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Südwest-SPD und Saskia Esken

Zum Abschied dürre Worte

Südwest-SPD und Saskia Esken: Zum Abschied dürre Worte
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Am Ende war egal, was aus der SPD-Bundesvorsitzenden wird. Der Umgang mit Saskia Esken hat viele Verlierer:innen produziert. Darunter nicht zuletzt die ehedem stolze und einflussreiche Südwest-SPD.

Sie hat es also doch von sich aus getan. "Nach sechs wunderbaren, aufregenden Jahren gebe ich Raum für die immer wieder notwendige Erneuerung unserer Partei", postet Saskia Esken am Sonntagabend. Es sei ihr eine Ehre gewesen, "als erste und einzige von den Mitgliedern gewählte Vorsitzende unsere Partei auf allen Ebenen, vom 111. Ortsvereinsjubiläum bis zum Landesparteitag, vom Juso BuKo bis Klima.Gerecht, kennenzulernen und zu begleiten". Eine Partei, der sie die Prädikate wunderbar, altehrwürdig und "trotz aller Unkenrufe quicklebendig" zuschreibt. 

Allein dass sie sich so lange an der Spitze der SPD halten konnte, wird von vielen Genossen und manchen Genossinnen nicht wirklich anerkannt. Nur Kurt Schumacher, Willy Brandt und Sigmar Gabriel dienten länger seit dem Zweiten Weltkrieg. Zusammen zuerst mit Norbert Walter-Borjans und dann Lars Klingbeil als Co-Vorsitzendem schaffte Esken es, die Partei in ruhigere Gewässer zu navigieren nach dem erzwungenen Abgang der glücklosen Vorgängerin Andrea Nahles. Und die 63-Jährige darf sich den Wahlerfolg von 2021 mit zugutehalten. Dennoch fehlten ihr in den vergangenen Wochen prominente Unterstützer:innen. Die Hängepartie ist jetzt vorüber: Ihr Mitvorsitzender ist Vizekanzler und neues Machtzentrum der Partei, sie selbst einfaches Mitglied des Bundestags.

Links und rechts

Wie in vielen SPD-Landesverbänden ist der Richtungsstreit in Baden-Württemberg seit Jahrzehnten eine Konstante. Erhard Eppler musste Anfang der 1980er, nachdem er gut 32 (!) Prozent der Stimmen in der Landtagswahl erzielte, in einem ebenfalls offenen Konflikt als Landes- und Fraktionschef den Hut nehmen. Danach ging es, mit Ausnahme einzelner Ausreißer, bei den Wahlen anhaltend bergab. Immer wurden – wie jetzt im Bund – neue Talsohlen als jetzt aber wirklich erreicht beschrieben. Der neue Staatssekretär Nils Schmid ist selbst Teil des Niedergangs. Nach 23 Prozent im Jahr 2011 und dem Eintritt in die grün-rote Koalition flog mit ihm als Parteivorsitzendem die Partei 2016 mit 14 Prozent aus der Regierung, weil es nicht mehr reichte mit dem bisherigen Partner. Auf den promovierten Finanzexperten folgte Leni Breymaier, wie Esken vom linken Flügel. Allerdings nicht, um zu bleiben. Denn Männer wetzten alsbald die Messer gegen die Gewerkschafterin und insbesondere gegen ihre offensive Generalsekretärin Luisa Boos. Etwa als die beiden im Herbst 2018 Gerüchte sofort austraten, die SPD könne an einem Wechsel in eine Deutschland-Koalition interessiert sein – weg von den Grünen, hin zu CDU und FDP. Das brachte Kritiker:innen erst recht gegen das Frauengespann an der Spitze auf. Nach nur zwei Jahren hatten die fertig, nachdem Lars Castellucci, einer aus der Gruppe der im Südwesten traditionell starken Netzwerker, eine Mitgliederbefragung ausgelöst hatte, die der Landesvorsitzenden Breymaier das Amt kostete. Nachfolger wurde Andreas Stoch, der nicht verhindern konnte, dass bei der nächsten Landtagswahl 2021 die SPD auf nurmehr elf Prozent abrutschte. In jüngsten Umfragen steht die Partei bei zwölf.  (jhw)

Immer wieder war in den vergangenen Wochen bundesweit zu lesen, dass die Aufsteigerin mit dem verschlungenen Berufsweg – Chauffeurin, Postbotin, Schreibkraft und dann Informatikerin – in ihrem Wahlkreis Calw im Schwarzwald bei der Bundestagswahl nur gut zwölf Prozent und somit ein Minus von fast sieben Prozent eingefahren hat. Zumindest letzteres liegt im Bundestrend, die AfD mit gut 25 Prozent in Calw dagegen deutlich darüber. Um deren Wählerschaft will sich die 63-Jährige vor Ort jetzt besonders kümmern, sagt sie zum Abschied.

Gute Freund:innen waren sie nie

Immer wieder war auch zu lesen, dass ihr gerade im eigenen Landesverband die Unterstützung fehlte. Das ist richtig, aber nichts Neues, denn schon 2019 im Duo mit Walter-Borjans wurde sie nicht vom eigenen, sondern vom nordrhein-westfälischen Landesverband in den Mitgliederentscheid geschickt. Wirklich gute Freund:innen waren die SPD-Spitzen im Südwesten und Esken nie. Aktuell war Generalsekretär Sascha Binder einer der wenigen, die früh aus der Deckung kamen, um die Bundesvorsitzende offen zu kritisieren. Per Zeitungsinterview hatte er ihr seine Unzufriedenheit ausgerichtet: "Wir haben sieben Kabinettsposten, und ich gebe Saskia Esken Recht, dass vier davon an Frauen gehen sollen, aber dann geht es danach, wer sind die vier Besten?"

Die Selfmade-Frau, wie die "Zeit" sie aufgrund ihrer Vita bezeichnete, zählte Binder nicht dazu. "Und das", beteuert er, "war keine Frage des Geschlechts." Um die programmatische Ausrichtung der Südwest-SPD geht und ging es sehr wohl. Vor allem aber war der Landesverband ein Durchlauferhitzer, über Jahrzehnte kamen Impulsgeber:innen von hier: im Nachkriegsdeutschland Schumacher, Carlo Schmid und Fritz Erler, dann Alex Möller, der erste sozialdemokratische Bundesfinanzminister überhaupt, Erhard Eppler, der umwelt- und friedenspolitische Vordenker, Volker Hauff, Herta Däubler-Gmelin, Walter Riester oder Hermann Scheer. Vergangene Zeiten – diesmal blieben nur drei Staatssekretärsposten in den Ministerien für Verteidigung, Umwelt und Soziales. In Binders Bestenauslese jedenfalls schaffte es überhaupt niemand aus Baden-Württemberg.

Schmerzlich las sich hierzulande denn auch die Mail des neuen SPD-Bundestagsfraktionschefs Matthias Miersch aus seinen letzten Tagen als Generalsekretär mit der Aufforderung: "Lerne das Regierungsteam jetzt näher kennen." Denn abgesehen von den Promis Klingbeil (Finanzen), Boris Pistorius (Verteidigung) und Bärbel Bas (Arbeit und Soziales) kamen nur Unbekannte zum Zuge, im Kabinett und sogar in der Parteispitze. Der neue Generalsekretär heißt Tim Klüssendorf, ist ein Linker mit Geburtsort und Wahlkreis Lübeck – weit entfernt von Baden-Württemberg.

Gesundbeten und Aufarbeiten im Schnelldurchlauf

Gegen den Bedeutungsverlust half und hilft in der Logik vieler Roter schon seit Jahren vornehmlich die Methode Gesundbeten. Martin Gerster, Sprecher der gerade noch 13 Köpfe zählenden baden-württembergischen SPD-Landesgruppe im Bundestag, spricht von "besonders verantwortungsvollen Positionen" für die Südwest-SPD. Dabei muss sich gerade mit Nils Schmid ein mit summa cum laude promovierter Finanzexperte, früherer Landesvorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident mit dem Posten als Staatssekretär im Ministerium von Boris Pistorius zufrieden geben.

Nach jedem neuen Nackenschlag, nach jedem Minus wurden Analyse und Aufarbeitung versprochen, vieles verlief im Sande. Auch Miersch gibt in seiner Mail das Versprechen, das historisch schlechteste Ergebnis auf Bundesebene zu analysieren. Im Schnelldurchlauf allerdings, denn schon beim ordentlichen Bundesparteitag im Juni 2025 soll "ein Fahrplan für die strategische, programmatische und organisatorische Aufstellung der SPD für die Bundestagswahl 2029" präsentiert werden.

Und das, obwohl die gesamte Partei vor einem eigentlich äußerst erklärungsbedürftigen Strategiewechsel steht. Gerade war noch von entscheidender Bedeutung, dass beide Parteivorsitzenden nicht in der Regierung sind, um sich mit genügend Beinfreiheit entlang des roten Markenkerns zu profilieren. Jetzt wird die Verankerung der neuen Führung im Kabinett mit einem Mal als besonders positiv herausgestrichen. Ähnlich interessant dürfte für die Sozialdemokrat:innen sein, herauszufinden, wieso sich links von ihnen in nur wenigen Wochen so viel Platz eröffnete, dass die Linke entgegen allen Erwartungen wieder in den Bundestag einziehen konnte.

Esken taugt nicht als Bundespräsidentin

Es ist also beim Bundesparteitag im Juni manch hitzige Debatte zu erwarten, über das programmatische Profil der Sozialdemokratie in einem Kabinett Merz wie über Eskens erzwungenen Abgang. Mit Verjüngung ist ihre Ablösung durch Bärbel Bas nicht zu erklären. Denn die frühere Bundestagspräsidentin ist auch schon 57. Apropos Präsidentin: Manche Spatzen pfeifen von den Berliner Dächern, dass die Nachfolge von Frank-Walter Steinmeier eine nicht unwesentliche Rolle in der Rochade gespielt haben könnte. Demnach haben die Strateg:innen im Willy-Brandt-Haus Esken nicht zugetraut, erste Bundespräsidentin zu werden. Bas hingegen schon.

Die Genoss:innen in Baden-Württemberg haben erst einmal einen komplizierten Landtagswahlkampf vor der Brust, träumen von einer Rückkehr an den Kabinettstisch. Nur drei Mal hat die SPD in Baden-Württemberg seit 1952 bisher mitregiert. Stoch selber traut sich auch zu, das Amt des Regierungschefs auszufüllen, was allerdings eine wenig wahrscheinliche historische Aufholjagd in den kommenden Monaten voraussetzen würde. Alle aktuellen Verwerfungen will die Landesspitze so schnell wie möglich hinter sich lassen. Esken wird wenig verklausuliert ein knappes "Und tschüss" hinterhergerufen. Der Landes- und Fraktionschef bemüht das falsche Bild vom Generationswechsel, den sie an der Parteispitze ermöglicht habe, und zollt ihr in dürren Worten "größten Respekt". Ganz andere Töne schlagen ihren designierten Nachfolger:innen entgegen. Von einem starken Team spricht Stoch, das die Partei in ihrer Breite repräsentiere und "meine volle Unterstützung hat". Der Arbeitsauftrag, gerade mit Blick auf den Urnengang am 8. März 2026, ist erteilt: Mit der Aufarbeitung der Bundestagswahl und der programmatischen Neuaufstellung der Partei habe gerade der neue Generalsekretär große Aufgaben vor sich, sagt der SPD-Spitzenkandidat. Mal sehen, ob und wie die notorische Schwäche im Südwesten dabei zur Sprache kommt. Und vor allem, welches Gegengift zurück in frühere lichte Höhen führen könnte.

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6 Kommentare verfügbar

  • Klingbeil an den Pranger!
    am 15.05.2025
    Antworten
    Leute, lasst uns nicht über das/die Opfer reden, sondern über den/die TÄTER! Sie gehören an den Pranger gestellt!
    Ich klaue mir von der taz "Vom Klingbeil erschlagen": Etwas Schäbigeres gibt es kaum, als das, was dieser Herr, nein, nicht Herr, dieser Mensch mit seiner Co-Vorsitzenden Esken…
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