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Bezahlkarte für Geflüchtete

Stimmungsmache in der Erstaufnahme

Bezahlkarte für Geflüchtete: Stimmungsmache in der Erstaufnahme
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Die Bezahlkarte für Geflüchtete wird nun auch in Baden-Württemberg eingeführt. Den Start nutzte Staatssekretär Siegfried Lorek, um Misstrauen gegen Asylbewerber:innen zu säen und Pseudo-Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Dafür reiste Siegfried Lorek (CDU) persönlich aus Stuttgart an. Der Staatssekretär aus dem Justizministerium stellte sich am vergangenen Montag hinter den Tresen der Erstaufnahme in Eggenstein-Leopoldshafen bei Karlsruhe, um im Blitzlichtgewitter die ersten baden-württembergischen Bezahlkarten an Asylbewerber:innen auszugeben. Das tat er mehrmals, denn in dem kleinen Raum hatten die viele Film- und Fotojournalist:innen nicht alle gleichzeitig Platz. Nach einer Viertelstunde überließ Lorek die Arbeit dann wieder den Fachkräften der Erstaufnahme und widmete sich bei Kaffee und Butterbrezeln der Journalistenschar.

Dass Bezahlkarten für Geflüchtete eingeführt werden können, war im November gemeinsam mit den Ministerpräsident:innen beschlossen worden. Statt jeden Monat Bargeld in die Hand gedrückt zu bekommen, sollten Asylbewerber:innen mit einer Karte bezahlen. Mecklenburg-Vorpommern und Bayern führten eine eigene Karte ein, die anderen 14 Bundesländer brauchten dann ein Jahr, um eine gemeinsame Karte zu entwickeln. Der Auftrag wurde europaweit ausgeschrieben, der Zuschlag erteilt, ein unterlegener Bewerber klagte (bekam nicht Recht), und nun geht es im Südwesten los. Die Erstaufnahme bei Karlsruhe ist Vorreiter. Bis die Karte in ganz Baden-Württemberg eingeführt ist, vergeht ein Jahr, sagt Lorek. Kreis für Kreis würde nun versorgt.

Die serbische Familie Velic – Vater, Mutter, 18-jährige Tochter – gehört am Montag zu den ersten, die ihre Karten bekommen. Der Vater Sinisa findet's gut. "Zu Hause haben wir das nicht." Sie seien Roma, sagt er. Bei der Karte ist ihm auch wichtig: "Sie ist sicherer als Geld, das kann geklaut werden." Er verzieht ärgerlich das Gesicht. Seit zwei Monaten sind die drei in der Erstaufnahme. Die Tochter, die gut englisch und französisch spricht, würde gerne zur Schule gehen, denn am liebsten würde sie Tierpflegerin werden. Der Vater spricht französisch und recht gut deutsch. Denn: "Ich liebe die deutsche Sprache." Er sei LKW-Fahrer, erzählt er. "Bis 20 Tonnen. Ich kann alles fahren. Sofort."

Dass er diese Chance bekommt, ist eher unwahrscheinlich. In der Erstaufnahme Eggenstein-Leopoldshafen werden vor allem Geflüchtete aus Osteuropa, der Türkei und Georgien untergebracht – Menschen, die schlechte Aussichten auf dauerhafte Aufnahme haben. 132 Männer, Frauen und Kinder leben hier in blauen, grünen oder gelben Containerbauten, je zehn in einer Reihe, zwei Stockwerke hoch. Dazu Technikcontainer, zwei Zelte, vor dem Verwaltungscontainer sind ein paar Tannenzweige an einen Pfahl gebunden, geschmückt mit einer roten Zipfelmütze. Die Einrichtung steht am Waldrand, an diesem Tag der Erstausgabe der Bezahlkarte sorgt zu den fast kahlen Bäumen noch graues, feuchtes Wetter für Trostlosigkeit. Um die 40 Frauen und Männer stehen herum, beobachten die eintreffenden Journalist:innen und die Sicherheitsmänner, die in gelben Westen und mit Walkietalkies am Mund nervös hin und her laufen. Ob wegen der Presseleute oder des Staatssekretärs ist nicht ersichtlich.

Zu Hause Elend, hier Bevormundung

Sicherlich nicht nervös sind die Wachleute wegen Jürgen Bode vom Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft. Der gemütlich wirkende, bärtige Mann versucht, in der Erstaufnahme Leute zu qualifizieren oder deren Qualifikationen herauszufinden und zu verbessern – und sei es nur, damit sie in ihrer Heimat besser klar kommen. Die Ehefrau von Sinisa Velic zum Beispiel nehme an einem Nähkurs teil. "Die Familie ist außergewöhnlich", sagt Bode, der weiß: "Die Zustände für Roma auf dem Balkan sind erbärmlich." Er erzählt, dass es einige Bewohner in der Einrichtung gibt, die schon eingewilligt hätten, wieder nach Hause zu gehen. Manche seien schon zum zweiten oder dritten Mal da. Von der Bezahlkarte hält Bode nicht so viel. Er konnte bereits feststellen, dass die notwendige Online-Registrierung der Betroffenen und ihrer Karte nicht ohne sei: "Zu zweit haben wir in zwei Stunden vier Leute geschafft."

Die Bezahlkarte ist eine Visa-Debitkarte und funktioniert angeblich wie eine normale Kreditkarte. Allerdings muss das Geschäft, wo die Geflüchteten einkaufen, Visa auch annehmen. Wer schon von der eigenen Bank mit einer Visa-Debitkarte versorgt worden ist, weiß, dass es eine ganze Reihe von Geschäften gibt, die keine Lust auf Visa haben, weil zu teuer. Doch Einheimische haben in der Regel ein Girokonto, von dem sie Geld abheben können. Das haben Asylbewerber:innen meist nicht, und Bargeld dürfen sie mit der Karte nur beschränkt abheben. Pro Monat erhält ein:e einzelne:r Asylbewerber:in in der Erstaufnahme in der Regel 150 Euro Taschengeld. Das kommt nur auf die Karte, abheben aber darf man maximal 50 Euro, überweisen kann man damit gar nicht, zudem sind die Funktionen im Internet eingeschränkt.

Politik ist, einfach mal was rauszuhauen

10,7 Millionen Euro sind im baden-württembergischen Doppelhaushalt für die Bezahlkarte eingestellt, wie hoch die Kosten genau werden, kann auch Lorek nicht sagen. Das hänge davon ab, wie viele Menschen kämen. In diesem Jahr rechne man in Baden-Württemberg mit etwa 20.000. Doch über Kosten möchte er sichtlich ungern reden, lieber über seine politische Einstellung gegenüber Geflüchteten. Mit der Karte, sagt er, werde "illegale Migration unattraktiver". Damit suggeriert der Christdemokrat, dass Menschen verbrecherisch flüchten. Doch Flucht ist Flucht, selbstverständlich nicht illegal, und die Genfer Flüchtlingskonvention schreibt vor, dass schutzsuchende Personen nicht wegen eines unerlaubten Grenzübertritts bestraft werden dürfen. Aber Lorek setzt noch einen drauf: Die Bezahlkarte, so behauptet er, helfe bei der Begrenzung der Migration. Denn man habe festgestellt, dass "es relativ viele Rücküberweisungen in Heimatländer gegeben hat, Menschen also mit dem, was sie hier als Existenzminimum bekommen, irgendwelche Schleusernetzwerke bezahlt haben", sagt Lorek. "Und das wird unterbunden."

Nachfrage: Wie viel Geld haben denn Asylbewerber:innen oder in Deutschland normal arbeitende Menschen aus anderen Ländern in ihre Heimatländer überwiesen? Lorek: "Das wissen wir nicht." Das lässt sich nämlich gar nicht feststellen. Die Bundesbank schätzt, dass 2023 etwa 6,9 Milliarden Euro als Rücküberweisungen ins Ausland gingen, davon der allergrößte Teil in die Türkei, nach Rumänien, in die Ukraine und nach Polen – entsprechend dem Anteil der hiesigen Arbeitsmigrant:innen. Die Behauptung von Lorek ist also schlicht Propaganda. Und dass Asylbewerber:innen von den 150 Euro Taschengeld Schleuser bezahlen, ist unbewiesen. Anja Bartels vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg erklärt gegenüber "tagesschau.de", Schleuser würden keine Kredite vergeben, sondern sich im Voraus bezahlen lassen. Die Bezahlkarte sei ein Paradebeispiel für die aktuelle Migrationspolitik, die sich nicht an Fakten orientiere, sondern dazu beitrage, Vorurteile über geflüchtete Menschen zu schüren.

In Hannover geht Digitalisierung auch gerecht

Um politische Profilierung geht es offensichtlich auch, wie der Bezahlkartentermin mit Staatssekretär Lorek zeigt. Andere beim Pressegespräch Anwesende verweisen eher auf Digitalisierung und Entlastung. So betont Jochen Zühlcke vom Regierungspräsidium Karlsruhe, dass die Karte den Verwaltungsaufwand verringere. Statt Bargeld die Karte auszugeben, entlaste Mitarbeiter:innen. Geplant sei, dass nun zunächst in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen, anschließend in den Stadt- und Landkreisen die Bezahlkarte angewandt wird. Auch Joerg Schwitalla von der Publk GmbH, die den Auftrag für die Bezahlkarte bekommen hat, unterstreicht, es ginge um Digitalisierung und Vereinfachung, und führt als Beispiel Hannover an, wo seine Firma bereits im Dezember 2023 aktiv war. Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) wollte mit der SocialCard vor allem Teilhabe fördern und Verwaltung verschlanken. Die SocialCard gab es nicht nur für Asylbewerber:innen sondern für alle Sozialhilfeempfänger:innen ohne Konto, und man konnte mit ihr alles machen – ohne Abhebegrenzen oder irgendwelche Einschränkungen bezüglich Online-Handel oder ähnliches. Sechs Beschäftigte in der Verwaltung seien so von der aufwendigen Bargeldauszahlung befreit worden und konnten sich sinnvolleren Aufgaben widmen, schreibt die Stadt auf ihrer Website.

Doch damit ist bald Schluss. Denn nun führt auch Niedersachsen die Bezahlkarte für Geflüchtete ein, und deshalb muss Hannover sein System wahrscheinlich umbauen.

Gerichte sind beschäftigt

In der Erstaufnahme bei Karlsruhe beeilt sich dann auch Staatssekretär Lorek zu erklären, die Karte zeige, dass "moderne Technik und effiziente Verwaltung funktionieren". Ob dem so wird, muss sich noch erweisen. So darf die politisch festgelegte Obergrenze von 50 Euro für Bargeldabhebungen nicht pauschal festgelegt werden. Das haben bereits Sozialgerichte in Nürnberg und Hamburg festgestellt. Vielmehr, so die Urteile, müssten individuelle Umstände, zum Beispiel Schwangerschaft, berücksichtigt werden.

Warum gibt es die 50-Euro-Grenze in Baden-Württemberg nun trotzdem? Lorek glaubt, man sei auf der sicheren Seite, denn es könnte auf Antrag auch mehr Bargeld gestellt werden. Wo müssten Geflüchtete das beantragen? "Bei der Ausländerbehörde." Gibt es dafür ein Antragsformular? Lorek wird ärgerlich. "Da genügt zur Not wohl eine E-Mail." Die Entscheidung, ob ein Geflüchteter mehr Geld abheben darf, soll also in der persönlichen Einschätzung eines Behördenmitarbeiters liegen. Ob das vor Gericht hält, wird sich sicherlich noch herausstellen.

Bundesweit gibt es übrigens trotz der Einigung von 14 Ländern weiterhin Unterschiede. Thüringen und Bremen wollen 120 Euro Barabhebung zulassen, manche Bundesländer erlauben pro minderjährigem Kind zehn Euro in bar, andere 50 Euro. In Nordrhein-Westfalen wird die Karte zunächst nur in den Landesunterkünften eingeführt, ob die Kommunen Karte oder Bargeld ausgeben, dürfen sie selbst bestimmen.

Es könnte so einfach sein, wie das Beispiel Hannover zeigt: Entlastung für die Behörden durch Digitalisierung und eine ganz normale Bezahlkarte mit allen Rechten für die Geflüchteten. Doch darum geht es eben nicht. Es geht um Kontrolle, um die Unterstellung, dass Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten, per se zu misstrauen ist. Und um Wahlkampf.

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1 Kommentar verfügbar

  • Cathrin Ramelow
    am 04.12.2024
    Antworten
    Das liegt wohl daran, dass Menschen in diesem Land grundsätzlich misstraut wird.
    Ich habe das zuletzt als Angestellte erlebt wo allen unterstellt wurde, dass sie eigentlich den Arbeitgeber nur beschei... wollen.
    Ich könnte mit so einer Einstellung nicht leben, aber viele tun dies anscheinend sehr…
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