Als geadeltes Mieterprachtobjekt hatte ich mich an den Laptop gesetzt und so getan, als würde ich arbeiten. Unmöglich allerdings, einen klaren Gedanken zu fassen, während Makler und Möchtegernkäufer durch die Zwei-Zimmer-Küche-Bad-Bude wackeln. Bei mehreren Besichtigungen hörte ich aus dem Bad den Ausruf "Schimmel!", aber ich ignorierte gekonnt, war ja am Arbeiten.
Deutsche Sorgen über Müll
Obwohl ich mir als Vorzeigemieter große Mühe gab, waren am Ende mehr als zwanzig Besichtigungstermine nötig, bei denen ich den Begüterten etwas vorleben musste. Zwischendurch erwog ich, eine Agentur mit dem Namen "Meet my Mieter" oder "Miet & Greet" zu gründen, die andere Vorzeigemieter für solche Fälle an Immobilienverkäufer vermittelt. Den Grund für die Vermittlungsschwierigkeiten ahnte ich schon nach dem ersten Interessenten, einem älteren Herrn, der sich am Ende der Tour d'Appartement räusperte: "Also eine Frage hätte ich noch …" Kurze, bedeutungsschwangere Kunstpause. "Ich hab' die Klingelschilder gelesen: Es sind ja doch recht viele Ausländer im Haus ..."
Ich bejahte und der Mann schob hinterher: "Und wie ist es mit dem Müll? Werfen die den immer in den Garten?" Der Deutsche hat bekanntlich eine besondere Beziehung zu Müll, vor allem zum Müll von Ausländern. Ich lud ihn ein, den Blick durch meine seit vier Jahren ungeputzten Fenster schweifen zu lassen und sich davon zu überzeugen, dass kein Müll im Garten liege und derartiges bislang auch nicht vorgekommen sei. "Mhm, mhm." Der Mann murmelnd ab.
Bei der zweiten Besichtigung, ein Paar Mitte 30, sie schwanger, er wohl auch, kam es zu diesem Dialog: "Wir hätten noch eine Frage …" Ja? "Es sind ja doch recht viele Ausländer im Haus …" Mhm. "Und wie ist es mit dem Müll?" Meine Fenster hatte ich selbstredend noch immer nicht geputzt, doch die Sicht in den Garten war nach wie vor frei.
Auch die dritte Interessentin hatte zum Abschluss eine Frage. "Ich weiß, was Sie sagen wollen", unterbrach ich die etwa Fünfzigjährige: "Machen Sie sich keine Sorgen! Das mit dem Müll hat bald ein Ende. Der, der den immer in den Garten schmeißt, bin ich." Gut zu wissen, meinte sie, aber sie hatte sich eigentlich nach den Heizkosten erkundigen wollen.
Upcycling-Küche: ein Spaßprojekt wie S 21
Ob die Wohnung im Ausländerhaus mittlerweile verkauft ist, weiß ich nicht, denn wir haben inzwischen eine neue bezogen. Tolle Lage, schöne helle Zimmer, Miete leider wie überall, aber der Schweizerin an meiner Seite gefiel sie so sehr, dass ich sagte: Okay, dann verkaufe ich eben ein Nierli (eine Niere). Bei der Besichtigung hatte ich dank meiner durchs Autorendasein aufs Äußerste geschärften Beobachtungsgabe allerdings festgestellt, dass sich in der Wohnung keine Küche befand. Schade, aber Wohnungen ohne Küche miete ich nicht. Dachte ich!
Anders dachte meine Eheeidgenossin. Kein Problem sei die fehlende Kombüse, sie baue da einfach eine Upcycling-Küche rein. Das heißt: Man schraubt eine in die Jahre gekommene Küche aus einer anderen Wohnung, schippert sie in die Zielwohnung und streicht sie neu an. Ältere Küchen werden reihenweise verschenkt, weil die Leute froh sind, wenn man das Teil kostenfrei ausbaut. Und ein solches "Projekt" mache ja schließlich – ich zitiere meine Frau – "Spaß". Allein: Retrospektiv betrachtet habe ich bei dieser ganzen Aktion trotz meiner wie erwähnt chilischotenscharfen Beobachtungsgabe recht wenig Spaß ausgemacht.
Aber gut, Menschen äußern Spaß auf ganz unterschiedliche Weise. Ich zum Beispiel empfinde Spaß, wenn ich meine Kolumne geschrieben habe und nachher ein Bier trinken gehe. Und andere haben eben Spaß daran, eine rostig-rüstige Spülmaschine in den dritten Stock zu tragen und mit einer abgebrochenen Schraube in der Hand mich anzuschreien. Ein Spaßprojekt, so störungsarm wie Stuttgart 21.
Aber das ist eben auch das Schöne an so einem umweltbewussten Upcycling-Unterfangen: Man hat zwar erstmal einen brutalen Aufwand, aber dafür später auch 'ne richtig beschissene Küche. Zieht man für gewisse Anpassungen aber noch einen Schreiner zur Unterstützung hinzu, ist die Küche am Ende immerhin kostentechnisch kaum noch von einer neuen Küche zu unterscheiden.
Korpen, Korporata oder Korpodendren?
In puncto Handwerk war der Mann sein Geld zwar wert. Nur sprachlich irritierte er mich, als er mit uns die "Korpen" einzubauen gedachte. Ob das wohl der korrekte Plural von "Korpus" sei, grübelte ich, aber als Profi werde er's wohl wissen, er schreinert schließlich hauptberuflich und ich bin halt nur so einer, der wo beruflich was mit Sprache machen tut. Zur Info, falls Sie von Küchen so viel Ahnung haben wie ich: Ein Korpus ist so ein einzelnes Küchenelement, gewissermaßen Rückwand und Seitenteile der Küchenschränke.
Dennoch überlegte ich vor mich hin: "Korpus" – da wäre der klassische Plural eigentlich "Korpusse" oder "Korpora", aber vielleicht ist es beim Küchenkorpus ja wie beim Kaktus: Kaktus, Kakteen. Dann hieße es: ein Korpus, mehrere Korpeen. Oder mehrere Korporata? Oder wie bei Rhododendron: ein Korpus, mehrere Korpodendren? Der Schreiner jedenfalls meinte irgendwann, es sei ihm im Grunde scheißegal, wie die Dinger heißen, ich solle jetzt lieber endlich auch mal eins in die Wohnung tragen, er hätte jetzt schon die Hälfte allein hochgeschleppt.
Genau wegen derlei Erregungspotential sind Wohnungen ohne Küche in anderen Ländern wohl eher unüblich. Als ich der schweizerischen Verwandtschaft von unserem Projekt erzählt habe, hielt selbige mich für geistig umnachtet: "Wie? In dere Wohnig isch kei Chuchi drin?" Ja, sagte ich, das gebe es in Deutschland durchaus öfters, aber die Rechtfertigung sorgte nur für noch mehr entgeistertes Amüsement: "Isch uswärts goge Essen in Dütschland mittlerwile so billig, dass me kei Chuchi meh brucht?"
Im Vergleich ist Dütschland billig
Dazu muss man sagen: In der Schweiz sind die Löhne im Verhältnis zu unseren recht hoch, der Medianbruttolohn in der Schweiz liegt bei 85.000 Franken. Die Restaurants in der Alpenrepublik indes sind unverhältnismäßig teurer. Finanziell macht es für den Schweizer keinen Unterschied, ob er einmal zum Italiener geht oder zwei Wochen nach Italien.
Exempli gratia: Als Schwabe würde ich eher den Enten im Park die Brotkrumen abluchsen, als in einem Schweizer Restaurant zu speisen, aber kürzlich aßen wir notgedrungen in der Nähe von Zürich zu Mittag bei einem sehr einfachen Mexikaner in einem Industriegebiet neben einem Kino. Küchenniveau: Sausalitos Königstraße. Echt nichts Besonderes. Wir hatten zu zweit einen Teller Fajitas, meine Frau ein Glas Sprudel und ich einen so zuckerfreien wie widerlichen Hibiskusblüteneistee, bei dem es mir noch heute beim Gedanken an ihn den Pansen zusammenzieht. Bezahlt haben wir 110 Euro. Daher empfindet man die Restaurantpreise in Dütschland trotz Inflation noch immer als recht billig.
Ins Restaurant müssen wir aber zum Glück nicht mehr, denn die Küche steht mittlerweile, erfreut sich überschwänglicher Lobeshymnen zahlreicher Gäste und funktioniert wunderbar – abgesehen von einer Sache: Bei unserem ausziehbaren Abfalleimersystem haben wir uns leider vermessen, das Ding passt nicht unter die Spüle. Drum werfe ich unseren Müll jetzt einfach wieder in den Garten.
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