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Zimmertheater Tübingen

Der Rotstift trifft Kultur zuerst

Zimmertheater Tübingen: Der Rotstift trifft Kultur zuerst
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Die Sparwelle erfasst den Südwesten: Dem Tübinger Zimmertheater droht die Schließung. Fördervereine stellen sich gegen eine Politik, die Kultur abwertet.

Ein neues Jahr beginnt mit Sparplänen, die nicht nur den Theatern zu schaffen machen. Rigorose Kürzungen drohen im Kulturbereich – in Berlin, in Mannheim, überall, nun auch in Tübingen. Dort fürchtet das Zimmertheater gar um seine Existenz. Schon im Dezember sind Absichten der Stadt durchgesickert, den Zuschuss zum Betrieb des Theaters um 290.000 Euro zu kürzen – also um mehr als ein Viertel seines aktuellen Etats von 1,09 Millionen Euro. Die Intendanz des Zimmertheaters sieht so keine Möglichkeit, ihre Arbeit fortzusetzen.

Andere Tübinger Kulturinstitutionen trifft der Rotstift noch nicht. Dennoch haben sich Ende vergangener Woche sieben Trägervereine aus Tübingen und Umgebung zusammengeschlossen und einen offenen Brief an den Gemeinderat adressiert. Die Unverhältnismäßigkeit, mit der die Sparpläne ausschließlich zulasten des Zimmertheaters gehen sollen, empört sie und die Tatsache, dass wiederum der Kulturbereich ins Visier der Sparpolitik gerät. Nicht von ungefähr kamen Erinnerungen auf, als die Trägervereine am vergangenen Freitag ihren offenen Brief in den Räumen der Tübinger Volkshochschule vorstellten: Schon einmal haben sie sich zusammengefunden – aus vergleichbarem Anlass. Vor vier Jahren sorgte Corona dafür, dass Kultur nicht mehr als "systemrelevant" galt. Die Schäden sind bis heute spürbar.

Die LTT-Freunde, Förderverein des Landestheaters Tübingen, der Tonne-Theaterverein in Reutlingen, das Tübinger Sudhaus, das Reutlinger Kulturzentrum franz.K, der Freundeskreis der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, der Förderverein des Theaters Lindenhof in Melchingen und der Förder- und Trägerverein des Theaters am Torbogen Rottenburg haben den offen Brief unterzeichnet. Ihnen ist bewusst, dass Gelder knapp sind und auch sie halten Sparmaßnahmen für notwendig. Sie fordern aber ein sorgsames Abwägen und wenden sich gegen eine Haltung, die Kultur als verzichtbares Luxusgut ansieht. In ihrem Brief heißt es: "Wir denken, dass es sich nicht um eine reine Tübinger Herausforderung handelt, sondern dass jeder Kulturbetrieb im ganzen Land potenziell vor vergleichbaren Problemen stehen könnte." Und: "Die Finanzierung der Kultur steht im Moment mit vielen anderen wichtigen Bereichen in einem außerordentlichen Wettbewerb." In der Güterabwägung brauche es daher einen scharfen Blick darauf, "was mit welcher Entscheidung bewirkt wird. Über Jahrzehnte gewachsene Strukturen sind, einmal zerstört, nur über lange Zeiträume hinweg wiederherzustellen – oder nie mehr."

Bürgermeisterin droht: Andere machen's billiger

Das Tübinger Zimmertheater wurde 1958 gegründet von einer freien Theatergruppe, die im Haus der Bursagasse 16 eine feste Spielstätte fand. Es ist eines der kleinsten Stadttheater Deutschlands. 2018 übernahmen Dieter und Peer Ripberger die Leitung des Theaters und gründeten im Zimmertheater das "Institut für theatrale Zukunftsforschung", kurz ITZ. Zu sehen waren zunächst vor allem Uraufführungen, Stücke von Peer Ripberger, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Das Programm des Theaters wandelte sich zum Erzählerischen, die Theaterserie "Im Taumel des Zorns", die die Spielzeit 2023/2024 ausfüllte, wurde ein großer Erfolg. Das Zimmertheater präsentiert auch Stücke junger Theaterautor:innen, wirkt auf unterschiedliche Weise ins Tübinger Stadtleben hinein, zieht ein vorwiegend junges Publikum an, bespielt neben zwei kleinen Sälen in der Bursagasse das ehemalige Tübinger Löwen-Kino. Und: Seit 2018 ist es Mitglied im Deutschen Bühnenverein.

Mit dem Eintritt in den Bühnenverein unterliegt das Zimmertheater der Tarifbindung. Personalkosten sind also gestiegen. Bis 2022 arbeitete das Haus mit einem Etat von 650.000 und war damit deutlich unterfinanziert. Dann erst kam die Erhöhung des Fördersatzes durch die Stadt. Als ein Geschenk, da sind sich die Tübinger Trägervereine einig, sollte sie nicht betrachtet werden, vielmehr als eine längst überfällige Anerkennung der Theaterarbeit. Dass im Zimmertheater über Jahrzehnte hin am Rande der Selbstausbeutung gearbeitet wurde, das merkte Matthias Schmied, Verwaltungsleiter am Reutlinger Theater Tonne, bereits im Dezember in einem Gespräch mit dem "Reutlinger Generalanzeiger" an. Am Tag bevor Schmied und die Vertreter der Trägervereine ihren offenen Brief vorlegten, äußerte die Tübinger Kulturbürgermeisterin Gundula Schäfer-Vogel (SPD) in einem Gespräch mit dem "Tübinger Tagblatt", dass es "tarifgebundene Stellen nicht nur im Bereich Schauspiel, sondern auch im Marketing und in der Technik" gebe. "Wenn die Intendanz sagt, ohne das sei es nicht zu machen, ist eine berechtigte Frage, ob es nicht jemand anderen gibt, der sagt, das traue ich mir zu." Ein Satz, den Kulturtreibende in der Region als Drohung verstehen.

Umgesetzt werden sollen die Kürzungen beim Zimmertheater im Jahr 2026. "Der Spielbetrieb ist noch für zwei Jahre gesichert", behauptet Schäfer-Vogel. Das Zimmertheater sieht das anders. "Die geplante Kürzung der städtischen Förderung wird unweigerlich zur Einstellung des Spielbetriebs im Frühjahr 2026 führen, da kaum Budget zur Kunstproduktion übrig bleibt", heißt es in einer Pressemitteilung des Theaters vom 9. Januar. "Die aktuellen Berechnungen zeigen, dass das Personal um mindestens acht bis hin zu 15 Stellen abgebaut werden muss – bei aktuell 21 Planstellen. Die Größe dieser Einsparungen beeinflusst wiederum, wann und ob der Spielbetrieb im Jahr 2027 wieder aufgenommen werden kann."

"Kunst und Kultur sind Lebensmittel"

Ob dann Team und Ensemble des "Instituts für Zukunftsforschung" in dieser Form noch bestehen, ist zumindest fraglich. Neben dem Zimmertheater findet sich in Tübingen auch die Schulsozialarbeit auf der Sparliste der Stadt wieder. Das Landestheater Tübingen (LTT) erhält indes 70 Prozent seiner Mittel vom Land Baden-Württemberg – hier empfindet die Stadt ihren Förderanteil von 30 Prozent als bindend. Für Jochen Gewecke, Vorsitzender der Freunde des LTT, geht es beim Fall des Zimmertheaters auch um die Bewertung von Kultur durch politische Entscheidungsträger:innen generell. "Jeder einzelne Punkt, der gekürzt wird", sagt er, "ist eine Entscheidungsfrage und immer eine Bewertung. Was wir machen, das ist kein Luxus. Kunst und Kultur sind Lebensmittel."

Matthias Xander, beim franz.K in Reutlingen zuständig für Programm und Marketing, spricht kulturellen Angeboten eine demokratiefördernde Funktion zu, die dem Rechtsruck in der Gesellschaft entgegensteht. Er fürchtet aber auch, dass die Schließung des Zimmertheaters für Tübingen keinen geringen Imageverlust bedeuten würde. "Wir sehen mit großer Sorge, dass ein Kahlschlag die Kulturszene bedroht", sagt er.

Der Deutsche Bühnenverein steht, wie Marlene Bärenfänger, Referentin für Online-Kommunikation, mitteilt, in engem Kontakt mit dem Tübinger Theater: "Wir verfolgen die Entwicklung mit Sorge." Allerdings sei Tübingen nicht der einzige Ort des Geschehens. "Zu den verheerenden Kulturkürzungen in Berlin und der Frage, was diese für die Kulturlandschaft in Deutschland bedeuten", teilt Bärenfänger mit, werde Carsten Brosda, Präsident des Bühnenvereins, an diesem Mittwoch bei einer Veranstaltung im Deutschen Theater Berlin mit der Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters (CDU) und mit Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung der Grünen Fraktion Berlin, diskutieren.

In Tübingen fällt der Tag der Entscheidung auf den 30. Januar. Dann sind dort die interfraktionellen Gespräche abgeschlossen, dann tagt der Gemeinderat. "Wir bitten Sie als Entscheidungsfindende, mit dem kulturellen Erbe in der Stadt Tübingen verantwortungsvoll umzugehen", schreiben die Kulturvereine an die Stadt. Das klingt fast flehentlich. Prioritäten müssen gesetzt werden in einer Stadt, in der das Deutschlandticket aufgrund städtischer Förderungen um 13 Euro günstiger angeboten wird als im restlichen Deutschland. Auch nach der Preiserhöhung zum 1. Januar auf 58 Euro bezahlen die Tübinger:innen lediglich 45 Euro für dieses Ticket. Die eine oder andere Theaterkarte können sie sich künftig möglicherweise ebenfalls sparen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Bähr
    am 18.01.2025
    Antworten
    Dieses dem Kulturprekariat-in-den-Rücken-Fallen findet seine krudkrause Entsprechung in Hubertus Heils ersichtlicher Gerührtheit, konkret in vorderster Reihe anlässlich Wahlkampfauftakts zu Wolfsburg am 17.01.2025.

    Ins Stammbuch derlei von einem Ex-Zimmertheater-Kartenabreißer, Regieassistenten…
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