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Polizeiinspekteur vor Gericht

Show der Anwältin

Polizeiinspekteur vor Gericht: Show der Anwältin
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Andreas Renner, der vom Dienst freigestellte ranghöchste Polizist Baden-Württembergs, steht wegen des Verdachts sexueller Nötigung vor Gericht. Dort lässt er sich nicht von irgendwem vertreten, sondern von Ricarda Lang. Die Münchner Staranwältin hat nicht nur TV-Show-Erfahrung gesammelt, sondern selber unrühmliche Spuren im Land hinterlassen.

Der nicht vorbestrafte Angeklagte ist beschuldigt, die junge Frau gegen ihren Willen zum Sex gezwungen zu haben. Die sei aber doch regelrecht über ihn hergefallen, sagt er vor Gericht. Am Ende wird er trotz des engagierten Einsatzes seiner extrovertierten Verteidigerin zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Das war Anfang des Jahrtausends und einer der ersten Fälle des Sat-1-Langzeitrichters Alexander Hold. Der verhandelte Montag bis Freitag nachmittags, später – wegen des großen Erfolgs – sogar am Wochenende. Für die ersten fünf Jahre mit von der Partie: Ricarda Lang, die eigentlich, wie sie einmal erzählte, juristische Beraterin der Gerichts-Soap werden wollte. Dann fuhr sie doch zum Casting nach München-Unterföhring und fand ihre Rolle.

Hold sitzt inzwischen und nach mehr als 2.000 Gerichtsshow-Folgen für die Freien Wähler im bayerischen Landtag, Lang hingegen an diesem Dienstag zum zweiten Mal im Me-too-Prozess gegen den Inspekteur der Polizei (IdP) im Landgericht in der Stuttgarter Ulrichstraße.

Und sogleich ist sie wieder in ihrem Element. Als der Vertreter der Nebenklägerin, der angeblich genötigten Polizistin, auf eine zum Auftakt und zur Entlastung Renners verteilte Pressemitteilung von Lang antworten will, vergehen keine 30 Sekunden, bis diese ihn in der ihr eigenen immer herausfordernden Tonlage unterbricht. Es folgt ein kurzer Wortwechsel, auch mit dem Richter, sie erzwingt einen Beschluss und bekommt am Ende, was sie erreichen wollte. Es gibt keine Erklärung in öffentlicher Sitzung zugunsten der Beamtin, deren Aussagen Eckpfeiler der Anklage sind. "In diesem Prozess wird es nicht um Rücksicht, Diskretion oder einen respektvollen Umgang miteinander gehen", schreibt Annette Rammelsberger in der "Süddeutschen", "es geht nur um den Sieg."

Wem der zufällt, das zeichnet sich noch längst nicht ab. Geländegewinne aber doch. Nicht nur, weil Lang gar keine Hemmungen kennt, "eine junge Polizeibeamtin mit falschen Darstellungen in den Dreck zu ziehen und zu diffamieren", wie die Anwälte der Nebenklägerin schlussendlich in einer an die reichlich erschienenen Medienvertreter:innen verteilten Erklärung kritisieren. Wer stundenlang Videoaufnahmen von Renner und der Polizistin und ihrem intimen Tun sieht – aufgezeichnet von einer Überwachungskamera in einem Stuttgarter Lokal –, landet eher bei der Frage, warum die Frau nicht einfach aufsteht und geht, als bei der (Vor-)Verurteilung eines Vorgesetzten, der seine Triebe offenbar nicht unter Kontrolle hat. Allerdings: Solch ein Video-Eindruck ist nicht alles, denn um den Tatbestand der Nötigung zu erfüllen, kann es ausreichen, dass die Beamtin, hätte sie sich dem schier endlosen Techtelmechtel entzogen, Nachteile befürchten muss.

PR-Auftritt im NSU-Untersuchungsausschuss

Renners Anwältin nutzt jedenfalls die harmlos wirkenden Videobilder als Steilvorlage, weil zu ihrem Naturell gehört, immer auf dem schmalen Grat zwischen unverschämt und kämpferisch zu agieren. Nach ihrer Darstellung hat die Kriminalhauptkommissarin Beweise vernichtet, gelogen und in ihrer ersten Vernehmung verschwiegen, "dass sie zu einem anderen, deutlich älteren und verheirateten Vorgesetzten im Ministerium seit Monaten ein intimes Verhältnis unterhalten hat". Lang kann nerven, sie ist schnippisch, weiß Angriffe sofort mit Gegenangriffen zu parieren. Und sie hat viele gute Erfahrungen gemacht mit dieser Strategie, wurde mehrfach von "Focus" unter die Top-Strafverteidiger:innen der Republik gewählt.

Dickste Schlagzeilen produzierte Lang, als sie 2009 die Islamisten der Sauerland-Gruppe zum Geständnis motiviert. Das kürzte nicht nur die Verfahren um die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und im einen Fall wegen versuchten Mordes erheblich ab, sondern brachte der gebürtigen Oberhausenerin auch im richtigen Jurist:innenleben Ruhm ein. Schlagzeilen, die der inzwischen 53-Jährigen weniger zur Ehre gereichten, produzierte sie bei insgesamt drei Auftritten vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des hiesigen Landtags zu den Verbindungen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" nach Baden-Württemberg. Mit Pomp und Theatralik kündigte sie neue Erkenntnisse durch einen möglichen Zeugen an, wollte den Namen aber partout nicht nennen und drehte erst nach der konkreten Androhung der Beugehaft durch den Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) bei. Neue Erkenntnisse ergaben sich trotzdem nicht (Kontext berichtete). 

Strobl hängt auch mit drin

Viele der Zuschauer:innen auf der Besuchertribüne des Landtags warfen Lang damals eine Inszenierung vor, um vor allem für sich zu werben. Schon auf den Fan-Pages der Sat-1-Serie wird sie als auffallend aggressiv und unangenehm beschrieben. Die aktuellen Stuttgarter Auftritte passen in dieses Schema, der Prozess allerdings nicht. Denn sollte Renner den Gerichtssaal, den er händchenhaltend mit seiner Ehefrau betritt, als freier Mann verlassen oder zu einer vergleichsweise unerheblichen Strafe verurteilt werden, wird das auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) schaden. Denn dann hätte Strobl mit der Weitergabe eines Briefes von Renners Anwälten an einen Journalisten nicht für maximale Transparenz gesorgt, wie er gebetmühlenhaft behauptet. Vielmehr würde ein Freispruch von Renner noch deutlicher machen, dass der Innenminister seine Pflichten als Dienstherr gröblich verletzt hat (Kontext berichtete). Ob dem tatsächlich so war, wurde nie endgültig ermittelt, da Strobl das Angebot der Staatsanwaltschaft Stuttgart annahm, gegen eine Zahlung von 15.000 Euro die Ermittlungen einzustellen.

Höchst unwahrscheinlich, dass Lang einen ernsthaften Gedanken an Auswirkungen ihres Vorgehens auf die politische Zukunft des Innenministers verwendet. An der Strategie für die nächsten Prozesstage ist sicher bereits gebastelt, zumal mit Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz nicht nur eine Zeugin geladen ist, die mit beiden – mit der Beamtin und mit dem IdP – nach den möglichen Übergriffen gesprochen hat und die im parallel laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Beförderungspraxis bei der Polizei bisher erkennen hat lassen, eher die Darstellungen der Frau für plausibel zu halten. Apropos Ausschuss: Vor den muss Renner auch noch und er wird – jedenfalls auf die Fragen zur Beförderungs- und Beurteilungspraxis – nicht, wie vor Gericht, schweigen können.

Im Gerichtssaal lässt Lang – kein Wunder nach den vielen gesammelten Erfahrungen vor der Kamera in Unterföhring – Bilder sprechen. Vor allem darüber, wie des Spitzenbeamten Gattin, selber in engem, kurzem Minirock auftretend, fest an seiner Seite steht, wie er selber in Gedanken versunken mit dem Ehering spielt, wie sie sich in Pausen tätscheln. "Es geht nicht um den Eindruck, den Sie hier vermitteln", sagt Alexander Hold einmal in einer Urteilsverkündung zum Angeklagten, "sondern wir müssen uns hier vor Augen halten, was sie getan haben." Ob sich die Verteidigerin daran wohl noch erinnert?


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8 Kommentare verfügbar

  • FB
    am 15.07.2023
    Antworten
    Nun...der IGP hat sich als Mentor (obwohl sie offiziell einen anderen hatte) an sie angenähert, weil er so ein fürsorglicher Charakter ist. Und die LPDin schaute zu...und nahm ihm hinterher nicht Mal das Diensthandy ab....die Anklage dazu wird auch im Sand verlaufen....der IGP und die LPDin…
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