KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

ÖPNV in Baden-Württemberg

Weniger statt mehr Busse und Bahnen

ÖPNV in Baden-Württemberg: Weniger statt mehr Busse und Bahnen
|

Datum:

Es wird nicht besser mit dem öffentlichen Nahverkehr in Baden-Württemberg. Zwar hält die Landesregierung weiterhin an ihrem Ziel fest, den ÖPNV auszubauen, doch tatsächlich werden auch in großen Städten Verbindungen eher gestrichen.

Bis 2030 will die baden-württembergische Landesregierung den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auf Schiene und Straße verdoppeln, und vor drei Jahren wähnte sich Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bei seinem ambitionierten Ziel noch auf einem guten Weg. "Mit der ÖPNV-Strategie 2030 sollen alle relevanten Akteure einen klaren Fahrplan haben, wie wir gemeinsam das Verdopplungsziel erreichen", sagte Hermann im Januar 2021. Zu dieser Strategie gehörten bessere Pünktlichkeit, kürzere Reisezeiten und verständliche Tarife. Das zentrale Element der Strategie war jedoch ein anderes, stellte der Minister klar: "Der wichtigste Hebel für den Ausbau des ÖPNV ist eine deutliche Verbesserung des ÖPNV-Angebots."

Doch statt mehr Verbindungen mit Bus und Bahn gibt es aktuell vielerorts weniger. Ende Oktober 2024 kündigten die beiden Karlsruher Verkehrsunternehmen Albtal Verkehrsgesellschaft (AVG) und Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) eine Reduzierung der Takte und Fahrten an. Ursache sei der "Fachkräftemangel", begründeten die Unternehmen den Schritt. Die "gezielte Ausdünnung" der Verbindungen solle "zur Stabilisierung des Betriebs" beitragen. Durch zu wenig Personal seien in den vergangenen Monaten immer wieder Fahrten ausgefallen. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Rhein-Neckar-Verkehr (RNV) in der Region Mannheim deswegen ihr Fahrtenangebot reduziert.

Die öffentlichen Verkehrsunternehmen haben nach Angaben des Branchenverbands besonders stark mit Personalmangel zu kämpfen. Bis 2030 würden die Unternehmen demnach bundesweit 80.000 Baby-Boomer in den Ruhestand schicken müssen. "Die Bus- und Bahnunternehmen haben einen besonders hohen Boomer-Anteil, da die Branche über Jahre hinweg wegen politischer Sparvorgaben kaum Nachwuchs einstellen konnte", heißt es vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).

Rückgang der Fahrgastzahlen

Zu wenig Personal ist aber längst nicht das einzige Hindernis beim Ausbau des ÖPNV. So ist der coronabedingte Rückgang der Fahrgastzahlen noch immer nicht ganz aufgeholt. Auch das Bus- und Bahnangebot konnte bislang bei Weitem nicht so stark ausgebaut werden, wie es für das Ziel der Landesregierung notwendig wäre. Nach den zuletzt veröffentlichten Zahlen ist die Fahrleistung, also die Anzahl der gefahrenen Kilometer im ÖPNV, von 2010 bis 2022 gerade mal um zwei Prozent gewachsen.

Zu wenig Busse und Bahnen bedeutet, dass die Fahrgäste gerade in Stoßzeiten dicht an dicht stehen. Das wiederum macht die Öffentlichen nicht gerade attraktiver und so dreht sich die Spirale weiter nach unten. Um mehr Fahrgäste anzulocken, müsste also erst in Fahrzeuge und Personal investiert werden. Das aber kostet Geld.

Strukturelles Defizit der Betreiber

Für Investitionen, aber auch für den laufenden Betrieb sind die Verkehrsunternehmen auf öffentliche Mittel angewiesen. "Grundsätzlich kann in keiner Stadt der ÖPNV mit den Fahrgeldeinnahmen finanziert werden", sagt der Sprecher der Verkehrsbetriebe Karlsruhe. Vielmehr tragen fast alle öffentlichen Betreiber von Stadtbahnen und Bussen ein großes Defizit vor sich her. Die Stuttgarter Straßenbahnen und Busse (SSB) wiesen 2023 ein Defizit von 38 Millionen Euro aus, die Freiburger VAG ein Minus von 23 Millionen Euro und in Karlsruhe musste die Stadt im vergangenen Jahr sogar einen Verlust von knapp 96 Millionen Euro übernehmen. Dagegen wirken die sechs Millionen, die die Stadt Mannheim als Zuschussbedarf für den Rhein-Neckar-Verkehr (RNV) ausweist vergleichsweise gering. Die Nachbarstadt Heidelberg wendete in den vergangenen Jahren mehr als 20 Millionen Euro dafür auf. "Der ÖPNV ist eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge", weiß auch das Verkehrsministerium. Allein durch Ticketverkäufe sei dies nicht zu finanzieren. Das gelte besonders durch die wachsende Bedeutung aufgrund der Herausforderungen des Klimawandels.

Doch beim Thema Geld hören die Gemeinsamkeiten auf. "Grundsätzlich ist die Finanzierung ein Problem, da die Kommunen hiermit alleine gelassen werden", erneuert der Sprecher der Verkehrsbetriebe Karlsruhe eine Kritik, die auch von Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) kommt. Der Mittelbedarf ist schon ohne Investitionen enorm. Bundesweit rechnet der Verband Deutscher Verkehsunternehmen (VDV) mit einem zusätzlichen Bedarf von knapp 15 Milliarden Euro, um den laufenden Betrieb hin zu einer Verkehrswende 2030 zu finanzieren. Bislang seien allerdings nur knapp vier Milliarden Euro finanziert.

Verantwortungs-Pingpong zwischen Land und Bund

Das Verkehrsministerium gibt sich zurückhaltend, wenn es um die Finanzierung für die eigenen Ziele geht. "Die Finanzlage ist bei allen öffentlichen Haushalten derzeit angespannt", heißt es dort. Das Land trage bereits 400 Millionen Euro der insgesamt 942 Millionen Euro, die für den ÖPNV in Baden-Württemberg benötigt werden. Für die notwendigen Investitionen dürfte das nicht reichen. Also befindet das Land, der Bund müsse einspringen. "Die erforderliche Verkehrswende wird ein Kraftakt, den Bund, Länder und Kommunen nur gemeinsam bewältigen können. Wir setzen uns daher nachdrücklich gegenüber dem Bund für eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel ein", so das Landesverkehrsministerium.

Die Verantwortung weist der Bund postwendend zurück. "Für die Planung, Organisation und Finanzierung des Stadt- und Regionalverkehrs sind die Länder und Kommunen zuständig", schreibt das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing (parteilos). "Obwohl Angelegenheit der Länder" habe der Bund diesen zuletzt jährlich knapp zehn Millionen Euro für den ÖPNV gezahlt. Diese Regionalisierungsmittel sollen jährlich um 1,8 Prozent steigen. Angesichts gestiegener Energie-, Personal- und Materialkosten reicht dies freilich nicht aus, um ein Plus zu generieren.

Verkehrswende nicht in Sicht

Ideen, um mehr Menschen auf die Schiene zu bekommen, seien vorhanden, heißt es von den Verkehrsunternehmen, ohne eine Finanzierung durch Bund und Land seien sie aber nicht umsetzbar. Bei den Verkehrsbetrieben Karslruhe werden stattdessen weitere Einsparungen diskutiert. Den Takt von zehn auf 30 Minuten zu strecken oder die Streichung ganzer Linien können in Karlsruhe nicht mehr ausgeschlossen werden. Neben dem strukturellen Defizit schlagen in der Stadt in den kommenden Jahren auch die millionenschweren Zusatzkosten durch den neuen Stadtbahntunnel zu Buche. "Die Stadt hat die VBK gebeten, ein Sparkonzept zu erarbeiten, um verschiedene Optionen durchzuspielen", bestätigt der Sprecher die Überlegungen, das Angebot zu reduzieren.

Weniger Bahnen und Busse fahren zu lassen, bringt allerdings kaum Einsparungen, wie man aus Erfahrung beim VRN in Mannheim weiß. "Der Fixkostenanteil für Fahrzeuge, Schienen, Betriebshöfe, Gebäude, Verwaltung und Personal blieb nahezu unverändert", sagt ein Sprecher. Zudem hätten Subunternehmen beauftragt werden müssen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, was zusätzliche Kosten verursachte.

Offiziell hält das Verkehrsministerium an seinem Ziel für 2030 fest, obwohl es immer unerreichbarer scheint. "Um eine Verdoppelung der Nachfrage zu erreichen, sind deutliche und kontinuierliche Zuwächse erforderlich", heißt es aus dem Ministerium, das auf Erkenntnisse aus zwei Studien im kommenden Jahr hofft. Klar ist auch ohne Studien: Für eine wirkliche Verkehrswende bräuchte es ein Vielfaches der bisherigen Anstrengungen und Mittel – und eine funktionierende Bundesregierung.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Nina Janovich
    vor 1 Woche
    Antworten
    Der Personalmangel bei Bus und Bahn gefährdet bundesweit den Erhalt und eigentlich geplanten Ausbau. Knackpunkt sind die unattraktiven Arbeitsbedingungen. Denn es stehen ja in anderen Branchen große Entlassen ngswellen an. Aber wer, die oder der gute Bezahlungen und Bedingungen dank IG Metall…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!