Also ist es ein Gerücht, dass CDU und FDP für Wirtschaftskompetenz stehen?
Ich würde behaupten, Merz und Lindner sind momentan die erfolgreichsten Wachstumskritiker, weil sie mit allem, was sie vorschlagen, den sozial-ökologischen Umbau verzögern. Sie nehmen Zuflucht bei Lösungen, die Lösungen von gestern sind und deshalb keine Lösungen, sondern nur Scheinlösungen. Sie bedienen die Interessen wildgewordener Partikulargruppen, und zwar auf Kosten des großen Ganzen. In trauter Eintracht mit der radikalen Rechten halten die Mitte-rechts-Parteien mit einer regelrechten Talibanmentalität an einer Schuldenbremse fest, über die sogar Ökonomen des Internationalen Währungsfonds – wahrlich kein Hort für Antikapitalisten – den Kopf schütteln. Es ist ganz offensichtlich, dass es in Deutschland ein riesiges Defizit an privaten und öffentlichen Investitionen gibt. Damit ist nicht nur der sozial-ökologische Umbau gemeint, es fängt schon beim Erhalt der basalen Infrastruktur an, wo ein riesiger Sanierungsstau vorliegt. Einmal physisch, bei Wasser-, Strom-, Gasleitungen, Bahntrassen und Brücken et cetera. Aber auch im Sozialbereich, bei den Schulen, Kliniken und Kitas: Da gibt es einen jährlichen Investitionsbedarf im zweistelligen Milliardenbereich. Und in dieser Situation erklären die Wirtschaftsliberalen öffentliches Schuldenmachen zum Teufelszeug. Gleichzeitig wollen sie aber Steuergeschenke an die Wohlhabenden verteilen, die ein gewaltiges Loch in den Staatshaushalt reißen. Und die einzige Idee zur Gegenfinanzierung ist, dass es sich von selbst rechnen soll, weil die gesenkte Steuerlast das Wachstum begünstige. Das ist Dogmatismus pur – und wenn man mal kurz drüber nachdenkt, muss doch auffallen: Das kann nicht funktionieren, das ist völlig unmöglich.
Trotzdem steht linksgrüne Wirtschaftspolitik zur Zeit nicht hoch im Kurs und die marktradikale AfD ist unter Arbeitern beliebt.
Insbesondere im Osten gibt es eine ausgeprägte Marktaffinität bis tief in die Arbeiterschaft hinein. Wenn ein AfD-Repräsentant etwa in Zwickau hergeht und sagt: VW ist am Ende wegen der Planwirtschaft im Unternehmen, dann knüpft er damit unmittelbar an die DDR-Erfahrung an. Man hat gelernt, dass die Planwirtschaft, jedenfalls die Zentralverwaltungswirtschaft der DDR, nicht funktioniert. Das wird jetzt aufgegriffen und das schlichte Argument ist: Die Autos müssen sich am Markt bewähren, und wenn sie das nicht tun, dann ist es eben eine Fehlplanung des Unternehmens. Weil die Annahme verbreitet ist, dass sich Angebot und Nachfrage über den Preis selbst regulieren, dass nur der Profit zählt und alles andere unwichtig ist. Die Ingenieure haben das im Studium gelernt, das wird an die Arbeiter weitergegeben. Und so entsteht das Empfinden, dass in Berlin eine Laientruppe agiert, die fachlich keine Ahnung hat. "Von denen wollen wir uns nicht vorschreiben lassen, wie wir zu leben und zu produzieren haben." Das alles schafft Spielraum für die radikale Rechte. Für eine Alice Weidel, die im Bundestag auftritt und sagt: Unsere Industrie wird aus purer Ideologie einer fiktiven, auf Computersimulationen gegründeten Zukunft geopfert, obwohl wir doch wissen, dass am menschengemachten Klimawandel gar nicht viel dran ist.
Wenn ein kaputtgesparter Sozialstaat und aufgegebene Klimaziele als Brandbeschleuniger wirken und in der Krisenkonkurrenz die Mittel knapper werden, dürfte das der radikalen Rechten noch mehr Auftrieb verschaffen?
Das kann passieren, aber es ist kein zwangsläufiger Mechanismus. Was droht, ist, dass sich das Gefühl durchsetzt, dass es nicht für alle reicht und dass das Portemonnaie der Elon Musks dieser Welt unantastbar ist. Und das ist eine Gefahr, weil dann soziale Unterschiede in der Nachbarschaft zu Unterschieden aufgebaut werden, bei denen es um alles oder nichts geht. Dann wird die Tatsache, dass der Nachbar das größere Auto fährt, wichtiger als der riesige Abstand zwischen dem Facharbeiter und einem CEO, der das 234-Fache verdient. Und wenn es scheint, als ob hier Veränderungen außerhalb der Reichweite liegen, gedeiht die Botschaft, dass man das eigene Stück am Kuchen nur verteidigen kann, wenn man die Schleusen für den Zuzug zur – gleichwohl ungleichen – Wohlstandsinsel Deutschland möglichst eng macht. Das ist ja die Idee der radikalen Rechten. Und das bedeutet faktisch, dass der klassenspezifische Verteilungskonflikt Oben gegen Unten umgedeutet wird: In ein "die von außen", die angeblich in Sozialsysteme einwandern, ohne etwas dafür getan zu haben, gegen diejenigen, die wirklich was geleistet haben und sozusagen von den Neuankömmlingen ausgebeutet werden. Das ist das Deutungsmuster, das in Teilen der Arbeiterschaft inzwischen etabliert ist. Das ist die eine Richtung. Aber das muss ja nicht so bleiben.
Laut Umfragen empfindet ein sehr großer Teil der Menschen im Land die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen als ungerecht. Trotzdem scheint das Thema nicht den Wahlkampf zu dominieren.
Ich glaube, das größte Problem ist, dass man in der Arbeiterschaft den Mitte-links-Parteien kaum noch zutraut, an der ungerechten Verteilung etwas zu ändern. Um mal ein Beispiel zu nennen: Ich habe selbst geredet auf der Betriebsversammlung bei Opel-Eisenach vor Hunderten von Beschäftigten. Und es gab einen Punkt, für den ich überhaupt keinen Beifall bekommen habe. Nämlich als ich Bezug genommen habe auf Thomas Piketty und "tax the rich": Nutzen wir das Geld der Reichen zur Finanzierung des sozial-ökologischen Umbaus. Keine Hand hat sich gerührt, nicht einmal die von Gewerkschaftern. Das war der einzige Punkt, wo ich gar keinen Applaus bekommen habe. Und das zeigt, wie dick die Bretter sind, die da durchbohrt werden müssen.
In Ihrer Forschung kommen Sie zu der Einschätzung, dass beim zwischenmenschlichen Kontakt in Betrieben Emotionen eine bessere Chance haben durchzudringen als abstrakte Zahlen und Fakten. Ist das eine Strategie, die auch Parteien anwenden könnten?
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Reinhard Gunst
am 19.02.2025