Schadstoffemissionen. Trotz Waldsterben wurde die Latte gerissen, zugleich aber die Lobbyarbeit seitens der Hersteller in Brüssel, Bonn und dann Berlin massiv verstärkt: Die dringend notwendigen schärferen Vorgaben zu Spritverbrauch und CO2-Ausstoß sollten verwässert werden. Und als dann 2009 nach einer weiteren gescheiterten Selbstverpflichtung ein verbindlicher Rahmen EU-weit in Kraft trat, lief bei VW, Daimler & Co. längst das illegale Programm zur Manipulation von Messungen, die im Abgasskandal mündeten und den Herstellern üppige und schmerzhafte Strafzahlungen eintrugen – viele Milliarden, die sie jetzt, in Zeiten der durch Trump, China und die Kosten der Transformation entstandenen Absatzkrise so gut brauchen könnten.
Eine Prise Demut könnte also nicht schaden – ist aber genauso wenig im Angebot wie ein preislich der breiten Mittelschicht zugängliches E-Auto mit akzeptabler Reichweite. Beispielsweise beginnt der neue CLA aus Untertürkheim bei schlappen 56.000 Euro. Aus den Werbeslogans spricht Verzweiflung. Denn das Lob, es handele sich um den "intelligentesten Mercedes-Benz jemals", beschädigt frühere Produktentwickler:innen, ganz abgesehen von Gottfried und seiner Berta. Und dass das Modell angeboten wird als "das erste einer neuen Fahrzeuggeneration mit Elektro-DNA", wirft ein Licht auf den Nachholbedarf.
Källenius fehlt der große Plan
Aus dem Brief wiederum, den Källenius gemeinsam mit dem Verband der Zulieferer (CLEPA) geschrieben hat, spricht beträchtliche Dreistigkeit. Ihm zufolge ist es die Kommission, die jetzt "sicherstellen muss, dass Europa seine lebenswichtigen Produktionskapazitäten und sein technologisches Know-how behält". Auch können die Autor:innen nicht erwarten, dass ihnen – nach so vielen gebrochenen Verheißungen – Ursula von der Leyen die Beteuerungen abkauft, sie würden sich dafür einsetzen, dass die EU das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreicht. Natürlich kennt Källenius, Vater von drei Söhnen, das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, das verlangt, klimarelevante Maßnahmen gerade nicht in die Zukunft zu verlagern, um kommende Generationen nicht über Gebühr zu belasten und deren Handlungsspielräume im Kampf gegen die Erderwärmung zu erhalten. Ein Aufschub gegenwärtiger Anstrengungen widerspricht dieser Forderung aus Karlsruhe diametral.
Mit Blick auf Baden-Württemberg ist es geradezu kaltschnäuzig, wenn der seit sieben Jahren an der Spitze des Konzerns stehende Finne Hersteller und Zulieferer als "frustriert" bezeichnet und zwar "über das Fehlen eines ganzheitlichen und pragmatischen politischen Plans für die Transformation der Automobilindustrie". Dabei hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann höchstpersönlich einen sogenannten Strategiedialog und damit regelmäßige Treffen zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft angestoßen, um "im Schulterschluss mit allen Beteiligten den Transformationsprozess erfolgreich zu gestalten".
Mehrfach nahm Källenius teil, ebenso wie die Vertreter anderer Hersteller oder der Zulieferer im Land. Wichtige Informationen können nicht an ihnen vorbeigegangen sein – etwa die, dass nach Angaben des baden-württembergischen Staatsministerium seit 2013 fast 25 Milliarden Euro an Investitionen angeschoben wurden, dass ein umfassendes Beratungs- und Qualifizierungsangebot für kleinere und mittlere Unternehmen der Zuliefererindustrie und des Kfz-Gewerbes aufgelegt ist, dass Forschungsinfrastrukturen für Wasserstoff- und Batterietechnologie aufgebaut sind. Und dass schließlich, wie Kretschmann immer wieder betont, "das Einzigartige am Strategiedialog ist, wie alle Projekte die ganze Wertschöpfungskette in den Blick nehmen".
Wendehälsige Wirtschaftsministerin
Ist der Ministerpräsident in der Nähe auf den Jahresversammlungen des Dialogs, auf Pressekonferenzen oder bei Firmenbesuchen, lobt die CDU-Wirtschaftsministerin das Vorgehen der Landesregierung. Agiert Nicole Hoffmeister-Kraut allein, wechselt sie gern die Seiten. Oder sie lädt sogar zu Gegenveranstaltungen, die nicht mehr auf das Konto des Strategiedialogs und damit der Landesregierung gehen, sondern allein aufs eigene einzahlen sollen. "Aus erster Hand" will sie in der kommenden Woche erfahren, "mit welchen Schwierigkeiten sich die Branche konfrontiert sieht, welche Chancen wiederum der Wandel bietet, wie Unternehmen auch von der E-Mobilität profitieren können und wie ein erfolgreicher Weg von Unternehmen in der Automobilbranche aussehen kann". Dabei hat sie sich in der Debatte um die Zukunft der Plug-in Hybrid Electric Vehicle (PHEV), also Fahrzeugen mit Elektromotor, bei denen ein Verbrenner anspringt, sobald der Akku leer ist, ganz ohne diesen Input längst festgelegt. Sie stellt sich frontal gegen die EU und gegen wissenschaftliche Erkenntnisse.
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