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Straßennamen im Tübinger Gemeinderat

Kein Knoten für Zetkin, aber für ...

Straßennamen im Tübinger Gemeinderat: Kein Knoten für Zetkin, aber für ...
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Monatelang tobte in Tübingen die Debatte um einen brandmarkenden Straßenschildknoten für Clara Zetkin. Eine Fachkommission befand, so ganz astrein demokratisch sei die Kommunistin nicht gewesen. In der Stadt waren nicht nur Linke der Ansicht: Quatsch. Nun tagte der Gemeinderat. Das Ergebnis ist verblüffend.

Es regnet auf dem Tübinger Marktplatz. Etwa 50 Leute haben sich um 16 Uhr beim Neptunbrunnen vor dem mächtigen Fachwerk-Rathaus versammelt. Das Bündnis "Kein Knoten für Zetkin", ein Zusammenschluss von zwei Dutzend Organisationen, hat für Donnerstag, den 26. Oktober, noch einmal zu einer Kundgebung aufgerufen. Rednerinnen und Redner der linken Szene legen dar, warum sie dagegen sind, eine Frau wie Clara Zetkin mit Nazis, Rassisten, Militaristen oder Kolonialverbrechern auf eine Stufe zu stellen. Eine Stunde später wird der Gemeinderat im Sitzungssaal zusammentreten, um endgültig über den Vorschlag einer Kommission von Historiker:innen aus dem Institut für Zeitgeschichte der Universität zu entscheiden. Diese hatten die Kämpferin für Frauenrechte, Antifaschistin und fortschrittliche Pädagogin in einer Tabelle unter der Rubrik "Demokratiefeindlichkeit und Justizverbrechen" eingeordnet. Die Kommission war beauftragt worden, die Debatte um die Umbenennung von Tübinger Straßennamen zu begleiten. Unter den Namensgeber:innen übeltätige und verdächtige Gestalten.

Bei sechs Straßen plädierten die Historiker:innen für Umbenennungen. Bei neun weiteren Straßenschilder sollten die Pfosten mit einem Knoten aus dem Drei-D-Drucker markiert werden, zum Zeichen der Kritikwürdigkeit der namensgebenden Personen. Mit einem QR-Code sind ausführliche Informationen aufrufbar. Die Stadtverwaltung, besonders die "Fachabteilung Kunst und Kultur", tat kund, dass sie alle Vorschläge der Kommission teile.

Zetkin undemokratischer als Bismarck?

Ein Knoten für die in Tübingen geborene Schriftstellerin Isolde Kurz, die den Ersten Weltkrieg lyrisch verherrlichte und für ihren Führer inbrünstig die Stimme und den rechten Arm erhob? Gewiss, aber auch für die mutige Streiterin gegen den wilhelminischen Polizeistaat, welche der Hohenzollenkaiser Wilhelm Zwo einmal als die "gefährlichste Hexe Deutschlands" schimpfierte? Die Kampfgefährtin von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die mit Käthe Duncker den Internationalen Frauentag ins Leben rief? Die Anfang 1919 von Stuttgart nach Tübingen floh, nachdem nationalistische Burschenschafter sie mit dem Tod bedrohten? Versteckt wurde sie in der Neckargasse 4, mit dabei bei ihrer Rettung der Tübinger Student Felix Weil, später Mitbegründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Als Alterspräsidentin des Reichtags sprach sie 1932 im Plenum, obwohl sie im Vorfeld massiv bedroht worden war, unter anderem von der NS-Presse. Und hat nicht die Landeszentrale für Politische Bildung Zetkin als "Wegbereiterin der Demokratie im Südwesten" bezeichnet?

Aber weil die Kommission in ihren Texten auch Begriffe wie "Diktatur des Proletariats" entdeckte, sollte ein Knoten fällig werden. Auch ihre Teilnahme an einem Prozess in der bürgerkriegsdurchtobten Sowjetunion gegen die Partei der Sozialrevolutionäre, an dem sie im Auftrag der Komintern eine Anklagerede hielt, ordneten die Historiker als verwerflich ein.

In Leserbriefen im "Schwäbischen Tagblatt" und an Infoständen, in Versammlungen und Informationsveranstaltungen wurde der Knoten für Zetkin inzwischen diskutiert. Die Kommission sei dabei unangemessenen Angriffen ausgesetzt worden, hieß es. Was die Linken bestreiten.

Gerlinde Strasdeit, Fraktionsvorsitzende der Linken, stellte ein Antragsjunktim auf. Wenn der Knoten für Zetkin eine Mehrheit finde, werde die Linke beantragen, dass Otto von Bismarck, Namensgeber einer der längsten Tübinger Straßen, einer Knotenkritik unterzogen werde. Ansonsten würde nämlich mit zweierlei Maß gemessen. An seinen Händen klebe Blut. Die Liste seiner "Demokratiefeindlichkeit" sei lang: Niederschlagung der demokratischen Revolution, Verteidigung der Fürstenherrschaft, verantwortlich für kolonialistische Raubkriege und Verbrechen, Kanzler in Tradition des preußischen Militarismus, Eroberungskrieg gegen Frankreich, Judenfeindlichkeit, Ablehnung des Parlamentarismus, Sozialistengesetze.

Gemeinderat: Ja, aber doch nicht

Die Kundgebung ist vorüber, jetzt tagt der Gemeinderat. Der Knoten-Punkt wird aufgerufen. Die Leiterin der "Fachabteilung Kunst und Kultur" nimmt ihre Verteidigungsposition ein, begründet, warum man dem Zetkin-Vorschlag der Expertenkommission folgen solle. Deren sieben Mitglieder seien nun einmal Menschen mit "fundierter Ausbildung" und ebensolcher "Expertise", selbstverständlich von "politischer Neutralität" getragen. Es wäre ein "fatales Zeichen" für die Stadt, wenn ihre Kompetenz in Frage gestellt würde und das "verbissene Ringen um die Deutungshoheit" zugunsten der Kommunistin ausginge.

Diese habe eindeutig einen "Sozialismus leninscher Prägung" vertreten, sagt die SPD. Der Fraktionsvorsitzende bläst immerhin ein wenig gegen den "akademische Weihen"-Nebel der Fachabteilungsleiterin an, ein Doktorgrad sei doch, sagt er, nicht unbedingt Ausdruck von Kompetenz. Zu manchem zeitgeschichtlichen Ereignis könne auch ein Taxifahrer und Putzkolonnenanführer wie Joseph Fischer, nachmaliger Außenminister, fundierte Beiträge liefern.

Professor Doktor Ulrike Ernemann (CDU) hingegen drückt in einer Art Ergebenheitsadresse an Verwaltung und Kommission ihre "tiefe Freude" für "Rat und Orientierung in dieser schnelllebigen Zeit", die Knotenvergabe sei "eine hervorragende Lösung". Angesichts der laufenden Kriege sei die Auseinandersetzung um eine Person wie Zetkin "ein marginales Problem".

Die Vertreterin der Grünen spricht von der durchaus "anerkennenswerten Leistung" der Frauenrechtlerin, teilt aber im Grunde die politischen Einschätzungen der Kommission und stuft die Debatte als "kleinen Kulturkampf" ein. Angesichts der "verhärteten Fronten" fordert sie "sachliche Auseinandersetzung".

Dennoch wollen beide Fraktionen mehrheitlich gegen den Z-Knoten stimmen. Der alteingesessene FDP-Rat Dietmar Schöning zitiert mit der Brille auf der Nasenspitze langatmig aus zwei zeitgenössischen Artikeln zum Prozess gegen die Sozialrevolutionäre. Einerseits aus dem KPD-Organ "Rote Fahne", andererseits aus "Der Sozialdemokrat", wohl, um zu beweisen, wie unterschiedlich man eine Sache bewerten kann. "Grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien" seien seinerzeit wohl nicht zur Anwendung gekommen. Und nein, "die ganze Diskussion" habe ihm gar nicht gefallen.

Eine Fraktion hatte eine gute Idee

Das hilft aber nicht. Auch die SPD beantragte, auf die Anbringung eines Knotens zu verzichten. AL/Grüne schlossen sich dem Antrag an. Die Abstimmung eindeutig: Mit 20 Ja-Stimmen obsiegen die Gegner.innen der Tübinger Knotenverstocktheit. "Die Linke" zieht ihren Bismarck-Knoten-Antrag zurück. Die Fraktion "Die Fraktion/DiB/Huhn" erkennt geistesgegenwärtig die Lage, übernimmt den Antrag, wirft ihn in den Ring, Enthaltungen in den Fraktionen der Grünen und der SPD machen es urplötzlich möglich, dass dieser eine knappe Mehrheit erhält. Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos), der nie so recht Stellung bezogen hatte, stellt die Ergebnisse dem Protokoll anheim und merkt an, Historiker künftiger Generationen hätten nun zu erkunden, wie es Tübingen fertig bringe, Clara Zetkin nach langer Diskussion den Knoten nicht zu verleihen, Bismarck aber doch. "Und zwar ohne irgendeine Aussprache."

Das Publikum trifft sich vor der Ratssaaltür. Man ist verblüfft. Grinst und zwinkert sich zu. Muss sogar lachen. Ein kleiner Sieg, sagt Sophie Voigtmann, die Sprecherin des Bündnisses "Kein Knoten für Zetkin", sei errungen. Im steten Abwehrkampf gegen die Gleichsetzung von "Rot und Braun". Ein Stück Geschichtsrevisionismus auf kommunaler Ebene hat eine Niederlage erlitten.


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4 Kommentare verfügbar

  • Bodo Sinn
    am 02.11.2023
    Antworten
    Zu Bismarck ist noch zu Ergänzen: Bestechung . Mit der "Emser Depesche" war Bismarck allerdings mit Fake News schon ganz vorne dabei, muss man schon sagen.....
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