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Zurück zum Verbrenner

Mit beträchtlicher Dreistigkeit

Zurück zum Verbrenner: Mit beträchtlicher Dreistigkeit
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Mit einem Brandbrief versuchen Europas Autohersteller, von eigenen Versäumnissen, gebrochenen Versprechen und organisiertem Betrug abzulenken. Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sekundiert.

Schuld sind bekanntlich immer die anderen. "Die EU läuft Gefahr, den Anschluss an die Transformation der Automobilindustrie zu verpassen", schreibt Daimler-Chef Ola Källenius an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Dabei ist es genau umgekehrt: Die Hersteller laufen Gefahr, die eigenen Geschäftsmodelle zu torpedieren. Und im sechsten Absatz seines Briefes plaudert Källenius – hier in seiner Eigenschaft als Präsident des Europäischen Automobilherstellerverbandes (ACEA) –  sogar aus, dass sie die Transformation der Automobilindustrie noch etwas hinauszögern möchten: "Die Einhaltung der strengen CO2-Ziele für Pkw und Transporter für 2030 und 2035 ist in der heutigen Welt einfach nicht mehr realisierbar."

In der gestrigen und der vorgestrigen Welt jedoch auch nicht. Mehr als 45 Jahre sind verstrichen seit der unter SPD-Bundesverkehrsminister Volker Hauff über seine Amtszeit hinaus bis 1985 datierten Selbstverpflichtung zur Senkung der Schadstoffemissionen. Trotz Waldsterben wurde die Latte gerissen, zugleich aber die Lobbyarbeit seitens der Hersteller in Brüssel, Bonn und dann Berlin massiv verstärkt: Die dringend notwendigen schärferen Vorgaben zu Spritverbrauch und CO2-Ausstoß sollten verwässert werden. Und als dann 2009 nach einer weiteren gescheiterten Selbstverpflichtung ein verbindlicher Rahmen EU-weit in Kraft trat, lief bei VW, Daimler & Co. längst das illegale Programm zur Manipulation von Messungen, die im Abgasskandal mündeten und den Herstellern üppige und schmerzhafte Strafzahlungen eintrugen – viele Milliarden, die sie jetzt, in Zeiten der durch Trump, China und die Kosten der Transformation entstandenen Absatzkrise so gut brauchen könnten. 

Eine Prise Demut könnte also nicht schaden – ist aber genauso wenig im Angebot wie ein preislich der breiten Mittelschicht zugängliches E-Auto mit akzeptabler Reichweite. Beispielsweise beginnt der neue CLA aus Untertürkheim bei schlappen 56.000 Euro. Aus den Werbeslogans spricht Verzweiflung. Denn das Lob, es handele sich um den "intelligentesten Mercedes-Benz jemals", beschädigt frühere Produktentwickler:innen, ganz abgesehen von Gottfried und seiner Berta. Und dass das Modell angeboten wird als "das erste einer neuen Fahrzeuggeneration mit Elektro-DNA", wirft ein Licht auf den Nachholbedarf.

Källenius fehlt der große Plan

Aus dem Brief wiederum, den Källenius gemeinsam mit dem Verband der Zulieferer (CLEPA) geschrieben hat, spricht beträchtliche Dreistigkeit. Ihm zufolge ist es die Kommission, die jetzt "sicherstellen muss, dass Europa seine lebenswichtigen Produktionskapazitäten und sein technologisches Know-how behält". Auch können die Autor:innen nicht erwarten, dass ihnen – nach so vielen gebrochenen Verheißungen – Ursula von der Leyen die Beteuerungen abkauft, sie würden sich dafür einsetzen, dass die EU das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreicht. Natürlich kennt Källenius, Vater von drei Söhnen, das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, das verlangt, klimarelevante Maßnahmen gerade nicht in die Zukunft zu verlagern, um kommende Generationen nicht über Gebühr zu belasten und deren Handlungsspielräume im Kampf gegen die Erderwärmung zu erhalten. Ein Aufschub gegenwärtiger Anstrengungen widerspricht dieser Forderung aus Karlsruhe diametral.

Mit Blick auf Baden-Württemberg ist es geradezu kaltschnäuzig, wenn der seit sieben Jahren an der Spitze des Konzerns stehende Finne Hersteller und Zulieferer als "frustriert" bezeichnet und zwar "über das Fehlen eines ganzheitlichen und pragmatischen politischen Plans für die Transformation der Automobilindustrie". Dabei hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann höchstpersönlich einen sogenannten Strategiedialog und damit regelmäßige Treffen zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft angestoßen, um "im Schulterschluss mit allen Beteiligten den Transformationsprozess erfolgreich zu gestalten".

Mehrfach nahm Källenius teil, ebenso wie die Vertreter anderer Hersteller oder der Zulieferer im Land. Wichtige Informationen können nicht an ihnen vorbeigegangen sein – etwa die, dass nach Angaben des baden-württembergischen Staatsministerium seit 2013 fast 25 Milliarden Euro an Investitionen angeschoben wurden, dass ein umfassendes Beratungs- und Qualifizierungsangebot für kleinere und mittlere Unternehmen der Zuliefererindustrie und des Kfz-Gewerbes aufgelegt ist, dass Forschungsinfrastrukturen für Wasserstoff- und Batterietechnologie aufgebaut sind. Und dass schließlich, wie Kretschmann immer wieder betont, "das Einzigartige am Strategiedialog ist, wie alle Projekte die ganze Wertschöpfungskette in den Blick nehmen".

Wendehälsige Wirtschaftsministerin 

Ist der Ministerpräsident in der Nähe auf den Jahresversammlungen des Dialogs, auf Pressekonferenzen oder bei Firmenbesuchen, lobt die CDU-Wirtschaftsministerin das Vorgehen der Landesregierung. Agiert Nicole Hoffmeister-Kraut allein, wechselt sie gern die Seiten. Oder sie lädt sogar zu Gegenveranstaltungen, die nicht mehr auf das Konto des Strategiedialogs und damit der Landesregierung gehen, sondern allein aufs eigene einzahlen sollen. "Aus erster Hand" will sie in der kommenden Woche erfahren, "mit welchen Schwierigkeiten sich die Branche konfrontiert sieht, welche Chancen wiederum der Wandel bietet, wie Unternehmen auch von der E-Mobilität profitieren können und wie ein erfolgreicher Weg von Unternehmen in der Automobilbranche aussehen kann". Dabei hat sie sich in der Debatte um die Zukunft der Plug-in Hybrid Electric Vehicle (PHEV), also Fahrzeugen mit Elektromotor, bei denen ein Verbrenner anspringt, sobald der Akku leer ist, ganz ohne diesen Input längst festgelegt. Sie stellt sich frontal gegen die EU und gegen wissenschaftliche Erkenntnisse.

Spätestens seit Ende des vergangenen Jahrzehnts zeigen vergleichende Berechnungen, dass deren CO2-Ausstoß-Minderung geringer ist als ursprünglich angenommen, weil Nutzung und Fahrverhalten zu wenig einfließen. "Da die realen CO2-Emissionen von PHEV wesentlich höher als in der Typgenehmigung sind, sollten sie bei den Gutschriften für  Zero-/Low-Emission Vehicle (ZLEV) im Rahmen der CO2-Standards  der Europäischen Union nicht berücksichtigt werden", schreibt das Karlsruher Fraunhofer Institute for Systems and Innovation Research ISI in einem Merkblatt von 2022.

Die EU hat beschlossen, diese Erkenntnisse schrittweise in die Vorgaben zum Flottenverbrauch einfließen zu lassen, den durchschnittlichen Verbrauch aller Modelle eines Autoherstellers. "Dadurch verlieren viele Modelle den Status als ZLEV und erschweren den Herstellern die Einhaltung der CO2-Flottenziele", beklagt Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin. Dabei vergisst sie zu erwähnen, dass sie diesen Status nie verdient haben. Stattdessen fordert sie vehement, dass die Hersteller nicht "aus einer wichtigen Übergangstechnologie herausgetrieben werden". Die EU müsse auf Alleingänge zulasten der Automobilindustrie verzichten.

Vollends orchestriert wirkt, wie der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) ins selbe Horn stößt und sich beschwert, dass die EU die PHEV nicht mehr als emissionsarme Fahrzeuge anerkennt. Damit verlören Unternehmen und Kunden eine wichtige Brückentechnologie und die Hersteller eine Option, die CO2-Flottenziele einzuhalten. Die zumal in CDU-Reihen gebetsmühlenhaft wiederholte Forderung nach Technologieoffenheit entblößt ihren Charakter als Feigenblatt.

Und dass die Brückentechnologie, angesichts ihrer Schwachstellen beim Thema Emissionsminderung, in Wahrheit gar keine ist, soll der Öffentlichkeit verschleiert bleiben. Michael Bloss (Grüne), der Stuttgarter Europaabgeordnete, wirft der Union vor, auf diese Weise Unsicherheit zu schüren und neue Technologien schlechtzureden, "statt einen eigenen Plan für die Mobilitätswende vorzulegen". Das sei "ein durchschaubarer Versuch, programmatische Leerstellen zu kaschieren". 

Am 12. September werden die CEOs der Branche auf Einladung von der Leyens in Brüssel zusammenkommen. Im vergangenen Januar hatte die Kommissionpräsidentin die Idee aus Baden-Württemberg aufgenommen und selbst auf europäischer Ebene einen Strategiedialog gestartet. Schon beim zweiten Treffen im März war sie den Konzernen entgegengekommen: Der Fahrplan bis zur Umsetzung der Flottenziele insgesamt wird gestreckt, die Zusammenarbeit großer Unternehmen erleichtert oder es gibt mehr Geld für die Batterieherstellung. 

Der aktuelle Brandbrief ist Ausdruck einer Haltung nach dem Motto: "Wir wollen aber noch mehr und scheuen uns nicht, so richtig schwarzzumalen." Denn das Treffen wird als "letzte Gelegenheit für die EU" bezeichnet, "ihre Politik an die heutigen marktwirtschaftlichen, geopolitischen und wirtschaftlichen Realitäten anzupassen oder zu riskieren, eine ihrer erfolgreichsten und weltweit wettbewerbsfähigsten Branchen zu gefährden". Ganz schön mutig für Branchenvertreter, die jahrelang geschummelt und/oder aufs falsche Pferd gesetzt haben.

Faktenferner Kampfbegriff

Auch Manuel Hagel, der CDU-Spitzenkandidat, der im nächsten Frühjahr Baden-Württembergs Ministerpräsident werden möchte, will von diesem nur scheinbar spröden Thema nichts wissen: Anrechnung von Emissionsverringerungen durch Plug-in-Hybride auf die in der EU geltenden Grenzwerte und der tatsächliche Beitrag der PHEV zum Kampf gegen die Erderwärmung. Vielmehr springt der Landes- und Fraktionschef auf den Geisterzug auf, der gegen Brüssel ins Rollen gekommen ist und speziell gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, bekanntlich eine Parteifreundin. "Gerade jetzt, wo zehntausende Arbeitsplätze in der Autoindustrie wegbrechen, noch zusätzlich Hürden auszubauen – das versteht kein Mensch", postet der Mann aus Ehingen. Zeitgleich mit Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Winfried Mack und Vertretern des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags erhebt er die Forderung, dass Plug-in-Hybride weiterhin als emissionsarm anerkannt sein müssen. 

Die konzertierte Aktion legt den Schluss nahe, dass zumindest auch ein Wahlkampfthema getestet werden soll. Die Grünen werden als angreifbar in Sachen Auto und Arbeitsplätze eingeordnet – wegen grün-interner Meinungsverschiedenheiten. Die wurden unter anderem 2017 offenbar, als Winfried Kretschmann am Rande einer Bundesdelegiertenkonferenz in Berlin ("Zukunft wird aus Mut gemacht") seinen Zorn am armen Matthias Gastel ausließ, dem Nürtinger Bundestagsabgeordneten, und ein heimlicher Mitschnitt die Szene publik machte. Kretschmann war erbost über den Parteitagsbeschluss, wonach "ab 2030 nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden sollen". So löste selbst der grüne Regierungschef die Verkürzung eines komplexen Sachverhalts auf ein einziges Schlagwort mit aus: "Verbrenner-Verbot". Das war allerdings nie Beschlusslage, auch nicht in der EU. Die (noch) geltenden Regeln sehen eine Reduzierung der Flottenemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 2021 vor. In zehn Jahren liegt das Reduktionsziel bei 50 Prozent. 2035 muss bei Neuzulassungen das Reduktionsziel 100 Prozent erreicht sein. Verbrenner sind also keineswegs verboten, sie müssen aber E-Fuels tanken. Dennoch verwenden gerade Unions-Politiker:innen reihenweise den faktenfernen Kampfbegriff inzwischen regelmäßig. O-Ton Hagel: "Das Verbrenner-Verbot muss weg." Oder: "Das Verbrenner-Verbot der EU ist total daneben." Oder: "Ziel muss eine klimafreundliche Mobilität mit Augenmaß sein, nicht ideologisch überzeichnete Verbotspolitik."  (jhw)


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